Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 27. Januar 1938
Anbei 2 Scheine!
Donnerstag, den 27.1.38.
Mein lb. Ernst!
Obzwar Deine Post erst morgen fällig ist, möchte ich schon einen Brief beginnen, um Dir zu sagen, dass ich gestern ein Päckchen für Dich zu den alten Kaufmanns gebracht habe, die am 7. Februar nach dort reisen. Du kennst doch den alten Herrn, der hinter Vater in der Synagoge steht. Sie Sache ist nun die, wie Du es nach dort bekommst, da man von den alten Leuten nicht verlangen kann, dass sie es Dir bingen. Ich habe ihnen Richards Adresse in Tel-Aviv gegeben, damit sie es event. dort abgeben können, aber es ist ja nicht gesagt, ob er zu der Zeit dort ist. Sie sind nach dem 15.2. bei ihren Kindern
Josef Löwental Tel-Aviv Dizengoffstr. 120
und kannst Du es dort abholen lassen, falls Du Gelegenheit dazu hast, oder ihnen mitteilen, dass sie es Dir mit der Post zustellen sollen. Ich überlasse es Deinem Scharfsinn, wie Du es in Händen bekommst, und kann Dir nur guten Appetit dazu wünschen. Der Inhalt des Päckchens ist folgender: für Küken von seiner Mutter, bei der wir waren, eine Schachtel Likörbohnen und eine Tafel Schokolade, für Dich ein Kästchen Schokolade, eine Wurst, 2 Taschentücher, und ein rotes Ledermäppchen mit einem Brillenputzer. Ich habe überall nochmals Eure Namen draufgeschrieben, damit jeder zu seinem Recht kommt. Viel konnte ich den Leuten nicht anbieten, mitzunehmen, hoffe aber mit der Kleinigkeit Dir auch eine Freude gemacht zu haben. Die Taschentücher sind nicht neu, Richard sandte sie Dir einmal, und da wolltest Du sie nicht gebrauchen, vielleicht gefallen sie Dir heute besser. Das rote Lederetui hat mir so gut gefallen, auch schon deshalb, weil es besonders praktisch ist. Wenn Herr Kaufmann aus Düsseldorf kommt, kann ich mehr mitgeben, vorausgesetzt, dass Du bis dahin Deine Wünsche geäussert hast. Hast Du wegen Deiner Schuhe mir Antwort gegeben, sonst vergiss nicht daran. Übrigens hat Richard am 7. Feb. Geburtstag, ich weiss nicht, ob Du es Dir notiert hattest. Also, falls Du Sachen nötig hast, schreibe sofort, es hat keine Zeit mehr, Herr Kaufmann muss den Koffer früh aufgeben und es wäre schade, wenn wir die Gelegenheit nicht benutzen könnten. Alles andere bis morgen, in der Hoffnung, bis dahin wieder einen Brief von Dir zu haben. Was ist mit Pinchas los, ich hörte bei Kaufmanns, er sei aus dem Bund geflogen! Freitag! Mein süsser Pips! Man muss sich eigentlich wundern, mit welcher Pünktlichkeit immer die Briefe eintreffen, und kann ich Dir heute für Deinen vom 21. ds. danken. Was mir nicht gefällt, ist, dass Du mit Magenschmerzen zu Bett lagst, aber jeder hat schonmal eine Kleinigkeit, und will ich hoffen, dass Du den nächsten Tag wieder ganz in Ordnung warst. Wieso kommt so ein kleiner Junge an Magenschmerzen, isst Du nicht richtig oder woran lag es? Wenn Dir mal etwas sein sollte, was ich ja nicht hoffen will, gehe immer zeitig zum Arzt und fackele nicht erst solange herum, wie Küken es damals gemacht hat. Im Anfang ist alles immer viel leichter zu beheben, als im fortgeschrittenen Stadium. Ich hoffe aber, dass Du alles längst vergessen hast, bis der Brief Dich erreicht. Was nun Deine Wünsche anbetreffen, so wollen wir nun nicht mehr lange darüber verhandeln, sondern die Sache an uns herantreten lassen. Die Hauptsache ist, dass wir uns jetzt beiderseits verstanden haben, und alle Missverständnisse aus dem Wege geräumt haben. Wir wollen doch nur Dein Bestes, und wenn es nötig ist, springen wir auch gerne noch weiter mit einem Zuschuss für Dich ein. Vater hat schon bei der Jugendhilfe angefragt, wie das zu ermöglichen ist. Wie lange wir das noch können, steht auf einem anderen Blatt. Ich sehe nicht sehr zuversichtlich in die Zukunft, und würde mich von Herzen freuen, wenn ich mich geirrt haben sollte. Solange aber bei uns keine Veränderung eintritt, sind wir immer für Dich da, und kannst Du mit der Summe rechnen, die wir jetzt an die Jugendhilfe zahlen. Aber es ist ja alles noch nicht so weit, lassen wir die Sache erst einmal spruchreif sein. Im Grunde freue ich mich, dass Du hohe Ziele hast, und nicht aus Bequemlichkeit mit einem Schwarm überläufst. Ich bin nur bange, dass Du infolge der ungünstigen Zeiten erst noch auf Deine Pläne verzichten musst, aber was nicht ist, kann ja später noch werden. Wenn es auch nicht so schnell glückt, nur nie den Mut verlieren, einmal kommen auch wieder bessere Zeiten. Man muss natürlich alle Beziehungen ausnutzen, von selbst fliegen einen die gebratenen Tauben nicht in den Mund. Und da Richard ja überall seine guten Freunde sitzen hat, tust Du ganz recht. Wir sind auch jetzt ganz beruhigt in
Bezug auf Hans Beith. Wenn Du alles in seinem Einverständnis unternimmst, wird auch der Dir seine Hilfe nicht versagen. Ich verspreche Dir hiermit also feierlichst, mir keine weiteren Sorgen zu machen, und mit Dir alles in Ruhe abzuwarten. Dass Du kein Kind mehr bist, höre ich auf der einen Seite gerne, auf der anderen Seite hoffe ich, dass Du dir Dein kindliches Gemüt immer bewahren wirst. Du warst nämlich ein goldiger, kleiner Junge, mit ebenso einem Herzen, und das hoffe ich noch gerade so vorzufinden, wenn ich Dich s. G. w. einmal wiedersehe. Sonst habe ich weiter nichts dagegen, wenn Du im Leben Deine Ellbogen brauchst. Das kann nicht schaden. Die Kwuzah machst Du uns ja gründlich mies, aber es ist nie schön, von der Gunst anderer leben zu müssen. Wir wollen hoffen, dass wir beides einmal nicht nötig haben werden, und unser Brot immer selbst verdienen können. Und nun Gtt. befohlen, mein guter Junge. Hoffentlich are you better, was Dir von Herzen wünscht mit tausend Grüssen und Küssen
Deine Mutter.
