Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 21. Februar 1938
Krefeld, Montag, den 21.2.38.
Mein lieber Junge!
Heute früh erhielten wir von Dir Deinen lieben Brief v. 14. ds. gleichzeitig auch einen von Richard; die beiden Briefe berichten uns über Euren Besuch bei Hans Beit. Dass bei dieser Unterredung vorläufig noch nichts Positives herauskam, wundert mich nicht, es ist wirklich so, wie Du schreibst, man muss Geduld haben. Wir haben für Dich ja auch reichlich Geduld und das ist es doch, worum ich Dich immer gebeten habe, als ich bei Dir war, Du möchtest erst mal in der Kwuzah ausharren und die schlimmste Zeit vorbeigehen lassen. Du bist so sehr jung noch, dass es ja nicht eilt, wenn Du noch einen andren Beruf ergreifen willst, Du kannst auch in 2 oder auch in 4 oder 5 Jahren nochmals umlernen und einen andren Beruf ergreifen, wenn sich die Verhältnisse im Lande einmal consolidiert haben. Nachdem das Studium ja ausgeschlossen ist, so kommt es gar nicht so sehr drauf an, die Hauptsache ist vor allem, dass Du in den nächsten Jahren dein Dach über dem Kopfe hast, Deine Arbeit und Dein Essen. Geistig weiterbilden kannst Du Dich ja deshalb trotzdem und wird sich dann auch mal ein andrer Weg finden. Ich rate Dir daher immer und immer wieder, bleibe in der Kwuzah, solang alles in der Welt so ungeklärt und grau aussieht. Es gibt ja auch landwirtschaftliche Unterberufe, die ein bisschen Grütze im Kopf erfordern, meinetwegen wie Fritz Königsfeld, oder dergl. aber das hat ja alles Zeit.
Viel brennender ist für uns im Augenblick unsre eigene Lebensfrage und hieran kannst Du erkennen, wie wichtig die materiellen Dinge des Lebens sind, denn es ist - ich will es nicht hoffen - - vielleicht demnächst so, dass uns diese alltäglichen aber allernötigsten Dinge fehlen. Es handelt sich hier nicht mehr darum, ob uns das Leben in einer Kwuzah gefällt oder nicht oder ob wir uns mit Lust und Liebe eingewöhnen, das eiserne Muss entscheidet. Das hast Du - Gtt sei dank! - ja noch nicht kennen gelernt. Du meinst, es gäbe für uns vorerst keinen Weg nach Erez, bis Du uns anfordern könntest. Und ein Leben in einer Kwuzah käme nicht in Frage, da wir uns nicht einleben könnten. Meinst Du, es ist vielleicht leichter, wenn wir uns in Südamerika, oder Afrika, oder in Holland oder USA - oder wer weiss wo einleben müssten? Ich halte es doch wahrscheinlich für leichter sich unter unsresgleichen einzuleben, als wieder unter andren, wo wir auch die Sprache nicht verstehen und erst lernen müssen. Dann lernen wir doch wohl besser Iwrith. Es ist nun leider so, dass wir nicht darauf warten können, bis der Zeitpunkt gekommen ist, dass Du uns anfordern kannst. Es muss ein Weg gefunden werden, dass wir in aller Kürze gehen. Du schreibst, als Kaufmann könnte ich in Erez nichts verdienen. Ich denke ja gar nicht an Kaufmann, sondern es muss und wird sich schon etwas finden lassen wenn ich mal da bin. Es gibt ja in den Siedlungen noch mehr Leute die 47 Jahre alt sind, schliesslich gehöre ich doch noch nicht ganz zum alten Eisen, und Deine Mutter auch noch nicht. Wir haben doch z. B. in Machar noch viel ältere Frauen bei der Arbeit gesehen. Wenn Du schreibst, eine schlechte Existenz in Deutschland sei besser als momentan in Erez, so kann ich Dir sagen, dass es nicht an dem ist, denn wenn Du gar keine Existenz hast und auch keine Möglichkeit, dann hört eben alles auf. Ob ich nun in USA oder Erez auf Aussenarbeit gehe, ist doch ganz egal. Alle schönen Träume hören da auf. Du musst nicht denken, dass ich aus Übermut schreibe, sondern in Anbetracht der zwingenden Tatsachen. Heute sind wir beide auch noch in dem Alter, in dem wir uns umstellen können, haben wir noch ein paar Jahre hinter uns gebracht, dann sind wir über 50 und alles Umstellen fällt noch schwerer oder ist ganz unmöglich. Jetzt können wir uns noch „zugewöhnen”. Dazu kommt, dass es dann vielleicht überhaupt zu spät sein wird. Den günstigen Zeitpunkt haben ohnehin schon versäumt, heute ist alles viel schwerer, als vor Jahren. - - Ich kann Dir unsre Lage nicht so deutlich schildern, aber es ist nicht mehr so wie früher, und Du kennst das alles nicht mehr, ebensowenig auch Richard. Ihr meint, das wäre alles noch so, wie anno dazumal. Aber wir geben uns keiner Täuschung mehr hin. Wenn ich heute nocheinmal von vorne anfange, wieder eine andre Fa. einzuführen, dann arbeite ich wie ein Pferd unter den grössten Entbehrungen und nach vielleicht einem Jahr wiederholt sich der gleiche Vorgang, wie jetzt nach 7 jähriger Arbeit. Solang war ich gut, und auf einmal nicht mehr.
