Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 15. Januar 1938

Samstag, den 15.1.38.

Mein lb. Ernst!
Nachdem wir erst Dienstag einen Brief von Dir erhalten haben, haben wir wohl heute keinen zu erwarten, was uns natürlich sehr leid tut, und uns garnicht gefällt. Infolgedessen haben wir Dir nichts zu beantworten & greife ich nochmals auf Dein letztes Schreiben zurück. Mir geht garnicht aus dem Kopf, dass Du glaubst nicht von uns verstanden zu werden, und nicht darüber nachdenkst, dass die Verhältnisse uns zu alledem zwingen. Wenn uns eine Möglichkeit gegeben wäre, Dir zu Deinen Wünschen zu verhelfen, so wäre das doch ganz bestimmt schon längst geschehen, und unsere Vorschläge geschahen doch nur aus dem einen Wunsch heraus, Dich nicht in Ungewissheit zu wissen. Ohne Geld kann man keine Schlösser bauen, und vor Luftschlössern muss ich Dich immer wieder warnen. Unterdessen kam auch ein Brief von Rich. der auch in Deiner Angelegenheit noch sehr unklar sieht. Wir stehen Dir doch selbstverständlich nicht im Wege, und wenn er es fertig bringt, Dir zu helfen, sind wir doch die allerersten, die sich darüber freuen würden.

Mein lieber Junge! Bis hierher hat Deine liebe Mutter geschrieben, da ich aber eben nachhause gekommen bin, bittet sie mich, vorerst mal weiter zu schreiben. Ich habe Dir von unterwegs aus schnell mal meine Meinung geschrieben, aber im Hotel mit schlechtem Schreibzeug geht das doch nicht so gut wie hier zu Hause in aller Ruhe an der Maschine. Ich kann Dir nur wiederholen, dass nicht etwa mangelnde Einsicht oder mangelndes Verständnis für Dich, Deine Wünsche und Deine Lage oder Deine Fähigkeiten mich veranlasst haben, Dir immer wieder zuzureden in der Kwuzah zu bleiben. Ich habe doch dort so ziemlich auch einen Einblick in alles, in das gesamte Leben usw. der Kwuzoth bekommen und weiss, dass das auch nicht das wahre Ideal ist; aber was soll man denn in Deiner oder unsrer Lage, wie sie nun einmal ist, anders tun? Ich habe das Einzige, was mir möglich war, versucht und einmal mit Beith gesprochen, Du warst ja selber dabei und hast gehört, wie wenig Aussichten bestehen, einen andren Beruf zu ergreifen. Aber er sagte auch, es sei zu früh, um endgültig etwas zu sagen, Du möchtest nach einem halben Jahr - also kurz vor Beendigung der 2 Jahre - zu ihm kommen und könnte man dann nochmals sehen, was sich machen liesse. Ich bitte Dich also, nochmal mit Deinem Onkel dort vorzusprechen. Du musst nichts unversucht lassen, es mit Einverständnis und Hilfe von Hans Beit zu versuchen, etwas zu erreichen. Tust Du etwas ohne ihn, - also mit Uebergehung seiner Person, - dann hast Du die Hilfe der Sochnuth verloren und sie wird sich niemals wieder um Dich kümmern. Unternimmst Du etwas, - selbst wenn er nichts Wesentliches dabei getan hat, sondern Du vielleicht alles Richard und seinen Freunden zu verdanken hast -, wenn er nur damit einverstanden (das genügt ja schon! - so wird er Dir immer freundlich gesinnt sein und Dir wohl auch später immer wieder helfen, falls Deine Pläne vielleicht nicht gelingen sollten. Denn dass Beit ein gewichtiges Wort drüben mitzureden hat, weisst Du ja. Ich bin der Letzte, der Dir irgendwie einen Zwang auferleben will, ich rechne nur mit den gegebenen Möglichkeiten. Du bist hierin von einer ganz falschen Voraussetzung ausgegangen, wenn Du vielleicht meinst, dass ich aus persönlicher Anschauung die Kwuzah vielleicht für Dich das einzig Richtige oder Gegebene hielte. Ich will Dich doch bestimmt nicht in einen Beruf hineinzwingen, in dem Du nicht froh sein könntest. Du hast - wie ich aus Richards Brief ersehe - ihm anscheinend auch gesagt, dass ich mit einem Verlassen der Kwuzah unter keinen Umständen einverstanden sei, da er anfragt, ob er überhaupt erst etwas für Dich tun solle. Ich schreibe ihm heute auch selbst hierüber. - Es ist nun einmal so, dass man ohne Geld nichts anfangen kann. - Du hast es ja damals bei Deinem Weggang gewusst, dass es in KA. keine andren Möglichkeiten gibt. Schön, ich weiss, Du hast damals als noch junges Bürschen keine endgültige Meinung gehabt und Dich geirrt, indem Du angenommen hast, Du würdest Dich mit der Zeit an die Landwirtschaft „zu gewöhnen”. Mit zunehmender Reife bist Du zu der Einsicht Deines Irrtums gelangt. Bei meinem Besuch warst Du aber immer noch nicht sicher, was Du eigentlich wolltest. Du wusstest einzig und allein,

