Erna Loewy an Sohn Ernst, 24. September 1937
Freitag, den 24.9.37.
Mein lb. Ernst!
schönsten Dank für Deinen lb. Brief vom 16 ds. Wie mir scheint, muss doch Post verloren gegangen sein, denn Du hast mir bis heute die Aufnahmen vom Tegernsee noch nicht bestätigst. Schreibe einmal deswegen, event. hat Kurt Seligmann noch den Film & ich würde noch einmal Abzüge machen lassen. Unterdessen wird auch Frau Stern dort gelandet sein & Du nun im Besitze der meisten Bilder bist.
Ich mache es wie Miss Szold & beglückwünsche Euch zu Eurer Friedensstiftung. Wie ich letzthin schon schrieb, zerreibt Ihr Euch an unnützen Dingen & verliert dabei viel kostbare Zeit, in der Ihr z. B. viel besser „Englisch” lernen würdet. Es ist doch ganz klar, dass wenn 30 junge Leute, wenn auch aus Deutschland, auf einmal wildfremd zusammen, dass diese 30 Seelen nicht mit einem Schlage alles zusammen harmonieren können. Man sucht sich da eben seine Leute heraus, ist intimer mit ihnen & mit den andern steht man auf gutem Fuss, ohne dicke Freunde zu sein. Es kann das alles auch ohne Streit & Gehässigkeiten von sich gehen, da muss man eben etwas Klugheit walten lassen & ich möchte Dich dringend bitten, Dein Hitzköpfchen mal unter die Brause zu halten & mit kühlem Verstand einmal genau zu prüfen, ob der Weg, den ich meine, nicht richtiger ist, als der, den Ihr eingeschlagen hattet. Ich hoffe, dass gerade Du keine Dummheiten machst, bis jetzt hielt ich Dich
nicht für unbesonnen & möchte auch meine Meinung nicht ändern müssen. Onkel Richard hüllt sich mal wieder in Schweigen. Ich habe ihm dieser Tage geschrieben & hoffe nun bald etwas Genaues von ihm zu hören.
Die Auffassung der Feiertage ist in Kirjat Anavim wirklich etwas sonderbar & wenig schön. Mussten Abstimmungen gerade am Kol Nidre stattfinden. Da hätte jeder von Euch besser getan, mal an seine eigene Nase zu fassen, als über andere zu Gericht sitzen.
Von hier kann ich Dir wie immer nichts Besonderes erzählen & das ist nur gut, denn die meisten Neuigkeiten taugen doch nichts. Gestern Abend war ich in der zionist. Ortsgruppe, wo Dr. Hans Capell & Dr. Ikenberg sprachen & über: der jüd. Staat, Ende einer Illusion oder neuer Anfang. Sie meinen alle, dass Erez geteilt wird & ein jüd. Staat endlich eine Erlösung & ein Vorteil für uns alle wird. Dass Ruhe käme & damit wieder Arbeit wäre nur zu wünschen.
Dann erwarten wir dieser Tage Hans Seligmann mit seiner Braut. Er hat sich verlobt, als er seinen Dr. gemacht hat & kenne ich Rita Bergheim von M. her. Ein nettes Mädel. Hoffentlich kann er sie auch bald heiraten & das hängt natürlich davon ab, was er jetzt beginnen will. Sein Patent, die Schuheinlagen werden jetzt fabriziert, vielleicht hat er Glück damit & verdient dadurch eine Stange Geld. Und damit ist mein Latein zu Ende. Gleich erwarte ich Pips & hoffe, dass der Dir noch viel Gutes berichten kann. Lass Dich in die Arme nehmen & herzhaft küssen von Deiner
Mutter.
Was arbeitest Du eigentlich jetzt?