Erna Loewy an Sohn Ernst, 18. September 1937
Krefeld, den 18.9.37.
Samstag
Mein lb. Ernst!
Diesmal kam Dein lb. Brief vom 19.-11. ds. schon Donnerstag, den 16 ds. an. Abgestempelt war er am 12. also nur 4 Tage unterwegs. Wenn man noch garnicht auf Post rechnet & sie so unverhofft kommt, ist die Freude doppelt gross & danke ich Dir sehr für Deine lb. Zeilen.
Wenn in Eurer Gruppe endlich eine Einigung zustande käme, würde ich das sehr begrüssen, denn es gibt doch nichts Hässlicheres, als ewiger Zank & Streit. Ich glaube Dir schon gerne, dass Pinchas nicht Dein Fall ist, aber ich schrieb Dir schon einmal, es ist immer oder meistens richtiger Kompromisse zu schliessen, als mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Mit einigem guten Willen erreicht man mehr, als wenn die Gegensätze immer aufeinander prallen, dabei muss man nicht immer die besten Freunde sein. Man muss oft eine Faust in der Tasche machen, was Euch natürlich mit Euren 17 Jahren schwer fallen wird. Aber wenn Ihr einmal älter seid & über Eure Sturm & Drangjahre nachdenken werdet, werdet auch Ihr anders urteilen & denken, manches hätten wir leichter nehmen sollen & wir wären heute genau so weit als jetzt. Also nehmt nicht alles so schwer & vertragt Euch untereinander, Ihr werdet weiter damit kommen, als mit den dauernden Reibereien.
Ich glaube schon, dass Du Vater um seine schöne Reise beneidest, aber lb. Pipslein, er hat sie auch redlich verdient. Ein Mann, der wie er das ganze Jahr auf der Landstrasse im Auto liegt & nur darauf bedacht ist, dass es Dir & mir auch gut geht & immer nur im Kampf um das leidige Geld steht, hat doch wirklich mal eine Ausspannung verdient. Und deshalb freue ich mich, dass er bei Dir war & so viel gesehen & erlebt hat. Ich wäre ja auch gerne gekommen, aber ich habe Vater ohne Neid fahren lassen, weil es ihm eher zukam als mir. Du bist noch jung & wirst noch viel im Leben sehen, hast vielmehr schon mehr gesehen als ich. Ich weiss auch, dass Du es nicht böse gemeint hast,. aber man soll auch im besten Sinne nicht neidisch sein. Deine Wünsche zu Jom Kippur waren gut gemeint, aber dieses Jahr etwas verfehlt in bezug auf fasten. Grossvater & Grossmutter fasten doch schon lange nicht ebenso Vater wegen seiner Nierensteine nicht & ich hatte dieses Jahr eine Halsentzündung mit einem Brüllhusten & konnte es ebenfalls nicht. Und da sind wir wieder bei der Religion angelangt. Ich finde es auch keine Sünde, wenn man durch irgend ein Hindernis nicht fasten kann; wenn man sonst das ganze Jahr ein schlechter Kerl ist & nur den einen Tag hält, damit ist unserem Herrgott nicht gedient. Das ganze Jahr ein anständiger Mensch sein, nichts böses tun, das nenne ich Frömmigkeit & darin besteht meine Religion. - An Frau Stern haben wir 26 Bilder geschickt, die sie Dir mitbringt. Damit wirst Du wohl vorerst zufrieden sein. Wenn Ihr noch welche wollt, schreibt. Für heute tausend Grüsse & Küsse Deiner Mutter.