15. Januar 38.

II

was Du nicht wolltest. Du warst auch nicht in der Lage, Hans Beit irgend etwas in Bezug auf Deine Wünsche zu sagen, sondern fragtest nur, ob es nicht irgendwelche andre Möglichkeiten gäbe. So konnte man auch beim besten Willen nicht weiterkommen. Nun schreibt Richard auf einmal Du hättest Lust, Mediziner zu werden. Ja, mein lieber Junge, so sehr einfach ist das nun leider nicht. Ich bezweifle es, dass es drüben irgendwelche Möglichkeiten dafür gibt. Könntest Du in KA. wohnen bleiben und würde man Dich dort noch so lange behalten (in Kost und Wohnung) bis Dein Studium herum wäre - obwohl ich mir das alles nicht recht denken kann, immer in die Stadt zu fahren zur Schule oder Universität, auch würde ja wohl die Jugendhilfe wohl kaum weiter Beträge für Dich transferieren, ich weiss nicht welche Vereinbarungen zwischen der Jugendhilfe und der Regierung in solchen Fällen getroffen sind. Ich weiss auch nicht, ob es sonst gestattet ist, Beträge zu Studiumszwecken zu transferieren, wenn ich das selbst tun wollte. Ich müsste mich da erst einmal bei den betreffenden amtlichen Stellen erkundigen. Ich könnte Dir wenn es sein müssste und auch natürlich amtlich gestattet wäre, natürlich den Betrag der jetzt immer nach Berlin bezahlt wird, transferieren; vielleicht dass es zu Studiumszwecken gestattet ist, ich weiss es nicht. Aber auch das wird natürlich kaum genügen, denn ein Studium kostet doch eine Menge Geld, die ich weder habe, noch transferieren dürfte, wenn ich sie hätte. Du siehst, Schwierigkeiten überall. Wie hier eine Lösung sein kann, weiss ich nicht. Wenn Richard hier eingreifen kann und eine Lösung weiss, soll es mir bestimmt recht sein.

Richard meint, man soll niemand zu einem Beruf zwingen, sondern soll jedem die ihm gegebene Neigung lassen usw. Das ist sehr schön gesagt. Richard kennt unsre deutschen Verhältnisse gar nicht. Wir haben uns in unsren Neigungen sehr umstellen müssen, es ist hier mancher junge Mann, der das Zeug zum Studium ht, vielleicht viel mehr als Du, aber es geht eben nicht, weil eben in D. nicht jeder Jude studieren darf, wenn es ihm einfällt, sondern es sind eine Menge Hinderungsgründe vorhanden. Wärest Du hier geblieben, so wäre hier auch keine solche Möglichkeit für Dich gewesen, Du hättest auch hier irgend einen andren praktischen Beruf ergreifen müssen. Wir müssen uns eben den gegebenen Tatsachen fügen, das nutzt alles nichts. Aber wenn Du es drüben im Verein mit Richard fertig bringst, so würde es mich natürlich sehr freuen. Erkundige doch mal, welchen Weg Du dort überhaupt erst mal einzuschlagen hättest. Da Du ja noch nicht einmal das Abitur hast, müsstest Du ja erst doch ein lang dauerndes Studium haben, bis Du zur Universität kämst.