Herr Kaufmann wird ja in den nächsten Wochen dort sein, er wird auch das
alles mit Dir und Richard besprechen, Ihr müsst nun nicht klüger sein wollen als er, er kennt die Sachlage und Ihr nicht. Vielleicht findet Ihr einen Weg für das Zertifikat, vielleicht durch die Kwuzah, der wir natürlich nicht zur Last fallen wollen, wenn man uns nicht dort haben will, dann gehen wir in die Stadt und arbeiten, ich werde schon etwas finden und Mutter geht, wenn alles versagt, als Chasereth, bis es eine Möglichkeit gibt. Vielleicht weiss Herr Grünfelder Rat, vielleicht kann auch Herr Mendel irgendwie helfen, der hat das alles ja selbst erfahren, wie schön das alles ist, vielleicht auch Georg Landauer, Richards Freund, oder sonst einer seiner einflussreichen Freunde, dass wir hinüber können. Es gibt ja auch noch Ausnahmen für Arbeiterzertifikate, so hat Dr. Meyrowitsch in Mischmar Haemek, mit dem ich zusammen hinüberfuhr, ja auch ein Arbeiterzertifikat erhalten und ist dann als Chawer in Mischmar Haemek eingetreten. Er war auch schon über 48 Jahre alt, dabei ein Akademiker, der noch nie mit seinen Händen gearbeitet hat, während mir doch die landwirtschaftliche Arbeit von meiner Jugend her nicht fremd ist, ich doch mit Pferden, Kühen und Hühnern umgehen kann und auch auf dem Felde arbeiten kann, denn ich habe s ja als Junge auch tun müssen, meiner verst. Vater hat uns dabei nichts geschenkt. Für Frauen gibt es immer Arbeit, sodass es für Mutter nicht so schlimm wäre. Und meinst Du, wenn sich Frau Fröhlich usw. zugewöhnen konnte, dann würde es Deine Mutter nicht? Von mir doch gar nicht zu reden. Ich habe mich im Feld an manche Dinge gewöhnt, die drüben bei weitem nicht so sind. - Findet sich für uns absolut kein Weg nach Erez, dann wird uns nichts andres überbleiben, als einen Weg nach Übersee zu suchen, vielleicht Argentinien, oder Columbien, oder wer weiss was. - Dazu kommt noch der gleiche Grund, weshalb Richard nicht in P. geblieben ist, reichlich kalt in diesem Winter und viel Schnee. Richard hat ihn sogar gerochen.
Den alten Herrschaften wird das natürlich nicht angenehm sein, wenn wir mal gehen, aber es wird sein müssen.
Gesten waren wir bei Kükens Eltern. Auch Walters Eltern waren da. Wir haben alle hin und her überlegt, wie mans am besten anstellen könnte um zu Euch zu kommen. Die andren habens leichter, die haben alle bereits Transfer angemeldet, es wird ja noch sehr lange dauern, aber sie haben doch die Möglichkeit, während uns das Geld zum Transfer ganz fehlt, ja nicht nur das, uns ausserdem eine wirkliche Not vor Augen steht, während die andren es wenigstens aushalten können ohne Not zu leiden.
Herr Kaufmann will für uns drüben alle Schritte die getan werden können ergreifen, aber ob es geht? Auch an die Kwuzah Kirjath Anavim muss er sich wenden, es geht eben nicht anders, die Not ist der Lehrmeister. Es mag Dir vielleicht anders vorgeschwebt haben, aber was sollen wir sonst tun? Auf Kosten von Hilfe und Aufbau nach Columbien, das ist auch nicht so einfach und dann - wann sehen wir uns dann jemals wieder?? Vielleicht nie! Ich will das nicht hoffen, sondern als Schlimmstes hinstellen, aber wir sind solche Pessimisten geworden, dass wir heute alles Trübe und Traurige mit in Rechnung stellen müssen.
Wir sind nur froh, dass wir wenigstens die 2 Jahre Alijah für Dich noch bezahlen konnten. Leider ist ja nun der Traum, dass wir weiter für Dich zahlen können aus. Ich werde noch bis Ende Juni vielleicht verdienen und was dann -? Ich bemühe mich zwar auch hier, aber ich habe wenig Hoffnung.
Mutter sagt ich soll schliessen. Sie will morgen weiterschreiben. Ich fahre morgen Früh bis Freitag Abend auf Tour und hörst Du also kaum mehr was von mir diese Woche. - Aber trotz all dem Trüben: Nerven nicht verlieren, die braucht man jetzt mehr denn je! Grüsse alle und Richard. Du selbst sei vielmals geküsst von
Deinem Dichliebenden Vater!
Mein lb. Ernst! Was soll ich nun noch hinzufügen? Ich senden den Brief erst an Richard, weil Herr Kaufmann erst zu ihm kommt & die beiden für uns überlegen müssen.
Halt den Kopf aber hoch & sei innigst geküsst von Deiner Mutter.