Richard Loewy an Sohn Ernst, 11. September 1937
Krefeld, den 11.9.37.
Lieber Ernst! Dank für Deinen lieben Brief. Du hast Dir ja damit eine ziemliche Mühe gegeben, uns Deinen Standpunkt möglichst klar und verständlich zu machen. Ich habe aber bereits aus unserer Unterhaltung drüben gewusst, wie Du es meinst, auch war mir dieser Standpunkt nicht so sehr fremd, wie Du vielleicht glaubst. Ich wiederhole Dir nur das Eine, dass ich das nicht tragisch nehme und dass auch auf dem gleichen Punkte ich selber einst stand wie alle jungen Leute in Deinem Alter es mehr oder minder tun, die etwas über diese Dinge nachdenken. Aber mit zunehmender Lebenserfahrung ändert sich auch das wieder und, wie man so sagt, man kriecht wieder zu Kreuze! Allerdings ist man in Deinem Alter noch so sehr von der Richtigkeit seiner eigenen Ansicht überzeugt, dass man es für total ausgeschlossen erachtet, dass man jemals seine Meinung wieder ändern und reumütig zu dem alten Gtt der Väter zurückkehren könne. Es ist mir auch um Dich nicht bange, Du gehst eben den Weg all derjenigen, die denken und grübeln, die sich dann eine Meinung ja eine Überzeugung bilden und diese dann doch wieder nach einer Reihe von Jahren über Bord werfen, weil sie immer und immer wieder zur Einsicht kommen, dass der alte Herrgtt noch immer lebt und wenn er schon tausendmal von den grössten Denkern und von den grössten Zweiflern oder Unzufriedenen für tot oder überhaupt nicht vorhanden verkündet worden ist. Weshalb sollst Du anders sein als viele andere? Ich hätte es Dir nur leichter gewünscht, denn notwendig sind diese innerlichen Kämpfe, die schon unsere Väter und Urväter mitgemacht, für die sie gelitten, gestritten, ja zum Teil den Märtyrertod gestorben sind, für unsere heutige Jugend wirklich nicht mehr. Sie könnten sich unbedenklich auf die Kämpfe und - - Niederlagen (wenn man sie von Gtt erleidet, ist es keine Schmach!) - - (auch Jakob, Israel, der Gttesstreiter ist im Kampf mit dem Engel des Herrn unterlegen!) - - - der Väter und Vorfahren berufen; es ist aber nicht jedem vergönnt, in Ruhe (Du meinst vielleicht in Beschränktheit - Du siehst, ich mache Deine Gedankengänge mit!) - - zu glauben und so muss er den so oft gekämpften Kampf noch einmal für sich selber kämpfen. Im menschlichen Leben ist alles folgerichtig und so ist auch das so.
Hättest Du mit Deinen Ansichten recht, dann wären Millionen von Menschen im Unrecht und wäre die ganze Menschheit von jeher im Irrtum gewesen. Auch diese paar grossen Männer, deren Schriften Dich beeinflussen, haben im Innern ein Kämmerchen gehabt, das sie nicht der Öffentlichkeit gezeigt haben und keiner hat noch ganz ohne Gtt im Herzen gelebt, früher oder später sind sie alle wieder zu Kreuz gekrochen. Wenn Goethe einmal im Faust seine damalige Meinung kund gibt, weisst Du, wie er etwa nach zwei oder drei Jahren gedacht hat???
Von uns nichts Besonderes. Es geht einigermassen gut. Hoffentlich bleibt es nur auch bei Euch ruhig. Man hat jetzt wieder allerlei Sorgen. Die Zeitungen, auch die Rundschau, schreibt ziemlich nervös über die Haltung der Araber und auch der Besatzung. Die Vorfälle in der letzten Zeit waren wirklich beunruhigend. Hoffen wir, dass wieder Ruhe und Frieden wird! Ich schreibe Dir das nächste Mal wieder mehr, der Brief soll fort, die l. Mutter steht auf heissen Kohlen.
Grüsse alle von mir, Du lass Dich umarmen und sei geküsst von Deinem
Vater ![..]!
Bilder legt Frau Stern alle bei!