Erna Loewy an Sohn Ernst, 5. November 1937
Freitag den 5.11.37.
Mein lb. Ernst!
eben komme ich aus der Synagoge & habe nun, bis der gute Pips gleich eintrudelt, noch so viel Zeit, um Dir für Deinen lb. Brief vom 30.10. zu danken & ihn zu beantworten. Ich glaube Dir gerne, dass Du die Post immer pünktlich aufgibst & kann es ja auch leicht vorkommen, dass die Briefe mal länger unterwegs sind. Ich gebe gerne zu, dass wir reichlich verwöhnt sind, weil es meistens prima klappt, & leicht ungeduldig sind, wenn wir mal warten müssen. Du musst aber nun nicht durch dieses Lob irgendwelche Konsequenzen ziehen & uns mit Absicht mal auf die Probe stellen. Von einem Freitag zum andern warten zu müssen ist mir gerade lange genug. Auch hier ist es sehr kalt geworden & kriechen wir gerne in unsere warmen Sachen. Dass Dir die Flanellhemden so gut stehen, freut mich, lb. Pipslein. Mir haben sie nämlich auch besonders gut gefallen & wenn sie Dir zu lang sind, lasse sie Dir doch unten ein Stück abschneiden & wieder säumen. Es ist eine Arbeit von 10 Minuten. Was abfällt, lasse Dir wiedergeben & hebe es als Flicklappen auf, falls mal was reisst. Dass Du an Naftalis Roman mit durchsehen konntest, war doch sicher sehr interessant für Dich. Was macht Dein Englisch; ich muss mich schon dahinter setzen & fleissig sein, zumal ich garnichts konnte. Aber ich freue mich schon immer
auf Samstag Abend. Was ich nun lerne, schreibe ich immer Vater in ein Heftchen, was er mit auf Tour nimmt & draussen mitüber lernen muss. Wenn wir mal so weit sind, dass er nicht mehr mit kann, will er auch dem Kursus beitreten. Aber vorläufig kann er noch mehr als ich. Von Onkel Richard haben auch wir nichts mehr gehört. Ob Du nun Edith nach Haifa bringst, oder Onkel Richard abholst, darüber will ich Dir keine Vorschriften machen, das musst Du selbst wissen, aber worum ich Dich bitte, ist, bei den unruhigen Zeiten möglichst wenig herumzureisen. Es ist mir schon lieber, wenn Du zu Hause bleibst, Du bist da bestimmt besser aufgehoben, als auf der Landstrasse. Die Berichte sind leider so, dass ich Dich sehr darum bitte. Wenn doch endlich mal Ruhe käme. Mit Deinem Zahn ist ja eine recht dumme Sache. Eine Stahlkrone ist bestimmt ja auch nicht schlecht, aber wenn es im Sommer sofort gemacht worden wäre, hättest Du vielleicht noch eine Goldkrone bekommen. Ich meine das nicht wegen der Schönheit, sondern wegen der Haltbarkeit.
Eben ist Vater gekommen & nun ist es mit der Ruhe vorbei. Vielleicht morgen mehr, jetzt heisst es für einen hungrigen Magen sorgen. Viel Gutes & die herzlichsten Grüsse & Küsse
Deiner Mutter.