Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 26. Februar 1938

26.2.38

Mein lb. Richard!

Von Ernst hatten wir dieser Tage Nachticht, dass ihm eine Lehre in einer Buchhandlung angeboten worden sei, und sollten wir ihm umgehen mitteilen, ob wir den Betrag von 50.- Mk transferieren könnten. Unsere Antwort hatte er ja leider schon einen Tag vorher in Händen, aber ich schrieb ihm doch, er möchte die 14 Tage Probe wagen, vielleicht fänden sich doch noch Mittel und Wege. An und für sich sind wir ja weniger für eine kaufm. Lehre, da es sich aber um eine Buchhandlung handelt, und wir uns denken könnten, dass ihm gerade dieser Beruf Spass machte, möchten wir ihm, wenn es nur eben geht, dazu verhelfen, wenn Du und Beit es für richtig haltet. Ich schrieb also sofort nach München an Sali, und schreibt dieser heute, dass wenn wir nicht mehr können, er bereit ist, monatlich 25.- Mk zu zahlen. Die Hälfte wäre ihm also sicher. Nun sieht es bei uns folgendermassen aus. Bis Juni, also noch 4 Monate verdienen wir, können rechnen, für 6 Raten, dann hoffen wir doch auch noch etwas zu finden, und wenn nicht, Ernst seine Briefmarken zu verkaufen, die vielleicht auch 300.- Mk aufbringen. Für das erste Jahr wäre Deckung da, und meine, dass wir es mit Salis Hilfe, der dann ja einspringen könnte und würde, wagen könnten. Auf zwei Jahre zusagen, hätten wir ohne Kündigung auch nicht gekonnt, denn man lebt, ohne eigenes Vermögen zu haben, immer auf einem Pulverfass, mit der Frage, was morgen los ist, zumal in der heutigen Zeit. Also 1 Jahr könnten wir ihm zusagen, dann spränge Sali ein, und dann wäre er auch vielleicht schon soweit, mit weniger Zuschuss auszukommen. Wenn er 1 ½ Pf. verdient und kommt mit 40.- Zulage aus, muss er, wenn er nach einem Jahr schon mehr verdient, doch mit weniger von uns auskommen, d. h. er hat ja nicht nur Dinge für seinen Magen nötig, seine Sachen verschleissen ja auch einmal. Ich habe Dir die genaue Rechnung einmal aufgestellt, um mit Dir zu überlegen, ob wir ihn auf dieser Basis aus der Kwuzah nehmen können, und ich muss mich ganz auf Dich verlassen, der Du nun Vaterstelle vertreten musst & plötzlich zu einem Sohn gekommen bist. Ich nehme doch an, dass Dir mein Kind genau so am Herzen liegt, als wenn es Dein Eigenes wäre. Warum muss uns jetzt gerade das Unglück treffen, wo Ernst es noch so nötig hat; das trifft mich noch mehr als die Kündigung an sich. Nun soll Richard weiter schreiben, indessen von mir viel Gutes und Küsse Deiner Erna.

Lieber Richard! So ungefähr stimmt das alles, was Erna geschrieben hat. Ich habe ja vorerst also noch die Hauptvertretung bis Ende Juni, ich habe aber auch dann noch eine Menge vorverkauft, sodass ich von dieser Firma wohl auch noch verschiedene Monate später was zu bekommen habe. Ich habe auch noch andere Vertretungen, die aber nicht ausreichen um uns zu erhalten und weiterzuarbeiten, wenn ich nicht noch eine neue lohnende Vertretung finde. Ich habe mich nun inzwischen an ein Konkurrenzunternehmen gewandt, das mir nicht ganz ablehnend geschrieben hat, vielleicht klappt das, dann ginge es ja wieder einigermassen, obwohl ich diese Leute wieder neu einführen müsste und die ganze Arbeit, die ich nun in 7 Jahren geleistet habe, wieder vorne anfangen müsste. Mstr selbst hat mir auf meinen Brief mit dem ich die Kündigung bestätigt habe, geantwortet: Die uns geleistete Aufbauarbeit erkennen wir voll und ganz an und wissen, dass wir an Ihnen einen Vertreter hatten, der unsre Interessen 100 %ig wahrgenommen hat. Es liegt, wie Sie ganz richtig vermuten, kein andrer Grund zur Kündigung vor, als dass Sie Nichtarier sind. Sie werden verstehen, dass wir uns den rassenpolitischen Gedankengängen der Jetztzeit nicht verschliessen können”. Und dann fragt er an, ob er mich zu Ostern in Frankfurt nochmals sprechen könnte, oder ob ich evt. wie in den andren Jahren hinkommen würde. „Eine Zurücknahme der Kündigung dürfte jedoch als ausgeschlossen gelten.” Was soll man da sagen? Ich habe heute geschrieben, dass ich das Verständnis, das er von mir verlangt, für seine Massnahme nicht aufbringen konnte, ich würde ihn gerne sprechen, aber nicht hinfahren, da ich dafür keine Geld hätte. - Das ist also der Dank, dass man den Leuten ¾ Million Ware verkauft hat, dasss man ihnen 500 Kunden gebracht hat und ihren Namen populär gemacht hat, denn vor 7 Jahren waren sie ein total unbeschriebenes Blatt, da kein Mensch auch nur dem Namen nach kannte. Früher wussten sie nicht, was sie vor Liebenswürdigkeit tun sollten, heute hat der Mohr seine Schuldigkeit getan und kann gehen!

