Erna Loewy an Sohn Ernst, 29. Oktober 1937
Krefeld, den 29.10.37.
Mein lieber, guter Ernst!
Sei nicht böse, wenn ich trotz meines Versprechens doch heute wieder tippe, aber es macht mir so viel Freude, es in so kurzer Zeit gelernt zu haben, dass ich es heute noch einmal mache. Meinen herzlichsten Dank für Deine so lieben Zeilen vom 23. ds. die wir heute erhielten. Vor allem ist mir das Wichtigste, dass Du gesund bist, und Ihr bis jetzt von den Unruhen verschont geblieben seid. Wir lesen nämlich mehr als genug davon, und sind immer in einiger Unruhe. Hoffentlich geht für alle die Sache einmal gut aus. Du bist im Irrtum, wenn Du meinst, Vater hätte einen Stilfehler gemacht in bezug auf die klimakterische Erkrankung von Frau Kaufmann. Da bist Du im Irrtum, wohl war es nicht richtig dabei zu betonen, dass er das Klima gut vertragen hätte. Das sind natürlich zwei paar Hosen. Und woher Vater davon wissen will, weil es ihm Frau Kaufmann selbst erzählt hat. Sie ist deswegen schon lange in Behandlung, wir sprachen einmal darüber. Ein Fehler ist da schon unterlaufen, aber Du hast über Dinge gelacht, die an sich schon richtig waren. Aber Spass muss ein, sagt Grete und kitzelt Hans mit der Mistgabel.
Das Bild von Grünfelders scheint wohl nichts geworden zu sein, ich habe nie eines gesehen. Anbei die gewünschten Abzüge, ausserdem schicken wir morgen wieder Mk. 10. Ueber das Bild Vater mit dem Bullen ist auch hier viel gelacht worden, man scheint überall egal schlecht zu sein. Wenn Edith Stern uns besuchen würde, würden wir uns riesig freuen. Sie ist herzlichst eingeladen, auch für einige Tage hier zu bleiben. Platz auf der Chaiselongue haben wir immer. Dass Dich augenblicklich am meisten Onkel Richards Besuch freut, glaube ich Dir gerne. Ich hätte ihn auch gerne mal hier, aber da muss ich wohl warten, bis wir alle mal drüben sind. Von ihm selbst haben wir nichts mehr gehört, halte Du uns bitte auf dem Laufenden. Seine Schreibfaulheit ist gerade fürchterlich,
vielleicht ist er aber auch überbeschäftigt mit seiner Abreise, Du kennst ja diesen Braten. Ich kann mir nicht denken, dass Du als einziger von Deiner Partie übrigbleibst, der bei der Gruppe bleibt. Aber ich habe immer gesagt, und jetzt bewahrheitet es sich schon, es ist nie gut, wenn man sich viel Feinde schafft. Hättest Du immer einen goldenen Mittelweg gesucht, Du würdest es viel einfacher haben, aber Du hast es selbst so gewollt, und nun musst Du sehen, dass Du auch da zurecht findest. Mit einigem guten Willen lässt sich alles einrenken, und viel Falsches wieder gut machen. Auch das wird besser gehen, wie Du im Augenblick vielleicht meinst. Schliesslich werdet Ihr später viel mehr arbeiten müssen, und garnicht mehr so viel Zeit für Euch haben, um so grosse Freundschaften zu pflegen. Da werdet Ihr froh sein, Eure Ruhe zu haben, und dann hört alles von selbst auf. Wirklich Freude macht mir, dass Du engl. lernst. Aber was sagst Du dazu, dass ich dasselbe mache? Wir haben schon allerlei gelernt, in ein paar Wochen wollen wir beide mal eine kleine Probe machen, und uns mal auf engl. etwas erzählen. Mal sehen, wer dann das Meiste gelernt hat. Wir lernen ohne Bücher, zuerst alle Dinge, die man im täglichen Leben braucht, z. B. die Tageszeiten, Zahlen, Uhr, Haus, Wohnungen, was in den Wohnungen vorhanden ist u.s.w. Es macht mir Freude. Das wäre Dein Brief. Eben ist Vater zurück gekommen, und erzählt als Neuigkeit, dass Tante Sophie in Coesfeld gestorben ist, und er mit zur Beerdigung hätte gehen können, wenn er eine Stunde früher dort gewesen wäre. Verdient hat sie es auch nicht, dafür hat sie Tante Selma viel zu viel geärgert. Sonst ist hier auch hier nichts los gewesen. Bald wird hier das neue jüd. Heim eröffnet, was ein grosses Fest werden soll. Ob ich Dir geschrieben habe, wo, weiss ich nicht, also auf dem Bleichpfad, wo früher Kamp & Seligmann war. Die Gemeinde hat das Haus gekauf.
Ich habe mich heute mächtig oft vertippt, entschuldige bitte. Weiter alles Gute, schreibe von Dir mal ein bisschen ausführlicher, und sei oft und innig gegrüsst und geküsst von
Deiner Mutter.
Lieber Ernst. Nach langer Zeit auch von mir persönlich herzlichste Grüße Grüße
Deiner Grosmutter.
Heute sandte ich Dir 10,- Mk.
Großvater ist schon so lange wieder krank, und läßt vielmals grüßen.