Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 20. Januar 1938

Donnerstag, den 20.1.38.

Mein lb. Ernst!

Ich will schon einmal einen Brief beginnen, denn ich hoffe doch morgen wieder von Dir zu hören. Heute kam ein sehr lieber Brief von Grünfelders, die wörtlich schreiben „Eines der schönsten und rührensten Geburtstagsgeschenke war, dass Ihr Herr Sohn mit Blumen extra zu meinem Geburtstag kam, um mir zu gratulieren.” Du siehst, wie sich die alte Dame gefreut hat. Dann schreiben sie, Du hättest an der Universität zu tun gehabt und hofften, dass Du Dein Studium dort bald aufnehmen könntest. Es scheinen grosse Dinge dort vorzugehen, von denen ich morgen durch Dich und Richard zu erfahren hoffe. Ich will Dir nur beide Daumen halten, und wünschen, dass Du Dein Vorhaben ausführen kannst. Dass ich Deinen Brief herbeisehne, kannst Du Dir vorstellen, ich denke Tag und Nacht an Dich, oder an den Pips, der in diesen miesen Zeiten immer auf der Landstrasse herumgondelt. Zwei Sorgenkinder, denen ich nicht helfen kann und es so gerne möchte. Dass es mit einem Studium für Dich klappen könnte, glaube ich nicht, denn auch Richard schrieb in seinem letzten Brief „ihm ein Studium zu ermöglichen ist nach Rücksprache mit massgebenden Leuten ausgeschlossen, wenn man nicht wirtschaftlich sicher gestellt ist”, mit anderen Worten also, wenn man kein Geld hat. Damit darfst Du also kaum rechnen.

Freitag. Herzlichen Dank für Deinen lb. Brief vom 15. ds. my dear son! I thank you very much for your letter and I will also return answer of English. Every beginning is dificult and I can not very much. I have in the week one hour and then I learn with the father to house. It is a strict professor, but he can self not very much. - - Do you not have a new picture from you?? - - Sunday, we travel a (! französisch) Düsseldorf to Lilienfeldts. We carry with the wagon, then we must not first to the station. It gives then either cheese or apple cakes, and coffee. Suddenly, I must as quickly as I can to the lavatory. I am sorry, it is not lovely, that to say. Have you me also understand?

Thousand kisses from your
mother!

Nachdem ich mich eine viertel Stunde auf den Bauch gelegt habe, wie Du es früher immer gemacht hast, bin ich wieder normal. Ich muss wohl was gegessen haben, was mir nicht bekommen war. Aber nun weiter und zwar auf deutsch, was doch noch a little schneller geht als englisch. Dass Du bei Grünfelders warst wusste ich schon, siehe oben. Riesig nett aber von der Dame, Dir soviel Süssigkeiten zu schenken, von denen Du ja kein Kostverächter bist. Lore habe ich dieser Tage gesprochen, sie ist sehr dünn geworden und sah auch noch nicht besonders gut aus. Zur Schule geht sie nicht mehr, erstens durch ihre Krankheit, und dann wäre sie mal wieder sitzen geblieben. Garnicht zu verstehen, da sie auf ihre Weise alles andere als dumm ist. Also nur faul. Sie erzählte mir auch, dass sie einen langen Brief von Dir erhalten hätte. Von Richard haben wir unterdessen noch nichts gehört, hoffentlich steht seine Sache gut. Wenn er kein Geld hat, soll er Dir keine Schuhe kaufen, dann soll Herr Kaufmann, der Ende Februar nach dort kommen will, Dir welche mitbringen. Bitte schreibe uns deswegen, damit wir wissen, ob wir welche kaufen sollen. Richard kann dann sein Geld besser selber gebrauchen, sprich mit ihm deswegen.

Apfelsinen sind hier immer noch zu teuer um kaufen zu können, aber dass Du welche schicken sollst, war doch nur ein Scherz. Wenn wir keine haben, essen wir keine, Du wirst auch auf das Eine oder Andere verzichten müssen, ohne dass es Dir deshalb schlecht geht. Auch hier ist das Wetter nicht wie sonst im Januar. Nachdem es nur ein paar Tage bitter kalt war, regnet es schon länger und ist warm dabei wie sonst im März/April. Ungesund, deshalb ist auch alles hier krank. G. s. D. geht es uns aber recht gut, geschäftlich dürfte es allerdings viel besser sein. Dass es Dir ausgezeichnet geht, höre ich natürlich mit grösster Freude und wünsche ich Dir weiter alles Gute. Mal sehen, wie weit Frau Lillienfeldts Reise gediehen ist, sie haben denselben Dalles wie wir und müssen hinten und vorne rechnen. Aber ich wollte, ich könnte auch dazu schon einmal Vorbereitungen treffen, bei mir langt es noch lange nicht und ich hätte solche Lust, Dich bald einmal zu besuchen. Vater sagt immer, sei still, auch Du kommst einmal an die Reihe. Wenn nun Richard eine Existenz dort findet, ist es vielleicht eher möglich, wollen also für alle