Ich habe nun den Herrschaften eine ganze Reihe von grossen Fabrikanten genannt, die ihren Standpunkt durchaus nicht teilen, vielleicht drehen sie sich doch nochmals, was ich zwar nicht glaube. Ich setze etwas mehr Hoffnung auf den andren Fabrikanten, mit dem ich in Unterhandlung stehe. Wenn das gelingt, dann habe ich zwar wieder einen schweren Existenzkampf, aber ich habe doch wenigstens die Möglichkeit weiterzuarbeiten und brauche die andren Fabrikanten, für die ich auch arbeite, nicht dranzugeben. Zwei davon lohnen sich einigermassen und muss ich diese mehr ausbauen, was ich kann, wenn ich die dritte Sache dabei habe, sonst fällt alles zusammen. Ich muss eben jetzt mal abwarten und sehen, was zu machen ist. Was den lieben Ernst nun betrifft, so bin ich trotz meiner schweren Lage und Aussichten doch dafür, dass er seine Lehrstelle antritt. Es werden sich schon Mittel und Wege finden, dass er die zwei Jahre durchkommt. Vorerst kann ich es ja noch allein, und nach einem halben Jahr braucht er ja schon nicht mehr soviel, wie jetzt und dann wird es wohl allmählich überhaupt weniger werden. Die Hauptsache ist ja, dass er seine Stelle hat, wo er was lernt und damit er später sein Fortkommen findet. Die ersten zwei Jahre sind ja so sehr schnell herumgegangen, die zweiten gehen vielleicht noch schneller herum. Jetzt wo Du drüben bist, hat er es ja auch sonst viel leichter, er hat doch wenigstens mal einen Menschen, mit dem er alles so besprechen kann, wie es ihm ums Herz ist. Der Beruf des Buchhändlers dürfte ihm ja wohl auch ganz gut liegen, er hat ja auch eine gewisse Tradition seiner Familie, nicht nur das; ich war ja selber Buchhändler in Frbg, - als ich ihn ins Leben setzte! Dass von den mich damals bewegenden Gedanken und Sorgen etwas auf ihn übergegangen ist, ist ja nach den naturwissenschaftlichen Gesetzen vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen, obwohl es vielleicht Maler gibt, deren Väter nie einen Pinsel in der Hand hatten. Wenn Du selber und Hans Beith es für richtig halten, wird es schon gut sein. Herr Beith möchte nun die Transferierung in die Wege leiten, damit ich Ernst den jeweiligen Betrag über die Havara transferieren kann.

Die liebe Erna macht sich in der ganzen Angelegenheit noch viel mehr Sorgen als ich selbst, ich sage immer, es hat bisher gut gegangen, es wird auch weiter gut gehen, auf irgend eine Art geht das Leben immer wieder weiter. Man muss nur sehen, dass man gesund bleibt und dass man die Nerven nicht verliert. - Du wirst ja auch bald Herrn Kaufmann aus Düsseld. sprechen, er fährt am Montag ab Triest, mit dem kannst Du alles in betr. Ernst besprechen, denn er kennt Ernst ja und auch unsre eigene Angelegenheit. Wir bitten Dich, wenn Du es irgend ermöglichen kannst, auch Schritte zu unternehmen, dass wir irgend einen Weg nach dort finden. Denn selbst wenn jetzt nochmals alles gut geht, wie lange und dann geht alles wieder von vorne an, denn auf die Dauer ist doch kein Halten und Bleiben.

Wir müssen sehen, dass wir einen Weg nach drüben finden. Es geht ja doch nicht von heute auf morgen und bis wirklich mal etwas soweit ist, vergeht viel Zeit, da sich die entsprechenden Instanzen sehr viel Zeit zu allem lassen. - - Von hier gehen jetzt auch wieder verschieden weg, darunter Fernich nach Amerika, Adolf Weyl, dein einstiger Freund ebenso, Familie Keller und Servos (Sally), dann sind jetzt drei erwachsene Jungens, die hinübergehen und Luise Wallerstein ihr Junge, der etwas jünger als Ernst ist und mit dem Ernst befreundet war, ist vor kurzem nach Amerika. So geht die Auswanderung immer weiter. Albert Hertz Coesfeld, den Ernst gut kennt, der Vater von Fiffi, wird demnächst auch nach Erez gehen, er will verkaufen, seine Tochter Lotte, die Ernst gut kennt, hat diese Woche geheiratet und geht auch bald hinüber. Auch die Schwester von Frau Hertz, eine Frau Strupp aus Bleicherode geht mit Familie nach Erez. usw.

Sollen wir da nicht auch an uns denken? Irgend eine Möglichkeit wird sich in Erez für uns wohl auch finden, was auch immer es ist.

Ernst wünscht eine Vollmacht, damit Du einen Vertrag mit S. wegen der Lehre abschliessen kannst. Ich sende sie Dir inliegend. Nun alles Gute und viele Grüsse und Küsse Dein
Richard.

Wenn Du an die alten Herrschaften schreibst, erwähne bitte nichts von all unsren Sorgen und Auswanderungsgedanken. Die wissen nichts. [..]

Gib Ernst bitte Nachricht, dass Sali zugesagt hat; ich schrieb ihm, dass ich hinschreibe. Er soll aber nichts nach München schreiben, S. macht das ohne Wissen seiner Frau.