Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 4. Februar 1938
Freitag, den 4.2.38.
Mein lieber, guter Junge!
Heute erhielt ich Deinen lb. Brief vom 30.1. Dass er mir besondere Freude gemacht hat, kann ich gerade nicht behaupten. Vorige Woche, als Du schriebst, Du seiest nicht wohl, habe ich mir nichts weiter dabei gedacht, es fehlt einem jeden schon mal etwas, aber dass Du heute schon wieder schreibst, Du liegst zu Bett, will mir garnicht gefallen. Bist Du denn nicht einmal zum Arzt gegangen? Ich will nicht hoffen, dass Du ernstlich krank wirst, sei nur ja nicht leichtsinnig. Vor allem, schreibe genau, was ist, event. schreibe sofort an Richard.
Wieso kommen denn Grünfelders dazu, zu schreiben, sie hofften, dass Du bald Dein Studium an der Universität aufnehmen könntest, wenn davon garnichts dran ist? Ich habe ja diesen Dingen sofort zweifelnd gegenüber gestanden, denn ohne Geld ist das doch nicht so einfach, selbst, wenn man das Studium frei hat. Und dann ist die Aussicht für einen Arzt drüben noch schlechter als alles andere. Wieviel Ärzte haben umgesattelt, weil es unmöglich ist, sich als solcher zu ernähren. Für all die Aerzte sind noch zu wenig Menschen im Lande, mag sein, je mehr zuwandern, auch auf dem Gebiete mehr Aussicht sein wird. Ich hoffe weiter mit Dir, dass Richard etwas Passendes für Dich findet, woran Du auch Freude haben wirst. Und Richard selbst, wir hören so garnichts von ihm, und möchten doch auch da gerne auf dem Laufenden sein.
Jetzt muss ich einmal eine ganz dumme Frage stellen. Du schickst den Brief mit K.L.M. Luftpost, was heisst das? ich kann mir denken, dass es beschleunigt ist, bin aber nicht im Bilde. Lache mich nur nicht aus, ich weiss es nicht, der Pips kann mich sicher aber nachher aufklären. Auf jeden Fall danke ich Dir noch recht herzlich für Deine Fürsorge, uns nicht warten lassen zu wollen. Es ist wirklich rührend von Dir, aber so ganz mein guter Kerl. Dafür bekommst Du einen Extrakuss, und ein Paar sehr schöne Schuhe. Dieser Tage war hier Ausverkauf, und da habe ich für Dich eingekauft, selbst auf die Gefahr hin, dass Du schon welche von Richard hattest. Aber Schuhe kann man ja immer gebrauchen, deshalb habe ich Deine Antwort garnicht abgewartet. Sie sind zwar nicht braun durchbrochen, aber gefallen Dir bestimmt. Ich will Dir auch verraten, wie sie aussehen; Graue Wildlederschuhe, die Du nie zu putzen brauchst. Es war ein einzelnes Paar gerade in Deiner Grösse, und kosten statt Mk. 12,50 nur Mk. 5.- Dafür konnte ich sie doch nehmen, und wird sie Dir Herr Kaufmann demnächst mitbringen. Die Farbe kannst Du zu all Deinen Sachen tragen, ich bin sehr stolz, so schön, gut, und billig eingekauft zu haben. Diese Wochen waren Lilienfeldts zweimal bei mir. Mit ihrer Reise wird es nun auch bald etwas werden, nur meine klappt immer noch nicht. Und ich bin bange, dass sie noch lange nicht klappen wird. Am liebsten wäre es mir, wenn ich einmal käme, ich gleich dort bleiben könnte; vielleicht kann uns da Richard auch einmal zu verhelfen. Wenn man Arbeit nachweisen könnte, sind dann auch noch 1000,- Pf. erforderlich? Ich spinne immer auf einen Weg für uns, ohne Geld sieht man doch dem Narren gleich. Bis Du uns anfordern kannst, wird wohl zu lange dauern, wir möchten einen anderen Weg finden. Aber finde Du mal erst etwas Richtiges für Dich, alles andere wird schon werden, nur den Mut nicht sinken lassen. Hoffentlich bist Du wieder ganz hergestellt, bis Dich dieser Brief erreicht, mache uns nur keine sorgen. Mit allen guten Wünschen und recht gute Besserung, bin ich mit tausend Grüssen und Küssen Deine
Mutter
Anbei 2 Scheine. Vater brachte mir gestern Abend 2 Tafeln Schokolade mit, die ich eben an Dich weiter befördert habe. Wir beide sind ohnedem dick genug & ich freue mich noch mehr damit, wenn sie Dir gut schmecken. Die Eckchen habe ich davon gebrochen, damit man sieht, dass es für den eigenen Gebrauch ist. Nochmals viel Küsse Deiner
Mutter
Samstag, den 5.2.38.
