Erna Loewy an Sohn Ernst, 25. November 1937

Donnerstag, den 25.11.37.

Mein lb. guter Junge!

Morgen ist wieder Dein Brief fällig, und da ich gerade vor Tisch noch etwas Zeit habe, will ich schonmal alle Neuigkeiten voraus schicken. Vor allem möchte ich nicht vergessen, Dich zu fragen, ob wir Dir jetzt jede Woche die jüd. Rundschau schicken sollen; auf die wir jetzt abonniert haben. Nach dem traurigen Ereignis bei Euch, von dem die anderen Zeitungen kaum etwas brachten, haben wir sie uns bestellt. Wir möchten doch besser unterrichtet sein, es steht auch sonst manches drin, was man wissen muss. Sie ist nur sehr teuer. Hast Du meine drei Päckchen erhalten? Ich wollte Dir so viel Neuigkeiten erzählen, merke aber eben, dass ich fast garnichts weiss. Frau Bonn ist Anfang der Woche gestorben, 82 Jahre alt. Sie war eine sehr brave Frau, hinterlässt aber nicht viel Trauernde. Den Ihren war sie eine Last, nun quält sie keinen mehr. Unter ihrer rauhen Schale sass aber ein guter Kern, ich wünschte manchen anderen so. Dann habe ich mir erzählen lassen, dass Paul Frankfurt Anfang des Jahres nach Amerika geht. Sie gehen doch alle, wenn auch langsam. Lore Traub hat in dem neuen jüd. Kaffee erzählt, wenn sie Geld genug hätte, würde sie Dich gerne einmal besuchen. Ich habe mir das Ding auch mal angesehen, man sitzt ganz gemütlich da, auf jeden Fall weiss man jetzt, wohin man mal gehen kann, wenn einen die Langeweile treibt, ohne ins Kino gehen zu müssen. Man trifft immer Bekannte, und kann mal ein paar Stunden verplaudern, wobei man nicht auf dumme Gedanken kommt. So etwas hat ja immerschon hier gefehlt. Nun bin ich gestört worden, und werde morgen weiterschreiben.

26/11. Nun ist Freitag, mein lb. Ernst, und ist auch Dein Brief da, vom 18-20 ds. Ich bin sehr froh darüber, obwohl mir der Inhalt etwas auf den Magen geschlagen ist. Ueber die Neuigkeiten kann ich mich weder freuen, noch kann ich Dir Vorwürfe machen. Ich kann gut begreifen, dass Du Dein Leben gerne mit netten Menschen verbringen willst, es ist mir sogar lieber, als wenn Dir jede Gesellschaft recht wäre. Aber was wird aus Dir??? Würdest Du einen praktischen Beruf ergreifen, wie die andern, die Schreiner oder

Schlosser werden, hätte ich keinen Moment Bedenken, aber wie lange wirst Du in K. A. bleiben können, und was hast Du gelernt, wenn Du dort mal weg musst? Wenn sie Dich in die Kwuzah aufnehmen, sähe die Sache auch anders aus, aber immer als besserer Handlanger da herum zu laufen denke ich mir sehr trübe. Vielleicht sehe ich auch die Dinge zu schwarz, oder urteile in Unkenntnis der Dinge, auf jeden Fall möchte ich in erster Linie, dass Du was lernst. Du wirst sehr bald auf eigenen Füssen stehen, wir können Dir ja leider von hier aus nicht helfen. Einen Trost habe ich augenblicklich, eben teilt uns Onkel Richard mit, dass er am 1.12. mit dem Dampfer Galiläa ab Triest fährt. Du bekommst sofort Nachricht, wenn er im Lande ist, er will auf keinen Fall, dass Du ihn abholst. Ich schicke aber diesen Brief mit Luftpost, damit Du im Bilde bist. Bespreche einmal alles mit ihm, vielleicht kann er Dir durch seine Beziehungen behilflich sein. Du weisst, Onkel Richard wird Dir keine falschen Vorschläge machen, er ist ein Mann, der im Leben auch schon Lehrgeld bezahlt hat, und sich auskennt. Ueberlege einmal alles gründlich mit ihm, und dann schreibt uns einmal gemeinsam darüber. Vorläufig ist für mich noch alles neu, und will erst mal wieder verdaut werden. Wenn es nicht zu Deinem Schaden ist, soll es mir recht sein, ich möchte Dich nur nicht im Ungewissen wissen. An und für sich begreife ich ja Deinen Standpunkt, aber ob es für Dein Fortkommen richtig ist! Einmal möchten wir ja auch zu Dir, aber das geht doch nur, wenn Du was bist, ich meine, wenn Du uns anfordern kannst. Ich bin mal neugierig, wie Vater darüber urteilt. Hoffentlich sehe ich schwärzer, als es in Wirklichkeit ist, und ist es letzten Endes gleich in welcher Siedlung Du arbeitest. Kommt wieder eine neue Alijah zu Euch?

Liebes Pipslein, ich wünschte, Du behieltest recht mit Deinem letzten Satz: „Um mich selbst braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, ich werde nur das machen, was für mich gut und richtig ist.” Wolle Gtt. Dir dabei helfen, und Du nie was zu bereuen hast. Vielleicht machst Du es mit diesem Schritt richtig, wer weiss in die Zukunft zu schauen. Leicht werden die andern es ja auch nicht haben, wenn sie mit den andern siedeln von der Picke auf.

Nun mein lb. Ernst noch viel, viel Freude mit Onkel Richard und tausend Grüsse und Küsse für Euch beide,
Deine Mutter!