Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 19. Februar 1938
Krefeld, den 19.2.38.
Mein lieber Junge!
Du musst entschuldigen, es muss schnell gehen, ich muss gleich in die Stadt und Mutter will um 1 Uhr zu Kaufmanns nach Gerresheim, es ist schon gleich halb 12.
Vor allem: Dass Du wieder gesund bist, freut mich am meisten. Hoffentlich bleibt es jetzt nur, dass kein Rückschlag kommt. Von der Jugendhilfe kam gestern eine Rechnung über 600 Mill. für Reparatur der Brille und 645 Mill. für Zahnbehandlung, die umgerechnet 24,90 Mk (Kurs 20.-) kosten und die ich zu zahlen habe. Stimmt das, dass ich das zu zahlen habe oder sprich Du mal auf der Ssochnuth vor, sie möchten das mal schön streichen. Ich erwarte darüber Deine Nachricht.
Dass nun meine Sache mit Meister zu Ende geht, hat Dir die l. Mutter schon geschrieben. Was dann, das weiss ich heute selbst noch nicht. Ich will versuchen, einen Ersatz zu bekommen, aber das wird schwer sein. Ich möchte ja weg. Aber ich sehe keinen Weg, der nach Erez führt. Du gehst immer von dem Standpunkt aus, dass man es nicht gut in der Kwuzah hat, aber es dreht sich nicht darum um gut oder nicht gut, sondern nur darum, dort zu sein. Wir sind beide noch so jung, dass wir uns schon durchschlagen würden, wären wir nur mal dauernd da. Aber ich weiss nicht, wie man ein Zertifikat bekommt in meinem Alter ohne Kapital. Nach einem andren Lande zu gehen ist ebenfalls nicht so einfach. Bin ich in Holland oder wo Richard war, so kommt man umso schlechter nach Erez. Und Amerika? Ich wäre dann noch weiter von Dir entfernt und was dann?? Vorerst muss ich mal versuchen, was sich hier machen lässt. Sprich Du mal mit Richard ob er dort nicht irgendwie ermöglichen kann, dass wir ein Zertifikat als Arbeiter bekommen, wir wollen gerne eine Zeitlang in Kibbuz bleiben und dort arbeiten. Du lächelst und meinst das ginge nicht und könnten wir nicht? Warum nicht? Mir macht die Arbeit in der Landwirtschaft nichts aus und Mutter kann sich auch schon betätigen. Für Frauen ist immer Arbeit. Was später dann sein wird, kann man dann sehen. Nur dort sein. - Ich schreiben auch mal nach Berlin ans Palästina-Amt und frage an, ob es denn nicht möglich ist. Vielleicht kann ich erst eine Zeitlang in KA bleiben, bis man weiter sehen kann.
Du musst nicht etwa denken, es sei alles noch wie vor einem halben Jahr. Seither hat sich vieles geändert, und Deine Befürchtungen in deinem Brief werden schon stimmen. Man hat so viele Fehler gemacht, ich habe es auch falsch gemacht bei meinem Besuch, ich habe zu sehr vertraut und hätte mich auch dort mit Beith und andren massgebenden Leuten schon unterhalten sollen. Ich bin nun froh, dass Herr Kaufmann hinfährt, er will mal sehen was sich machen lässt. Er wird ja auch Richard sprechen, der kann hier mal Umschau halten.
Sonst geht es im allgemeinen weiter. Mein lb. Junge! Vater musste eben weg und will ich unterdessen noch einmal auf unsere Angelegenheit zurückkommen. Wir beide sind der gleichen Meinung, nur einen Weg finden, der uns hier heraus bringt. Ob der nun über eine Kwuzah führt, oder sonstwo ist ganz gleich. Ich meine, wenn wir erst die Möglichkeit haben, weggehen zu können, soviel wie wir beide bei unseren bescheidenen Ansprüchen nötig haben, kann man doch verdienen, und wenn ich irgendwo als Dienstmädchen anfangen müsste. Du weisst, mir war nie eine Arbeit zu viel, oder nicht gut genug, erst recht nicht in einer Zeit wie heute. Wir verlangten von der Kwuzah weiter nichts, als das sie uns die Möglichkeit gäbe, nach dort zu kommen, uns event. so lange ein Dach überm Kopf böte, bis wir was gefunden hätten. Aber nur raus. Herr Kaufmann wird mit Dir und Richard noch einmal alles besprechen, ich fahre gleich hin, um über Nacht dortzubleiben. Da Frau K. nicht ganz wohl ist, hat sie mich darum gebeten, sie wird sonst morgen mit ihrem Besuch nicht fertig. Da ich nichts zu versäumen habe, kann ich ihr den Gefallen tun, Vater kommt dann gleich morgen Früh nach. Wegen der Rechnung, die wir bekommen haben, musst Du mal nachhören, wir dachten, solche Kleinigkeiten vergütete doch die Krankenkasse. Angesichts unserer veränderten Lage sollen sie einen Strich dadurch machen, Du musst mal sehen, ob Du das so erledigen kannst. Nun mein Lieber, leb recht wohl, und tausend Küsse Deiner
Mutter
Mein lieber Junge! Es ist unterdessen 4 Uhr geworden, die liebe Mutter ist nach Düsseldorf, und ich habe meinen schriftlichen Kram etwas aufgearbeitet. Nun kann ich mal wieder anfangen, an Firmen zu schreiben um Ersatz zu bekommen. Das ist nicht so einfach und macht mir allerlei Sorgen. Ich habe Mstr nun noch bis Ende Juni, das sind ja noch einige Monate und bis dahin muss man sich eben umtun. Es sind ja noch 4 Monate Zeit, die zwar schnell vergehen, aber immerhin, man kann sich bemühen. - Wenn Du uns darüber schreibst, so tue das bitte auf einem Extrabogen, die alten Herrschaften sind noch nicht im Bilde und brauchen vorerst nichts davon zu wissen. Sage das bitte auch Richard, er möchte nichts an die Alten schreiben, und wenn uns dann immer separaten Bogen nehmen. Du weisst doch, die alten Herrschaften wollen immer alle Briefe lesen und wenn dann mal etwas drinsteht, dann ist ja Holland in Not. Sie machen sich ohnehin mehr Sorgen als notwendig ist. Ich bitte Dich, sicher daran zu denken. Nun heisst es eben, den Kopf oben halten.
Gesundheitlich geht es uns ganz gut. Das wäre aber auch alles.
Von Tante Hilda kam auch eine Karte, sie verliert auch ihre Stellung, denn ihre Fa. hat verkauft und die Leute ziehen nach Frankfurt und ist sie dann überflüssig, sie geht dann wieder nach Hause und will sich dann wieder bemühen eine neue Stelle zu finden. Für Frauen ist das ja alles viel leichter. Onkel Josef aber sitzt in Kr. und kann sich nicht ein Stück Brot verdienen. Das ist bitter. Ein Elend, wohin man auch sieht. In jeder Familie ist was andres los. - -
Dass Edith nicht geschrieben hat, wunderte mich sehr. Eine Karte hätte ich bestimmt erwartet. Nun - ich wünsche ihr alles Gute in Amerika.
Ich sehe eben Härig am Fenster. Er ist nicht mehr am Real-, sondern am hum. Gymnasium. Mutter sprach ihn dieser Tage.
Nun will ich aber schliessen, mein lieber Junge, denn ich muss noch eine Menge Briefe schreiben und darf das nicht auf die lange Bank schieben.
Also, sei vielmals geküsst und halt den Kopf hoch, mein lieber Bub,
[..]
Dein Vater!
Zwei Scheine!