Mein lieber Junge!
Ich habe dem Brief nicht viel mehr zuzusetzen. Nur das Gleiche: auch ich hoffe, dass Dein Unwohlsein nichts zu bedeuten hat. Du weisst, dass man sich drüben mit Krankheiten sehr in Acht zu nehmen hat und hoffe ich, dass uns Dein nächster Brief darüber wieder beruhigt, dass alles in bester Ordnung ist und Du wieder Deiner Arbeit nachgehen kannst. Über Deine Absichten will ich nun heute nichts weiter schreiben, denn es hat ja doch alles keinen Zweck, man muss eben abwarten, ob Du im Verein mit Richard und Beit was erreichen kannst. Merkwürdigerweise hat die Jugendhilfe mir auf meinen Brief bis heute noch nicht geantwortet. Ich werde noch einmal 14 Tage warten und dann bekommen sie aber einen geharnischten auf den Hut. Was die sich denken, weiss ich auch nicht. Vielleicht aber haben sie sich mal mit Beit ins Einvernehmen gesetzt um mal zu hören, wie die Verhältnisse in Eurer Gruppe sich eigentlich gestaltet haben. Ich bin neugierig und will die kurze Spanne mal warten. - Da wir ja mit Frau Alma kaum zusammenkommen, wissen wir jetzt immer viel weniger als wir sonst wussten, wir erfuhren doch noch nebenbei auch manches, was ganz interessant war. Du selbst schreibst ja immer sehr wenig über die Verhältnisse der Gruppe und auch des ganzen Lebens und der Zustände dort. Ich entbehre das sehr, zumal ich mir doch heute von allem eine viel bessere Vorstellung machen kann als früher. Es muss doch sicher auch manches sich mit Pinchas zugetragen haben, aber von Dir erfährt man nichts. Es ist wohl schon so: Dich selber interessiert das alles gar nicht tiefer, es spielt sich vor Deinen Augen wohl wie bei einem nicht interessierten Beschauer, der eben zufällig dabei ist, ab, aber es geht dich eben kaum etwas an. Drum meinst Du, es ginge auch uns nichts an und schreibst weiter nichts darüber. Vorläufig aber geht es sowohl Dich als auch uns an und wir müssen auch mit den sich dort abspielenden Dingen, wenn sie auch Dein tieferes Wesen nicht berühren, rechnen und uns darauf einstellen, solang Du in Kirjath Anavim bist und ich glaube, es wird wohl noch etwas dauern. Findet sich nichts Besonderes für Dich, dann sei froh, dass Du da bist und finde Dich mit den gegebenen Tatsachen ab, wie wir uns heute mit so vielen gegebenen Tatsachen eben abfinden müssen. Es geht eben leider im menschlichen Leben nicht alles nach den eigenen Wünschen, wie man sich das in der Jugend so oft vorstellt. Gerade da heisst es: chasak und emaz!
Von uns weiter nichts Besondres. Ich war die ganze Woche weg, die Tour nach Augustental, weisst Du es noch? Aber in Erndtebrück, wo Du zum Bett herausgefallen bist, war ich nicht, die Zeit langte nicht. Ich muss ausserdem die Tour nächste Woche nochmal machen, da ich verschiedene Mal nicht arbeiten konnte, es waren die Woche die ersten Inventurausverkaufstage und da hatten manche keine Zeit für mich. Das Geschäft ist zur Zeit nicht berühmt, aber es geht so einigermassen, sodass man ohne zu grosse Sorgen durchkommen kann, da wollen wir schon zufrieden sein.
Wenn Du Richard schreibst, grüsse ihn bitte, er dürfte auch mal öfters was hören lassen.. Auf Tour werde ich jeden Tag gefragt, was Du machst und wie es Dir drüben geht. All meine Kunden denken an Dich.
Sonst habe ich heute nichts Besondres für Dich. Sieh zu, dass Du mir gesund bleibst und mach mir keine Sorgen.
Also viel gute Wünsche und Küsse und [..]
Dein Vater.
Grüße alle Bekannten.