Richard Loewy an Sohn Ernst, 22. Dezember 1937
Krefeld, den 22. Dezember 37.
Mittwoch Abend.
Mein lieber Junge!
Zu unsrer grossen Freude bekamen wir bereits heute früh Deinen lieben Brief vom 16. Dez., also von der vorigen Woche. Der Brief kam also, nachdem du einmal eher als sonst geschrieben hast, schon zwei Tage früher an und kannst Du Dir denken, wie wir uns gefreut haben, denn wir warten doch jetzt mit besondrer Spannung darauf um zu wissen, wie Dein Aufenthalt und Dein Beisammensein mit Richard verläuft. Wir bedauern, dass Du erst so spät etwas von ihm hattest, wir nehmen an, dass er wohl jetzt, also heute, bei Dir in KA. ist. Ob es ihm dort so gut gefällt, wie es bei mir der Fall war, darauf bin ich gespannt. Es hätte ja nichts geschadet, wenn er auch mal von Erez aus etwas mehr geschrieben hätte, besonders seinen Eltern, der alte Herr ist sehr ärgerlich darüber. Man kann das verstehen, ich würde mich auch darüber aufregen, wenn Du selber so schreibfaul wärest. Na, wir freuen uns, dass dem nicht so ist. Du siehst, wir revanchieren uns auch und lassen Dich nicht warten, damit der Brief morgen schon in München abgehen kann, soll er heute noch fort, Du hast also auch schnelle Antwort. - - Dass Du recht wohl bist, das ist uns die Hauptsache zu hören. Du wirst ja nun doch wohl mit Richard schöne Tage haben und hoffentlich ist auch dort ein bessres Wetter - - trotz der Regenzeit - als hier. Hier besonders am Niederrhein ist scheusslich nebeliges und feuchtes Weetter, heute fiesselt es wieder den ganzen Tag. Gestern war ich mit der lieben Mutter im Auto nach Barmen, wir hatten gestern ausnahmsweise herrliches Wetter und es war auch eine wundervolle Fahrt über die neue Brücke bis Kaiserswerth und dann über die bergischen Höhen nach Wülfrath bis Elberfeld-Barmen. Heimwärts fuhren wir dann über Mettmann, Düsseldorf, wo wir zu Abend gegessen haben und wir waren um 9 Uhr wieder daheim. Gestern schien die Sonne, als wir über die verschneiten Höhen fuhren, und es war sehr schön; Mutter hat es besonders gut gefallen, sie hat noch niemals eine solche Fahrt durch die Schneelandschaft gemacht. Ich weiss, - es ist lang her, 1919 zu Pfingsten, machten wir einmal im Schwarzwald, - wir wohnten damals ja noch in Freiburg, eine schöne Wagenfahrt vom Feldberg durch den schneebedeckten Wald, zum Titisee, seitdem bin ich mit Mutter nie mehr durch den Schnee gefahren, im Winter scheut sie sonst das Autofahren, es ist ihr immer zu kalt, aber gestern hat es ihr gefallen.
Dein Abschied von Edith mag ja wohl nicht leicht gewesen sein. Wie war es bei ihr? Sie geht ja wohl einer sorglosen Zukunft entgegen und hat es bestimmt leichter als wenn sie bei Euch geblieben wäre. Sie wird wohl schon bald zuhause sein. Du siehst, mein Junge, das Leben bringt oft harte Trennungen mit sich, man findet sich im Leben und meint, ein dauerndes Zusammensein könnte schön sein, aber dann kommt doch der Tag der Trennung: einmal sagt man sich ade, wenn man sich auch noch so liebt! Schön ist es dann, wenn man auch nach der Trennung sich nicht vergisst, und wenn einen über Länder und Meere hinweg noch die Freundschaft verbindet. Aber was heisst Freundschaft? Und wo ist sie zu finden? Ich habe in meinem Leben nur immer die traurige Erfahrung machen müssen, dass die Freundschaft immer nur auf meiner Seite war, - - ich darf das ruhig sagen ohne mir zu schmeicheln, denn ich kann mit Beweisen antreten. Man meint, man habe einen Freund gefunden, mit dem man durch dick und dünn gehen kann, aber eines Tages kommt man zur Erkenntnis, dass die Freundschaft nur sehr einseitig war und es tun einem dann all die Stunden, die man dieser vermeintlichen Freundschaft gewidmet hat, leid; man meint, es könnte doch gar nicht sein, dass man so von seinem Freunde verlassen oder gar verraten werden könnte. Aber leider geht das Leben oft so. Hoffentlich machst Du in dieser Hinsicht einmal bessere Erfahrungen als ich sie machen musste - oder auch Deine Mutter. - Edith wünsche ich alles Gute, sie ist ja ein kluger und auch tapferer Mensch. Sie wird ihren Weg schon machen.
Hat sich denn Werner, der doch auch sehr befreundet mit ihr war, leicht trennen können? Es ist schade, Freundin hast Du ja nun in KA. keine mehr, besonders dann, wenn auch Lore weggehen sollte. Mit den anderen Mädels hat Du ja weniger Gemeinsames, und auch das ist ja dann ganz aus, wenn die Gruppe hinaufzieht. Wann wird das sein? Wenn die zwei Jahre um sind?