Mein lieber Junge! In grossen Zügen hat Dir Deine Mutter geschrieben, was auch ich Dir sagen könnte. Ich bin ja mit Dir ganz einverstanden, wenn man das Mögliche versucht. Dass ein Mensch ausser Essen und Trinken und dem Dach über dem Kopfe schliesslich auch noch andre Wünsche in seinem Herzen trägt, das kann ich verstehen und weiss das ganz genau, denn auch meine Pläne deckten sich in meiner Jugend nicht ganz mit den Plänen meines Vaters, auch ich hatte andre Gedanken als nur für das tägliche Brot zu sorgen, aber was weiss denn ein junger Mensch davon, wie wichtig es ist, dass man gerade das besonders nötig hat; das tägliche Brot und das Dach überm Kopf sind viel wichtigere Dinge als man gemeiniglich annimmt. Trotzdem bin ich nicht so sehr materialistisch eingestellt, dass ich diese Dinge über alles andre stellen würde. Ich möchte Dich aber gerade in der heute so sehr schwankenden Zeit, wo sich um manche Menschen alles dreht, wo Dinge, die noch so fest gebaut sind über manchem Menschen einstürzen, ohne materielle Sorgen wünschen. Selbstverständlich wäre es sehr schön, wenn Du dann einen Beruf ergreifen könntest, der Dich unter allen Umständen und in welcher Umgebung auch immer Du bist, Dich ernähren könnte. Siehe hier Deinen Onkel Richard! Ich hätte zum Beispiel nichts dagegen, wenn Du Photograph, Zeichner, oder irgend ein Handwerker werden könntest, nur möchte ich nicht gerne, dass Du Dich für ein Handwerk entschliesst, bei dem Du - wie ein Feinmechaniker oder Uhrmachter - gebückt über die Arbeit den Tag verbringen müsstest, das wäre böse für Deine Körperhaltung. Kämest Du mit Tischler, Schlosser, Anstreicher, meinetwegen was auch immer, mir sollte es recht sein. Ich will Dich doch nicht zur Kwuzah zwingen. Das wiederhole ich Dir nun immer wieder und ich hoffe, dass wir uns nun wieder verstanden haben. - Dass Deine Vorfahren damit nichts zu tun haben, sondern nur die persönliche Neigung ist mir klar, ich schrieb das nur auf Richards Brief hin. - Nun wollen wir abwarten. Ich hatte ja auch nach Berlin geschrieben, aber dort lässt man sich mit der Antwort viel Zeit, es kann aber auch sein, dass sie in einem solchen Fall selbst nicht wissen, was tun, denn für sie genügt es, wenn sie die jungen Menschen ins Land gebracht haben, was sie dann nach den zwei Jahren Alijah machen, darüber machen sie sich anscheinend keine Sorgen. Dafür sollen dann wohl die halbfertigen Menschen oder evt. auch die Leute drüben sorgen. Ich werde Dich, sobald ich Antwort von Berlin habe, davon in Kenntnis setzen. - Die Hauptsache ist mir auch dabei, dass Du keine unüberlegten Schritte ohne Richard und ohne Hans Beith unternimmst; in dieser Hinsicht beruhigt mich nun dein Brief vollauf und will ich nun der Dinge warten.
Du fragst ob wir Edith die Bildchen gesandt hätten. Edith hat bis heute noch keine Zeile geschrieben, wir haben auch keine Adresse von ihr. Die kleine Person hätte ruhig mal schreiben können. Die Bilder haben, resp. Negative haben wir alle wieder an Dich gesandt, Du musst sie unterdess wohl erhalten haben.
Besonderes habe ich sonst nicht für Dich. Ich war diese Woche in Bielefeld mit Fritz zusammen, die ganze Woche wie immer fort. Mein Geschäftskram interessiert Dich doch kaum, zumal zu als Mistbauer doch keine Ahnung davon hast. Die Hauptsache, dass alles noch klappt. Und dass es uns wie auch Dir gut geht. Nun viel Küsse, allen Grüße,
[..]!! Dein Vater.