Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 30. April 1938
Samstag, den 30.4.38.
Mein lb. Ernst!
Mit einem Tag Verspätung kam heute Dein lb. Brief vom 22 ds. & sage ich Dir schönsten Dank dafür. Unterdessen bist Du nun 18 Jahre geworden & hoffe, dass Du den Tag angenehm verbringen konntest. Ich freue mich auch, dass Du die Taschentücher erhalten hast, ausserdem sandten wir Dir 2 x eine Kravatte. Damit scheinst Du gesegnet worden zu sein, erst eine von Richard, dann die von uns & zu guterletzterzählte uns Lore, dass sie Dir eine Kravatte schicken wollte. Dann hast Du ja Auswahl genug, zuviel hat davon ja kaum ein Herr. Waren sie alle nach Deinem Geschmack? Von Neumanns ist es recht nett, Dich immer einzuladen, schliesslich ist es doch nur eine Schiffsbekanntschaft von Pips. Dass Du jetzt auch bei der Dame isst, höre ich gerne, dann bist Du wenigstens gut versorgt; hoffentlich haust Du nur besser rein als früher, & bist nicht nur zahlender sondern auch essender Gast. Du beklagst Dich immer über zu wenig Bekannte. Kannst Du Dich denn dort nicht jungen Leuten anschliessen, gibt es keine Klubs oder dergleichen? Du bist von K.A. gewohnt, unter jungen Menschen zu sein, ich kann mir denken, dass Du das entbehrst. Wenn man immer in einer Gemeinschaft lebt, möchte man manchmal raus, & ist man draussen, sehnt man sich wieder nach ihr zurück. Warst Du mit Fritz zusammen? Wir haben wegen des
Transfers immer noch nichts gehört. Falls wir bis Sonntag keinen Bescheid haben, fahren wir mal nach Düsseldorf, dort hält die Paltreugesellschaft Vorträge & versuchen wir mal, einen der Herrn sprechen zu können. Du könntest das Geld schon haben, was hier herumliegt. Von Vaters neuer Vertretung ist noch nicht viel zu sagen, da Ostern war & Pips kaum 8 Tage damit unterwegs war. Aber etwas anderes, Meister haben den Vertrag um 3 Monate verlängert, also bis Ende Sept. Das macht für uns natürlich viel aus & freue ich mich jetzt doppelt, den alten Levys nichts davon gesagt zu haben. Sie hätten sich unnütz aufgeregt; mit ihnen ist ja kein vernünftiges Wort zu reden. Manchmal sollte man glauben, man hätte kleine Kinder vor sich. Was es sich sonst tut, lest Ihr ja selbst in der Rundschau u.s.w. Ich hatte ja vor, einen Nähkursus mitzumachen, nun ist mir von verschiedenen Seiten davon abgeraten worden, weil man in so kurzer Zeit nichts lernen könnte. Und dann weiss ich nicht, ob es überhaupt richtig ist, oder besser etwas anderes lernte. Bespreche mal mit Richard den Fall, was der meint, was ich mal tun soll. Irgend etwas Praktisches möchte ich lernen, aber es müsste auch Sinn haben. So nimmt z. B. Onkel Sali einen Konditoreikursus mit, was haltet Ihr von Buchbinden? Oder hättet Ihr andere Ideen, die man drüben verwerten könnte. Irgend etwas muss ich lernen, damit man eines Tages nicht
II
wie ein Ochse vorm Berg steht. Gebt mir mal einen vernünftigen Rat. Hätte es Sinn zuschneiden & nähen von Herrenhemden zu erlernen oder was könnte man drüben verwerten? Ihr habt doch dafür bessere Ansichten als wir, gebt uns mal einen guten Tip. - Hast Du „Mutterlied” gesehen? Ich habe es vor längerer Zeit mit Pips gesehen & so fürchterlich im Kino dabei geheult, dass Vater mich furchtbar ausgelacht hat & gesagt hat, es wäre alleine schon eine Freude mit mir ins Kino zu gehen, um mich heulen zu sehen & zu hören!!! Hat er doch wenigstens zwei Vergnügen für einen Preis. Sonst weiss ich Dir nicht viel zu berichten. Gestern hatte Tante Mathilde Geburtstag & heute muss ich zu Blankensteins, Tante Bella gratulieren, die 84 Jahre wird. Uns geht es G. s. D. gut; vielleicht fahre ich demnächst mal auf ein paar Tage nach Holland, bevor unsere Pässe abgelaufen sind. Mein Sparen für Erez wird kaum Sinn haben, man wird keinen neuen mehr bekommen. Es wäre bitter, aber auch damit müssten wir uns abfinden & warten, bis wir ganz kommen können. Nun muss ich in die Küche, dann schnell noch tausend
Küsse Deiner Mutter.
Mein lieber Junge! Wie immer am Schreibtisch, viel - eben bin ich schon wieder von Ernst Kaufmann gestört worden worden, der von mir eine KKL-Spende holen kam - Arbeit, & alles ziemlich [..]. Aber es muß gemacht werden! -
Mit Deinem l. Brief hatte auch ich viel Freude. Hoffentl. bleibt nur alles so schön & erfüllen sich Deine Wünsche & Hoffnungen. Daß Du es nett hast bei Frau [..] ist
erfreulich. Woher ist die Dame? - Grüße gelegentlich auch Neumanns von mir. Wann kommt er nach Gelsenkirchen? - Heute kam nun auch das Schreiben von der Paltreu an, endlich; ich fahre nun gleich am Montag nach Düsseldorf & hoffe nun alles schnell erledigen zu können. Ich schreibe Dir, nachdem ich in Düss. gewesen bin nochmals. -
Von m. Vertretungssache willst Du ja nichts in Deinen Briefen erwähnen, evtl. lege einen extra Zettel bei, die Opa & Omas wissen nichts - sie sollen nicht fragen. Es wird auch weiterhin klappen. Nun erst mal bis 1.10.38, bis dahin klappt's hofftl. auch für den neuen schon.
Von Gerda hatten auch Brief; sie trägt sich mit dem Gedanken an Amerika; Tante Tini schrieb uns auch, Du möchtest ihr mal schreiben. Ich bitte Dich, das zu tun; es ist ihre einzige Freude.
Sonst für heute nichts. Ich habe jetzt keine Ruhe & ich & auch der Brief müssen fort. Mutter ist in der englischen Stunde u. ich soll sie abholen mit dem Auto, es gießt in Strömen.
Was hältst Du von Buchbinden-Lernen für mich?
Viele Küsse
![..]! Dein Vater.
Gruß an Richard.