Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 1. Januar 1938

Krefeld, Samstag, den 1. Januar 1938.

Mein lieber Junge!

Neujahrstag ist heute! Zur Feier des Tages bekamen wir heute auch Deinen lieben Brief vom 1. Weihnachtstage, der eigentlich gestern schon fällig war. Wir haben uns nun damit genau so gefreut und so begann das neue Jahr für uns schon mit Freude. Wir wollen uns das als ein gutes Omen nehmen und hoffen, dass uns das Jahr 1938 nur Gutes bringen möge!

Ausserdem kam heute früh auch noch ein Brief von Tante Tini, der mir auch Freude gemacht hat, sowie ein Brief von einer meiner Firmen - die Garnspinnerei, der mir auch noch eine materielle Freude gemacht hat. Also kann ich über den ersten Tag nicht klagen. Gestern Abend waren wir dazu noch aus und haben mit Walter und Hedwig Kahn und einigen Bekannten im neuen jüd. Restaurant ein bisschen, aber sehr solide Sylvester gefeiert. Die Nacht war sehr schöner Schnee, aber jetzt ist wieder der schönste Matsch draussen. Ich sprach gestern Abend auch Deine Schwieger-Eltern, die mit Inge auch dort waren, - die jungen Leute haben unten, im Parterre (wir sassen im Cafe oben) getanzt - - -. Lores Eltern erzählten mir von Lore, dass sie wirklich sehr schwer krank gewesen sei, gestern sei sie den ersten Tag wieder auf gewesen, hätte aber des Abends wieder über 37 Grad Fieber gehabt. Besuchen dürften wir sie jetzt jederzeit und so werden wir uns natürlich gleich morgen früh auf den Weg machen und sie besuchen. Ihre Mutter erzählte mir, sie hätte neulich Besuch von einem kleinen Freunde aus Düsseldorf (14 Jahre alt) gehabt, da hätte Lore erzählt ihr erster Freund sei zwar jetzt in Erez, er sei aber der netteste gewesen, na ja, er sei ja auch 4 Jahre älter gewesen als sie. Ihre Mutter sagte darauf, ja, er sei für sie das richtige Kindermädchen gewesen! Da wurde aber Lore falsch, das konnte sie nicht hören! Du siehst also, sie hängt noch immer an Dir! Ich bin nun auf morgen gespannt, wie es ihr geht.

Nun endlich zu Deinem Brief! Richard lässt sich sehr viel Zeit bis er zu Dir kommt, d. h. während ich dies schreibe, ist er vielleicht gerade bei Dir, oder auch schon nicht mehr bei Dir. Ich bin neugierig, wie lange er es in K. A. ausgehalten hat. Es wird ihm ja nicht so gut gefallen, wie mir, denn meiner Ansicht gefallen Richard die Städte besser als die Siedlungen, wenigstens für ihn persönlich, wenngleich er vielleicht auch vom Standpunkt des überzeugten Zionisten, der er ja ist, den Aufbau des Landes von der Siedlung aus für richtig und notwendig hält und auch die Leistungen der Menschen auf dem Lande mehr bewundert als die der Menschen in den Städten. Ich nehme auch an, dass er, der ja nicht mit seinen knappen Devisen zu rechnen braucht, wie wir aus Deutschland, nicht in Haifa im Hotel Polonia gewohnt hat, sondern schon einige Stufen höher. Aber an und für sich ist das ja nebensächlich. - Auf Euren gemeinsamen Brief bin ich nach wie vor sehr gespannt. Dass Richard in Deiner Angelegenheit etwas ausrichten kann, bezweifle ich stark. Denn irgendwelche Möglichkeiten zu einem Studium kann ich beim besten Willen nicht sehen, ebensowenig eine Aussicht eine Handwerk zu erlernen. Aber ich will abwarten, was Richard darüber schreibt.

Die Angelegenheit mit der Schwester von Frau Hertz ist mir nun aber schleierhaft. Vielleicht, wenn Du mal Hans Beith triffst, frage ihn mal. Das war Frau Schönemann aus Bleicherode, der Heimat von Beit.