Ich habe geglaubt, Du würdest Dich noch immer in das Leben der Kwuzah eingewöhnen, wenigstens um dort solang auszuhalten, bis einmal die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse sich drüben insoweit gebessert haben, dass man an ein Umsatteln noch immer denken kann. Du bist ja noch jung und brauchst noch lang nicht den Kopf hängen zu lassen, wenn es vorerst auch noch schief geht. Mir ist in meinem Leben schon manches schief gegangen und doch wieder grade geworden. Selbstverständlich ist es besser, wenn man in seiner Jugend lernt und zwar einen Beruf so gut lernt, dass man in diesem Beruf bleiben kann und darin etwas Rechtes leistet. Das Leben läuft dann folgerichtiger einfach an einer geraden Linie und es bleibt manche Sorge erspart. Aber wir Juden haben es eben nicht so leicht wie viele andre Menschen und wir schmieden nicht die Zustände sondern wir müssen uns von ihnen biegen lassen; das heisst nicht, dass wir schwach und wankelmütig sein brauchen, sondern gerade dieser Sturm braucht harte und aufrechte Menschen. Ich meine, gerade das weisst, Du ebensogut wie ich, dass man gerade bei Euch im Lande chasak und emaz bleiben muss! Drum geht es jetzt nicht, wie Du es Dir erwünscht hast und wie Richard Dich vielleicht noch in Deinen Ansichten bestärkt, so lass den Kopf nicht hängen. Edison hat in Deinem Alter noch Zeitungen ausgetragen und ist doch später mal der grosse Erfinder geworden, dem keiner in seinem Fach was weissmachen konnte, obwohl er in Deinem Alter vielleicht noch nicht einmal davon geträumt hat.

Ich erwarte nun mit Begierde Eure Nachricht, wie die Sache verläuft.

Von hier nichts Besondres. Es geht alles im alten Geleise. Grüsse Richard und die Bekannten alle. Du selbst sei geküsst von Deinem
Vater. [..]

3

Den Anfang habe ich gemacht, mein lb. Pips, und muss auch das Ende verzapfen. Ich musste in die Küche, sonst hätten wir kein Mittagessen bekommen. Vater hat Dir ja auch nun seine Meinung gesagt, und wollen wir nun alle zusammen hoffen, dass sich Deine Pläne verwirklichen lassen. Wir lassen Richard freie Hand, er wird es schon richtig machen, aber auch ich muss wiederholen, macht nichts ohne Hans Beit, man darf sich solche Stellen nie verscherzen, wenn er Dir auch direkt nicht helfen kann. Dann habe ich Dir noch was Nettes zu sagen. Hedwig Kahn sandte Dir gestern 1 Pf. Schokolade, was ich riesig lieb von ihr fand. Du kannst mal ein paar Zeilen für sie beifügen, sie würde sich sehr damit freuen. Hoffentlich erhältst Du auch das Paketchen. Nun mein lb. Junge haben wir uns hoffenltich gründlich verstanden, und wünschen weiter nichts als die Erfüllung Deiner Pläne. Vor einer Enttäuschung mögest Du bewahrt bleiben. Am liebsten packte ich meinen Kram, und käme zu Dir, um Dir helfen zu können. Aber so viel ist noch nicht in meiner Reisekasse, es wird noch etwas dauern. Falls Richard dort bleibt, und das scheint ja wohl der Fall zu sein, wird auch das für uns leichter werden, man hat dann immer einen, wo man hingehört.

Also nochmals alles Gute, halt den Kopf oben, auch wenn es im Moment nicht schön aussieht, einmal wird auch bei Dir wieder die Sonne scheinen.

Es umarmt Dich wie immer mit tausend Küssen
Deine Mutter.

Geh mal mit Richard auch zu Grünfelders, vielleicht kann Dir Dr. Grünfelder auch helfen.

Anbei 2 Scheine.

Was sollen Dir Kaufmanns mitbringen? Hast Du die Schuhe?

Dr. Grünfelder hat Dir ja schon mal zugesagt, er wolle Dir helfen.