Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 10. Oktober 1937

Krefeld, den 10.10.37. Samstag-Nachmittag.

Gestern Abd kam ich mit der lieben Mutter von unsrer Reise in das Sauerland nachhause und haben wir Deinen Brief vom 25.9. vorgefunden. Heute früh kam nun Dein Brief vom 1. Oktober. Zu antworten ist nicht sehr viel drauf. Wir sind froh, wenn wir gute Nachrichten haben, dass es Dir mein Lieber, gut geht und dass Du gesund bist. Das genügt uns schon. Alles weitere findet sich schon. Heute früh kam gleichzeitig mit Deinem Brief auch ein Brief von den alten Grünfelders, mit dem wir uns auch herzlich gefreut haben. Auf dem Briefbogen ist sogar ein Bild von den beiden Leutchen. Sie schreiben, sie hätten diese Bogen von dem Inhaber einer Lithographischen Anstalt geschenkt bekommen. Das ist sehr nett. Sie schreiben auch von Dir, dass es Dir gut ginge und dass Du viel froher seist seit ich dagewesen bin. Das höre ich gerne; ich hoffe, dass Du Deine Hemmungen in der Zwischenzeit ganz aufgegeben hast und dass Du nun aus vollem Herzen zu der Einsicht gekommen bist, dass ich recht habe, wenn Du in der Kwuzah bleiben sollst. Ich weiss, es ist auch nicht das einzige Ideal auf Erden, aber, mein lieber Junge, was ist vollkommen? Wir wollen doch unsrem Schöpfer danken, dass Dir diese Möglichkeit geboten ist, Du siehst wenigstens einem einigermassen sorglosen Leben entgegen; denn was haben alle anderen? Kampf, zermürbende Sorgen und ein aufreibendes Leben! In der Jugend hängt einem immer der Himmel voller Bassgeigen - - bis man eines Tages zur Einsicht kommt, dass alles nur Träume waren, die nie in Erfüllung gehen. Es ist drum besser, sich von allem Anfang zu bescheiden. Wir leben leider in einer solch harten Zeit, dass man seine hochgestellten Pläne etwas herunterschrauben muss - - und am Ende lebt es sich bei der Arbeit, so wie sie sich euch bietet, noch immer am ruhigsten und am besten. Du wirst mir eines Tages, wenn Du die Härten des Lebens besser kennst, sicher recht geben.

Wir waren gestern auf der Rückfahrt auch in Gerresheim und sagte uns Frau K. bereits, dass Küken ins Krankenhaus käme, wie er geschrieben habe. Indessen ist er nun natürlich schon dort. Dass seine Krankheit so schlimm ist, wissen seine Leute allerdings nicht. Wenn Herr K. das geahnt hätte, dann wäre er bestimmt gefahren, er hatte bereits die Devisenbewilligung hat aber dieser Tage endgültig Bescheid gegeben, dass er erst im Frühjahr wegfahren wolle, denn er kann jetzt unmöglich (unmöglich ist natürlich nichts, wenn es sein muss!!) geschäftlich abkommen; Frau K. wagt es jetzt nicht allein im Geschäft zu bleiben, so kurz vor Weihnachten ist immer allerlei zu tun. Ausserdem ist das Haus verkauft worden und es kommen öfters Leute, die das Geschäft kaufen wollen und sie wollen es doch los werden. Das kann sie ja nicht alleine. So will Herr K. warten, bis alles erledigt ist und sie frei sind. Es tut mir sehr leid, dass Küken so schwer krank ist. Eben war Dr. Hans Seligmann mit seiner Braut hier und habe ich ihn mal nach dieser Krankheit gefragt. Er meinte, damit wäre nicht zu spassen, das müsste operiert werden, was ja nun bei Küken, wie Du schreibst geschehen ist. Hat man da bei Euch Fehler gemacht? Denn die Sache dauert doch nun schon Monate! Ich befürchte, man hat da nicht ganz recht mit K. getan, dass man ihn hat so lang in K.A. behalten, statt ihn schon längst ins Krankenhaus zu schicken. Denn die Fahrerei nach der Stadt war doch auch immer sehr beschwerlich für ihn. Nun hoffen wir, dass alles wieder gut wird. Den Eltern kann ich das natürlich nicht sagen, das muss man schon Küken selber überlassen den Eltern zu schreiben, was er für gut hält. Frau K. ist ohnedies mit ihren Nerven ziemlich auf dem Hund, sie sieht sehr schlecht aus und hat eigentlich noch immer unter Klimakterischen Beschwerden seit ihrer Erez-Reise zu leiden. Ich habe doch die Fahrt so gut überstanden und hinterher nicht das Geringste gemerkt. (Auch Frau Wertheim nicht.) Anscheinend können doch nicht alle das Klima dort so gut vertragen. Dabei waren wir doch in der schlimmsten Hitze dort.

Schreibe bitte bald wieder, wie es Küken geht.

Gerne höre ich, dass nun bei Euch allmählich wieder Fäden von unten nach oben geknüpft werden. Es ist doch auch das Beste so, ich hoffe, dass auch Du selber das allmählich einsiehst. Wenn man auch gemeinschaftlich arbeitet, so braucht man nicht mit allen grossartig befreundet zu sein, aber man kann doch so gut zueinander stehen, dass der Fortgang der Arbeit nicht leidet

und das Grosse Ganze richtig läuft.

