Richard Loewy an Sohn Ernst, 18. September 1937
18.9.37. Samstag Abend 7 Uhr.
Mein lieber Junge!
Ich sitze natürlich wie immer mitten in der Arbeit, aber da der Brief an Dich doch fort muss, muss ich unterbrechen und schnell an Dich schreiben. Zu erzählen habe ich Dir eigentlich gar nichts. Die Feiertage sind schnell vorbeigegangen, sang- und klanglos. Wenn man nicht fastet, hat man auch keinen Jomkippur und man ist gar nicht in Festesstimmung. Der Tag ist dann nichts Besonderes und einer gleicht dem andern. In der Syna wurde ich natürlich von allen möglichen und unmöglichen Leuten nach Dir und nach meiner Reise gefragt und hätte ich allen, wer weiss was, erzählen können. Eigentlich eine Schande, ich habe noch keine Zeit gefunden einmal nach Essen in die Stadt hereinzufahren und die alten Sterns zu besuchen, aber ich will doch nun mal Ende der kommenden Woche sehen, ob es scih nicht machen lässt. Ich möchte ihnen doch zu gerne über das Ergehen von Mendels berichten. Auch zu Lilienfelds bin ich noch nicht gekommen, d. h. ich war überhaupt noch nicht in Düsseldorf seit meiner Reise, ich habe war vor vielleicht heute in 14 Tagen mal Nachmittags hinzufahren und werde mich dann durch eine Postkarte avisieren. Auch zu Bruckmanns nach dem Südwall war ich noch nicht, ich weiss ja gar nicht, wann ich das alles soll. Die paar Stunden daheim sind gezählt und der schriftliche Kram wird immer mehr. Na, lassen wir das!
Dass es Dir, mein lieber Junge, gut geht, höre ich am liebsten aus Deinen Briefen. Dass nun endlich eine Aussöhnung auf Probe stattgefunden hat, ist ja ganz gut. Mag es immer sein, wie es auch immer wolle, das wirst Du doch auch begreifen, dass der ewige Streit mit oben keinen Sinn und Zweck hat. Königsfeld hat schon recht, Ihr vergeudet damit nur eure wertvolle Zeit und Nervenkraft. Man muss ja schliesslich nicht mit allen befreundet sein, man braucht ja um erträglich zusammen leben zu können und damit dem grossen Ganzen gedient ist, ja nicht in grosser Freundschaft und Innigkeit zu leben, aber man kann doch ein immerhin erträgliches Verhältnis herstellen und es kann der Eine Rücksicht auf den anderen nehmen, so wie das ja völlig Fremde untereinander schon aus purer Höflichkeit tun, weshalb soll denn das nicht Euch gelingen, bei einigermassen gutem Willen,
wenn Ihr nur dessen eingedenk sein wolltet, dass es nicht alles nur um Euch selbst zuliebe, sondern im Interesse der Arbeit und des Aufbaues geschehen soll. Aber so weit scheint bei Euch allen das Denken nicht zu reichen. Auch bei Pinchas nicht. Wenn Ihr ein kleines bisschen aus dem damaligen Vortrag von Juda gelernt hättet, ein bisschen „Zartheit” walten zu lassen und nicht bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit das gröbste Geschütz auffahren zu lassen! Wenn Ihr alle ein kleines bisschen daran denken wolltet, ob und wieweit Euere Eltern, die es doch gewiss gut mit Euch meinen, mit Eurem Denken und Eueren Handlungen einverstanden wären, vielleicht wäre auch dann manches bei Euch besser. Aber Ihr seid alle Stürmer und Dränger und meint, die Alten haben doch keine Ahnung von allen Dingen und kennen nichts. Ihr vermeint, dass Ihr alle schon über die Eltern hinausgewachsen wäret, doch müsstet Ihr Euch alle, wie Ihr seid in Eurer Gruppe, selbst ein Stückchen Brot verdienen, dann wäret Ihr schnell mit Eurem Latein und Eurem Iwrith zu Ende. Das sollen keine Vorwürfe für Dich sein, mein Lieber, aber ich möchte, dass Du mal vernünftig über die Sache dächtest und Dich nicht nur auf den Standpunkt stelltest: es gibt für mich kein Verhältnis zu oben. Nicht damit kann man etwas erreichen, wenn man sich abseits stellt, sondern mitten hinein und dann beweisen, dass man ein Kerl ist, dass man mehr kann und mehr weiss als die andern. Damit kannst Du Gidon und solchen Leuten imponieren, nicht dadurch dass man sich einbildet, besser oder klüger zu sein. Alles unter Beweis stellen durch höhere Leistung, das ist alles!! Ich hoffe, dass Du auch noch darin manches lernen wirst. - - - Frau Stern wird ja bald bei Euch sein und Euch alles erzählen, was es zu erzählen gibt. Vielleicht ist sie eher bei Euch als dieser Brief Dich erreicht. Die Bilder hast Du dann ja. Wegen weiterer Bilder will ich mal sehen, die meisten hast Du. Das eine mit Speiers, das doppelt ist, willst Du bei Gelegenheit hinschicken oder mithinnehmen. Eins bekommen sie noch von mir. Ich habe ihnen zu den Feiertagen geschrieben. - - Sonst nichts für heute. Alles Gute, und viel gute Wünsche und Küsse
Dein Vater.
Grüße alle von mir!