Richard Loewy an Sohn Ernst, 8. Januar 1938
Krefeld, Samstag, den 8. Januar 38.
Mein lieber Junge!
Ich komm eben aus der Synagoge und nun will ich Dir Deinen lb. Brief beantworten, soweit ich was zu antworten habe. Den Film habe ich heute früh mit zu Horster genommen und bekommst Du ihn dann wohl im nächsten Brief wieder. Edith sieht auf dem Bildchen wie eine richtige zivilisierte Dame aus, gar nicht mehr wie das unbedeutend kleine Persönchen! Ich wundere mich eigentlich, dass sie bisher nicht eine Zeile geschrieben hat. Wann geht ihr Schiff? - Wenn Richard bei Euch bleiben würde, wäre das sehr schön für die Zukunft für uns alle. Es wäre ja auch ein beruhigendes Gefühl, wenn wir Dich nicht so alleine wüssten. In seinem Brief vergass er anscheinend, - - genau wie all die Verwandten Deiner Mutter - - dass Du so nebenbei auch ein Vater gehabt hast, von dem du vielleicht auch mal irgend einen Zug Deines Wesens oder Deiner Befähigung geerbt haben könntest! Genau, wie wenn sie auf der Elisabethstrasse immer - als Du noch ein kleines Kind warst - nach Ähnlichkeiten mit „Gustav selig” oder Rudolf oder Hans oder Kurt oder Sal oder sonst mit irgendeinem aus der Cohensen Verwandtschaft suchten und verwundert waren, wenn irgend ein ihnen unbekannter Zug vorhanden war. Ich denke, so klein und dünn bin ich doch wahrlich nicht, dass man mich so leicht überschauen könnte. Wir Loewys waren seit vielen Generationen doch immer mit der Scholle verbunden und würde ich es darum besonders gerne sehen, wenn auch Du Dich mehr zum Boden hingezogen fühltest als es anscheinend der Fall ist.
Wir hätten an Richard evt. mal geschrieben, wenn wir gewusst, wie lang er drüben bleibt, aber so meinten wir immer, wenn wir schrieben, würde ihn ein Brief doch nicht mehr erreichen. Aber er selbst ist ja auch sehr schreibfaul und so brauchen wir uns nicht sagen, dass wir unhöflich wären. Da er diesen Brief ja wohl lesen wird, ist alles weitere zu schreiben überflüssig.
Diese Woche war hier ein Vortrag von der Jewish Agency veranstaltet und unterzeichnet von Dr. Alexander. Es sprachen Dr. Hahn, Rabbiner Essen für die Nichtzionisten in der J. Agency und für die Zionisten Dr. Neuberger
Düsseldorf. Beide Redner gut. Neuberger sprach über das neue Weissbuch und die nun neuerlich entstandene Ungewissheit über das Schicksal von Erez, Dr. Hahn über seinen persönlichen Besuch drüben. Er sagte u. a. er habe alle Essener Kinder in der Jugendalijah besucht - auch in den entferntesten Winkeln des Landes und mit ihnen gesprochen. Darnach hätte er eigentlich auch bei Euch, bei Chawah und Juda, sein müssen. Da Du aber nie darüber geschrieben hast, stimmt es wohl nicht ganz. Ilses Mutter sprachen wir auch sie sagte sie hätte von Ilse einen 8 Seiten langen Brief über die Unruhen und über Kämpfe am Kinerethsee bekommen. Ich nehme wohl an, dass das ein zusammenfassender Bericht über Dinge, die vor Wochen schon in der Rundschau standen, war.
Morgen wollten wir zu Lilienfeldts, aber heute schrieb Herr L. wir möchten erst am 24. Januar kommen, da er morgen zu einem Kunden müsste, der nur am Sonntag zu sprechen sei. - Wie geht es den beiden? Kommst Du öfters mit ihnen zusammen? Was macht Naftali, der Bergbauer? - Hast Du daran gedacht, dass Frau Grünfelder heute Geburtstag hat? Wenn nicht, dann gratuliere bei erster Gelegenheit! Weshalb schreibst Du so wenig von K.A.? Ich habe doch, da ich die Leute usw. doch zum grossen Teil kenne, doch für alles Interesse. Ilse schrieb auch, dass auf Euer Auto Schüsse abgegeben worden seien. Stimmt das? - - Von uns sonst nichts Besonderes. Es geht uns gut. Am Montag geht bei mir wieder das regelrechte Arbeiten los und bin ich dann wieder die ganze Woche weg. - - Nun alles alles Gute, lass Dich umarmen und sei geküsst von Deinem
Vater. ![..]
Richard extra Grüsse. Ich wünsche ihm beste Erledigung und viel Glück!!