Dass Du nochmals bei Bruckmanns warst, ist nett, auch dass Du die andren Krefelder getroffen hast. Ich war zufällig vergangene Woche bei Bruckmanns seinen Schwestern und habe ihnen das Bildchen gebracht, ich habe einen Abzug für ihn machen lassen, sie möchten ihn nach drüben schicken. Das Kindchen hat er inzwischen fotografieren lassen und ein grosses Bild hierhergeschickt. Es muss heute noch netter sein. Dann war ich neulich bei der alten Frau Salomon, sie zeigte mir einen Brief von Ruth, ich wusste also, dass sie neben Bruckmanns wohnt, auch dass Willi bei der Kupat Cholim in Kfar Saba arbeitet. Du schreibst, Du habest auch Lotte Fernich getroffen, sie habe sich geärgert, dass wir sie damals nicht gefunden haben. Wir haben sie doch gar nicht gesucht gehabt. Denn sie hatte sich ja bei uns auch nicht verabschiedet, obwohl sie bei Dr. Bluhm war, also hier vorbeiging. Sie wusste doch, dass Du drüben bist. Dass ihr Vater damals an Ilse so gemein gehandelt hatte, das brauchte sie ja nicht zu kümmern. Sie konnte ruhig mal hereinkommen.
Heute sandte ich Dir wieder 10 Mark. Sei bitte recht sparsam mit den paar Mark und gib nur dort was aus, wo es nicht anders geht. Ich bin ja nicht sicher, ob man das immer schicken darf. Es kann ja immerhin sein, dass auch da mal eine einschränkende Verfügung kommt und dann hast Du gar nichts mehr. Also spare!
Dass unsre beiden Päckchen, die wir Dir zu Chanukka sandten, verloren gegangen sind, ist aber traurig. Wer mag sich denn daran vergriffen haben, aber der Weg ist weit bis zu Euch, und durch wieviele hundert Hände geht eine solche Sendung bis sie zu Euch kommt. Dabei ist das Traurige, dass man wegen solcher Päckchen nicht reklamieren kann, denn die Post ist da ja auch wirklich nicht in der Lage eine Haftung zu übernehmen. Schade, das eine enthielt etwas Wurst, das andre Schokolade. Der Wert selbst ist ja nicht so gross, wenn es auch immer mit Porto etwa 2 Mk kostet. Aber man wagt es ja gar nicht mehr, solche Liebesgaben zu verschicken, wenn sie doch nicht ankommen. Also, wenn Du mal Lust auf ein Stück Wurst hast, dann musst Du Dir schon in der Stadt was kaufen, bei der Egged in Jerusalem gibt es doch so schöne Würstchen, kauf Dir mal dort was. Es ist natürlich keine von hier, aber sie ist gut, und wenn man das Porto rechnet auch viel billliger, als wenn wir Dir was schicken. Macht denn Mendel keine? Vielleicht kannst Du mal von ihm was bekommen, wenn Du mal wieder nach Haifa kommst. - - Dass es Mendel noch gut geht freut mich. Er hat hierher an seinen Schwager einen sehr betrüblichen Brief geschrieben über die schlechten geschäftlichen Verhältnisse, sodass ich schon geglaubt hatte, er habe seine Stellung verloren. Aber allem Anschein war das eben nur so allgemein und nicht im Besonderen, denn wenn er sich noch Radio anschaffen kann, dann gehts ihm also nicht schlecht.
Vorige Woche war mein Bericht in der ZOG, wie ich Dir schreib. Da war auch Frau Rosen vom Westwall da und sie fragte mich, ob ich in Jerusalem etwa zufällig den Namen Sulmann gehört hätte; der alte Herr sei zwar jetzt gestorben, er sei früher in Krefeld gewesen - viel Jahre zurück - und habe dann in Venlo gewohnt. Er sei mit ihrem verstorbenen Mann sehr intim befreundet gewesen. Herr Sulman ist doch Fritz David sein Schwiegervater gewesen? Sie wusste auch, dass er im Hause der abbessinischen Gesandtschaft gewohnt hat. Also stimmt es doch! Ich konnte ihr zufällig auch das kleine Bild von Fritz, das auf dem Balkon der Gesandtschaft aufgenommen wurde, zeigen. Erkundige Dich doch mal bei Sulmans!
Mutter will anschreiben und der Brief muss weg. Also von mir Schluss. Es genügt auch für heute. Alles Gute für 1938 und viel Küsse und Chasak!
Dein Vater.
2 Schein anbei
Lieber Ernst!
Mit Deinen lb. Zeilen haben uns sehr gefreut & sind immer froh, zu hören, daß es Dir gut geht & zufrieden bist. Wir hatten bestimmt geglaubt, was von Richard zu hören, leider haben wir uns mal wieder verrechnet, wie immer.
Also mach's weiter gut & sei herzl. gegrüßt & geküßt von
Deinem Großvater.
Auch von mir viele herzliche Grüße. Sei geküßt von Deiner
Großmutter.