Erna Loewy an Sohn Ernst, 17. Februar 1938
Donnerstag, den 17.2.38
Mein lieber, guter Junge!
Auch heute kam Dein lb. Brief vom 11. wieder einen Tag früher als sonst, und freut es mich vor allen Dingen, zu hören, dass Du wieder ganz gesund bist. Hoffentlich hält es jetzt an, alles Gute mein Kind. Ich sandte Dir dieser Tage 10.- Mk. wenn Du irgend eine Stärkung nötig hast, kaufe Dir dafür was Gutes. Konntet Ihr bei Hans Beit etwas ausrichten? Ich kann Dir leider heute nicht viel Gutes berichten, und fällt es mir nicht ganz leicht, Dir diesen Brief zu schreiben. Du fragst heute an, ob Eure Vermutungen stimmen, ich möchte Dir reinen Wein einschenken. Wenn Du nicht danach gefragt hättest, hätte ich es Dir jetzt auch geschrieben, denn es hat keinen Zweck, Vogel Strausspolitik zu spielen, und den Kopf in den Sand zu stecken. Indirekt trifft es auch leider Dich, und musst Du Dich in etwa mit Deinen Plänen danach richten, denn es wird kaum gehen, dass wir Dir noch lange Zuwendungen machen können. Dienstag hatte Vater Geburtstag, und als Extrageschenk kam eine Kündigung seiner Vertretung. Sie schreiben kurz und bündig: Im Zuge der Arisierung der Deutschen Wirtschaft haben wir uns entschlossen, das Verhältnis mit unseren Nichtarischen Vertretern zu lösen. Wir kündigen Ihnen hiermit unsere Vertretung zum 30. Juni 1938. Mit deutschem Gruss Gebr. M. Ich hatte also keine sehr schöne Aufgabe, gerade am Geburtstag Pips mitteilen zu müssen, aber geahnt habe ich es schon lange. Vater wollte doch so gerne Lindenbaums Radio übernehmen. Im letzten Augenblick habe ich es ihm noch ausgeredet, ohne bestimmte Gründe, ich fühlte nur, es lag etwas in der Luft, wie ich schon auch Dir oft Zweifel ausgesprochen hatte. Von den übrigen Vertretungen alleine können wir nicht leben, wer weiss, wie lange wir diese noch behalten können. Was nun aus uns wird, weiss ich noch nicht, ich muss erst abwarten, bis ich morgen Abend einmal mit Vater alles besprechen kann, und hörst Du dann gleich seine Meinung. Er schreibt heute auf einer Karte, irgend etwas wird sich schon finden, am besten: raus! Aber wie sollen wir das anfangen, da wir ja ohne Geld nicht nach drüben können, und Du uns noch lange nicht anfordern kannst. Du schriebst unlängst mal, was unseren Stolz anbetrifft, so wäre es gleich, ob wir hier von der Gemeinde abhingen, oder von der Kwuzah K. A. das erstere wäre jedenfalls vorzuziehen. An für sich magst Du recht haben, aber damit sitzen wir ja immer noch hier. Wenn eine Anforderung möglich wäre, um nur hinüberzukommen, man müsste ja nicht dort bleiben, sondern man könnte sich Arbeit suchen. Wir sind beide noch keine alten Leute, und würden beide unseren Mann stellen. Ich ginge gleich in irgend einen Haushalt, oder was sich mir sonst bieten würde, was wäre mir gleich, wenn ich nur eine Möglichkeit sähe, ohne Geld reinzukommen. Am besten, Du besprichst einmal mit Richard unsere Lage, ich wollte Dich so bitten, Ihm diesen Brief zu geben, damit ich nicht zweimal schreiben muss. Du musst Dich nun nicht darüber aufregen, sondern nimm es mit der Ruhe hin, wie wir es getan haben. Die alten Herrschaften haben noch keine Ahnung davon, ich hatte nicht den Kopf, mir ihr Gejammer anzuhören, sie erfahren es noch früh genug. Vaters Jahresumsatz ist noch nicht ein einziges Mal kleiner geworden, auch war ihm die Kundschaft treu, das ist es ja, was man nicht in den Kopf kriegt. Sonntag fahren wir nach Gerresheim, und bringen für Dich Sachen zu Kaufmanns. Erstens die Schuhe, eine Wurst, Schokolade, und von den gewünschten Büchern, was ich finden kann & was nicht zuviel für Herrn Kaufmann wird. Ich möchte vor allen Dingen, dass Herr Kaufmann Richard einmal sprechen kann, es liegt mir sehr viel daran. Vielleicht finden die beiden zusammen einen Ausweg, eine Aussprache möchte ich auf alle Fälle. Also so sieht es bei uns aus, lb. Pipslein, wer hätte das gedacht.
Eure eigenen Angelegenheiten sind ja ziemlich verworren, ihr fliegt in alle Winde. Die Jugendhilfe hat uns einen Brief von Anfang Januar bis heute noch nicht beantwortet, wohl kam dieser Tage eine Mahnung über 40.- Mk. die aber schon bezahlt waren. Ich schrieb ihnen auch, dass das Geld bereits eingezahlt sei, aber eine Antwort auf meinen Brief von vor 4 Wochen, dem ich auch Rückporto beigelegt hätte, hätte ich nicht erhalten. Auch hier vor allen anderen Dingen Geld. Ich habe mir dieser Rate zum 24. Mal bezahlt, und auch gleichzeitig angefragt, ob das die letzte Rate sei. Vereinbarungsgemäss hätten
wir hiermit nun eigentlich nichts mehr an die Jugendhilfe zu zahlen, und bin ich schon glücklich, dass wir wenigstens solange zahlungsfähig waren. Andererseits könntest Du es aber jetzt noch besser gebrauchen, und da stehen wir vor einem Fragezeichen.
Auch hier hat es feste geschneit, aber das ist für hier ja nichts aussergewöhnliches. Nur hatten wir bis jetzt kaum Winter, und dachten schon, davon verschont zu bleiben. Sonst gibt es hier nichts Neues, ich glaube auch, es langt Dir für diesesmal. Aber lass den Kopf nicht hängen, einmal wäre es ja doch gekommen, ob nun etwas früher oder später. Wenn Vater zurück ist mehr, für heute nur viele herzliche Grüsse und Küsse, auch für Dich lb. Richard
Eurer Mutter & Erna.
Ich habe mich entschlossen, den Brief heute noch per Luftpost abzusenden, damit Du nicht lange im Zweifel bist. Er ginge sonst erst Samstag ab, das macht 2 Tage aus, also hörst Du heute nur von mir, Vater schreibt sofort nach seiner Heimkehr, also wie immer Samstag.
Nochmals küsst Euch
beide Mümlein.
Anbei 2 Scheine.