Die Filme habe ich alle hier, die ich erst vermisst hatte. Ich werde sie sobald uns Edith geschrieben hat, nach Frkft schicken, Sie hat bisher noch nichts von sich hören lassen, aber zuhause muss sie doch lang sein.

Für Deine Neujahrsgrüsse und Wünsche natürlich unsren besten Dank, wie Du siehst kamen sie genau am Neujahr an. Nochmals auch von uns alles Gute!!

Zwi tut mir leid. Ich finde das eigenartig, dass man ausgerechnet ihn für das Unglück verantwortlich macht, er kann doch nichts dafür! Grüsse ihn bitte von mir. Was macht er nun? Habt ihr einen neuen Gaffir bekommen?

Wie Du weisst, waren Lilienfeldts vergangene Woche - Mann, Frau und Hund - hier bei uns. Wir haben uns natürlich viel erzählt. Haben Euch die Ohren geklungen? Frau L. will im Februar nach dort fahren. Hoffentlich klappt alles bei ihr. Im Februar fährt auch der alte Herr Kaufmann mit seiner Frau nach Tel Aviv. Vielleicht können sie Dir was mitnehmen, falls Du einen kleinen Wunsch hast. Da sie länger im Lande bleiben, kannst Du vielleicht einmal Gelegenheit haben, sie zu sehen. Wener Lilienfeldt schrieb nach Hause, dass bei Euch zur Zeit die Apfelsinen nichts kosteten und dass ihr das Vieh

damit füttern würdet. Das ist doch eine Schande! Wir haben erst die ersten Orangen ein paar Tage vor Weihnachten zu sehen bekommen, aber nur kleine spanische und italienische, Jaffa gibt es überhaupt nicht in diesem Jahre. Schade genug! Aber das ist mal so, immer im menschlichen Leben, der eine hat soviel, dass er nicht weiss, wohin damit und der andre hat gar nichts. Kannst Du uns nicht mal eine Kiste schicken? - Friedel Freund hat neulich von ihrem Bruder aus Brasilien sogar eine Kiste mit Ananas bekommen. Es ist ja schade, dass die Fracht so teuer ist.

Eben war Onkel Sali hier, der noch ein paar Tage in Krefeld bleibt, und hat uns gebeten, ihn gleich abzuholen, er ist auf der Hubertusstrasse und er möchte heute Abend ein bisschen ausgehen, ins neue Cafe. Wir sind ja keine Spielverderber und wollen ihn gleich abholen. Schade, dass Du nicht mitgehen kannst, was?

Nun bin ich mit meinem Latein für heute am Ende. Der Rest des Platzes ist für die liebe Mutter, die ja auch noch allerlei für Dich in petto hat.

Also, mein Lieber, bleib mir gesund und chasak!!! Mit vielen Küssen bin ich
Dein Vater.

Vergiß am 8./I. nicht: Frau Grünfelders Geburtstag;
am 20/I.: Tante Tini's 81. Geburtstag!

Mein lb. Ernst! diesmal ist Vater sehr im Irrtum, wenn er glaubt, dass ich noch viel nach ihm zu erzählen habe. Ich danke Dir sehr für Deinen lb. Brief, den der Pips nun ja beantwortet hat, und Dir auch schon von allem andern erzählt hat. Wir waren diesmal etwas unsolide, es hat aber ganz gut getan, man vergisst mal für einige Stunden den Alltag. Heute dachte ich bestimmt von Dir und Richard zu hören, und bin ebenso enttäuscht als Du. Hoffentlich seid Ihr nun aber zusammen gewesen, und berichtet uns bald viel. Wir wollen jetzt Onkel Sali abholen, drum wird mein Bericht heute besonders kurz, zumal der Brief auch weg soll. Dafür entschädige ich Dich das nächste Mal. Aber lass Dich noch innig umarmen und herzlichst küssen von
Deiner Mutter.

Für Richard besondere Grüsse.