Dass Edith, das kleine Persönchen, nun bald weggeht, wird Dir ja leid tun, aber es geht immer im menschlichen Leben so, man kommt und geht. Ich wünsche ihr alles Gute. Vielleicht kommt sie einmal, wenn sie in Deutschland ist, auch nach Krefeld. Dass Juda weggeht, ist auch schade, war doch ein lieber netter Kerl. Will er denn später wieder nach Erez kommen?

Wenn er nun noch ein Jahr in Deganiah bleiben wird, dann wird er Euch ja wohl nochmal besuchen. An seine Schwester entsinne ich mich gut, sie ist ein nettes Mädel, ich habe mich mal sehr nett mit ihr unterhalten.

Wenn Du demnächst auf dem Bau arbeiten musst, so halte ich das für gar nicht so schlecht, dann wirst Du also so ein Stück Baumeister!! Was man kann, ist immer gut. Deine Grossmutter behauptet zwar soeben, Du könntest das doch gar nicht mit Deinen „kleinen Händchen”, Du könntest doch keine Steine schleppen, und dann würdest Du Dich noch schlechter halten!! Die Oma hat immer Angst, dass ihr kleines Kindchen etwas arbeiten muss. Ich habe kein Mitleid mit Dir und glaube, dass auch Du selber gar nicht so viel Mitleid mit Dir hast, sondern Dich freust, wenn Du mal wieder eine Dauerarbeit hast. Herr Kaufmann sagte mir gestern, Ihr hättet die Schule jetzt fertig, nun würdet ihr mit einem Neubau des Chadar-Ochels beginnen. Stimmt das? Darüber schreibst Du ja gar nichts. Es muss doch wohl so sein, denn wie könntest Du denn sonst dauernd auf dem Bau arbeiten?

Von Onkel Richard kam gestern auch ein Brief. Seine Pläne stehen nun ganz fest. Er wird Mitte November wohl von P. weggehen, erst auf eine kurze Zeit - wohl auch ein paar Wochen - nach Erez kommen, dann zu Lotte und ihrem Mann nach Bagdad und dann nach Teheran. Wir sollten Dir in seinem Namen schon schreiben und seinen Besuch avisieren. Er käme nicht mehr dazu, Dir zu schreiben. Ich werde ihm aber doch schreiben, er möchte Dir den Tag seiner Ankunft mitteilen, Du würdest ihn dann in Haifa erwarten. Wenn Du ihm gleich noch eine Karte schreiben willst, die wird ihn ja wohl auch noch vor seiner Abreise erreichen. Da hast Du es allerdings gut, zweimal Besuch in einem Jahre! Wir hatten vorgehabt, Herrn Kaufmann zu bitten, Dir ein paar Schuhe für gut, wie Du sie von mir gewünscht hast, mitzunehmen. Nachdem nun Herr Kaufmann nicht fährt, werden wir Onkel Richard schreiben, er möchte Dir ein paar Schuhe mitbringen. Wenn er mit grossem Koffer kommt, ist das ja gleich. Und er kann Dir auch ein paar anständige Schuhe mitbringen, evt. kann er sie Dir ja auch dort kaufen.

Heute kommt Fritz Seligmann mit seiner Frau - ob vielleicht mit Familie? - - mit Motorrad hierher, wir werden jemand davon zur Nacht haben, da seine Eltern nicht alle unterbringen können, denn Hans mit Rita sind doch noch da. Die werden eine schöne Ordnung aufstellen in der kleinen Wohnung! Morgen Mittag ist Hans und Rita bei uns und dann werden sie wohl morgen Nachmittag alle hier erscheinen.

Nun will ich aber schliessen. Für heute langt es. Ich muss noch weg und habe noch viel zu tun. Mutter möchte ja auch noch was schreiben.

Also, recht viele Küsse und alles Gute! Chasak!
Dein Vater.

Naftel Dank für die Geschichten, das sind aber doch nicht alle gewesen?

Mein lb. Ernst, auch meinen Dank für Deine beiden Brief. Die Fahrt ins Sauerland hat mir sehr gut getan, ich huste kaum noch. Vorher habe ich den ganzen Tag konzertiert, was natürlich für die, die es mit anhören mussten, auch sehr unangenehm war, für mich selbst natürlich am meisten. Dass es Dir gut, hören wir besonders gerne. Es ist Dir sicher auch viel lieber, wieder feste Arbeit zu bekommen, ich meine immer, man lernt mehr dabei als wenn man heute dies & morgen jenes tun muss. Bei allem aber, was Du tust, denke daran Dich gerade zu halten. Vater erzählte, Du hieltest Dich so schlecht. Küken tut uns sehr leid, schreibe immer, wie es ihm geht. Anfang Dezember bekommst Du also schon wieder Besuch, ich freue mich mit Dir. Hoffentlich habt Ihr dann schöne Tage miteinander.

Ich bin heute etwas eilig, sei nicht böse. Ich muss in den engl. Unterricht & vorher noch Abendbrot richten. Neues gibt es G. s. D. sowieso nicht, alles andere hat Pips ja geschrieben. Dann lass Dich noch feste umarmen & herzlichst küssen von
Deiner Mutter.

Anbei 2 Scheine.