Teile den Daumen halten. Hat sich eigentlich die Jugendhilfe immer noch nicht für Euch interessiert? Ich finde, drei Monate sind doch keine Ewigkeit, sondern im Handumdrehen vorbei. Haben die, die nicht mit auf Neuansiedlung gehen, alle etwas nach ihrem Wunsch gefunden, oder ist immer noch nichts beschlossen. Du schreibst so garnichts mehr, es sind doch alles Dinge, die wir wissen möchten, auch wenn Du nicht mitmachst. Vater hat dieser Tage deswegen bei der Jugendhilfe angefragt, sie stehen auf dem Standpunkt, dass es mehr wert wäre, Euch nach dort gebracht zu haben, als wenn ihr in den einzelnen Handwerkszweigen gründlich ausgebildet worden wäret. Das ist ein Standpunkt, der etwas eigentümlich ist, denn wenn ihr drüben seid, müsst ihr doch auch etwas lernen, um Euch ernähren zu können. Die Antwort steht noch aus.

Ich hoffe nun von Richard auch bald wieder zu hören, und Du erzähle uns mal, was Du auf der Universität getan hast. Warst Du für Dich dort, oder hattest Du zufällig etwas dort zu erledigen. Nach Grünfelders Brief sieht es sehr privat aus. Wenn Du das nächste Mal etwas ausführlicher schreiben wolltest wären wir Dir nicht böse, vorausgesetzt, dass Du Zeit hast. Wegen der Schuhe bitte ich um schnellste Nachricht, auch ob Du sonst noch Wünsche hast. Es dauert dann sicher wieder lange, bis wir dann mal wieder Gelegenheit haben, Dir etwas schicken zu können. Wie ist es mit Hemden oder Unterwäsche und Strümpfen? Hosen kaufst Du Dir besser dort, sie sind ja auch drüben netter in Form. Und wenn Du sonst noch einen persönlichen Wunsch hast, schreibe, schreibe!!! Es wird stockdunkel, um 4 Uhr nachmittags, und wollte ich, der Pips wäre bei dem Sauwetter erst wieder zu Hause. Bei schlechtem Wetter zu fahren, strengt ihn immer so sehr an. Ich freue mich nun schon wieder auf Dein nächstes Schreiben, und so verbringe ich meine kurzen Tage. Ich lebe immer in Erwartung der Dinge, die da kommen werden. Noch einmal küsst Dich innig und herzlich
Deine Mutter.

Mein lieber Junge! Ich habe Dir eigentlich heute gar nichts zu vermelden, da Dir die liebe Mutter schon alles Wissenswerte geschrieben hat. Ich war die ganze Woche auf Reisen, es geht so ziemlich, aber ich könnte noch viel mehr gebrauchen. Die Fahrerei ist zur Zeit nicht besonders schön, da es jeden Tag regnet, aber trotzdem noch besser als Schnee und Glatteis. Morgen fahren wir nun zu Lilienfeldts und wollen auf diesem Weg erstmals bei Kaufmanns anfahren um Frau K. die sich schon seit langem nicht wohl fühlt, einen kurzen Besuch zu machen. Es werden Euch dann wieder die Ohren dröhnen. - Von Deinem Onkel erwarten wir natürlich auch wieder mit Spannung Brief, wir wollten, es ginge alles nach seinem Wunsch. Wenn dann aus Deinen Plänen was werden könnte, so wäre das ja sehr schön, aber an so viel Glück glaube ich nicht, obwohl wir beide ja, Du und ich, Sonntagskinder sind und diese ja Glück haben sollen. Letzten Endes kommt ja doch alles wie es kommen muss. Man muss nur den guten Mut nicht verlieren.

Sei heute mit diesem Wenigen zufrieden, mein lieber Junge, ich weiss heute nichts Besondres mehr, dafür entschädige ich Dich gelegentlich wieder umsomehr. Grüsse Richard und alle Bekannten und Du selber sei vielmals geküsst von Deinem
[..] Vater.

Anbei 2 Scheine, 1 Negativ. Vaters Geschmier musst Du heute entschuldigen, er ist so müde, dass er an der Maschine fast eingeschlafen wäre. Deshalb die vielen Fehler.