Erna Loewy an Sohn Ernst, 19. November 1937

Freitag, den 19.11.37.

Mein lb. Ernst!

Dein lb. Brief vom 10. & 11. ds. erhielten wir heute wieder pünktlich, aber der Inhalt ist nicht erfreulich. Wir hatten durch die Zeitung von dem schrecklichen Unglück gelesen, auch die Namen, wussten aber bis zu Deinem Brief nicht, dass die Leute aus K. A. selbst waren. Es hiess aus der Nähe, die Notiz habe ich Dir ja eingesandt. Du schreibst weiter, die Jugendhilfe hätte uns von Eurem Wohlbefinden in Kenntnis gesetzt, bis zur heutigen Stunde haben wir keinen Federstrich von dort erhalten. Wir wollen nur vertrauen, dass so etwas nie wieder vorkommt, und mit Euch offen. Ich könnte über dieses Unglück den ganzen Tag heulen. Aber wir dürfen den Kopf nicht hängen lassen, einmal muss es doch auch für uns wieder besser werden. Der lb. Gtt. hat uns bis hierher geholfen, er wird uns auch weiter helfen. Wenn aus der neuen Siedlung etwas würde, und Ihr Euch mit der Gruppe zusammenschliessen würdet, würdet Ihr ja in der dortigen Gegend bleiben, ich will damit sagen, in einer gesunden und nicht zu heissen Lage. Ausserdem hättet Ihr den Vorteil, mit schon bekannten Menschen zusammen zu kommen. Die Zeit rückt immer näher, und wird man sich über Euch doch bald einige werden müssen.

Ich freue mich immer zu hören, dass Du gesund, zufrieden und guter Dinge bist. Vater wird es heute Abend auch schwer treffen, wenn er hört, dass es Leute von Euch waren, die er vielleicht sogar kennt. Wir hatten vor, Sonntag zu Sterns nach Grevenbroich zu fahren, bekommen aber eben Nachricht von Kaufmanns, mit denen wir uns dort treffen wollten, dass es um eine Woche verschoben werden muss. K. fahren zu einer Barmizwoh nach Frankfurt und bitten uns, doch auch noch eine Woche zu warten. Es ist auch netter, wenn alle zusammen sind, jeder hat dann was von seinem Söhnchen zu erzählen, und man erfährt auf diese Weise mal, was die anderen schreiben. Es sind beide nette Familien, mit denen wir mal gerne zusammen sind. Sonst weiss ich Dir von hier keinerlei Neuigkeiten mitzuteilen, wir sind

neugierig zu erfahren, wann Onkel Richard endlich aufbrechen wird. Ich bitte Dich aber nochmals, nicht unnütz herumzufahren, die Zeiten sind augenblicklich nicht dazu angetan. Du wirst aber selbst schon so vernünftig sein. Ich sollte Weihnachten wieder bei Freunds aushelfen, Vater will es aber auf keinen Fall zugeben. Er kann die Gesellschaft nun einmal nicht leiden, und da soll seine Frau nicht ausgenutzt werden. Denn etwas anderes ist es ja doch nicht, nur wenn es brennt, rufen die einen. Ausserdem bin ich selbst garnicht wild darauf, denn es ist gerade in den Tagen, wenn Vater vor Weihnachten zu Hause ist, und da können wir es uns gemütlicher machen, als wenn ich den Pips jeden Tag alleine liesse. Er ist das ganze Jahr über genug alleine. Nur schade ums Geld! Aber die paar Mark können uns auch schlimmstenfalls nicht retten. Uebrigens schicke ich Dir dieser Tage wieder Mk. 10. und ein Schokoladenpäckchen. Du sollst doch auch wissen, dass ich gerade zu Chanuka sehr an Dich denke. Hoffentlich bekommst Du die drei Päckchen auch. Dieser Tage habe ich bei Tietz die Spielwarenausstellung gesehen, und lebhaft bedauert, nichts mehr davon kaufen zu müssen. Das waren doch noch schöne Zeiten. Weisst Du noch, wie Du Dir mal Mögel gewünscht hast, und das Nachtkästchen bekamst? Jetzt steht das Kästchen einsam und verlassen hier. Das sind so Erinnerungen, wie lange ist das nun schon wieder her, man kann es manchmal garnicht verstehen. Du bist jetzt nicht mehr weit von 18, habe ich denn wirklich schon so einen grossen Sohn?

Nun mein Guter, will ich für heute mal wieder schliessen, der Pips will schliesslich auch noch was berichten. Mit den innigsten Wünschen für Euch alle, und den herzlichsten Grüssen und Küssen bin ich
Deine Mutter.

Die Grüsse Deiner Freunde erwidere ich aufs Beste!