Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 6. Mai 1938
Freitag, den 6. Mai 38.
Mein lb. Ernst!
Deine lb. Zeilen vom 30.4. kamen heute früh wieder pünktlich, auch kann ich Dir Deine Karte vom 26.4. bestätigen. Für beides viel Dank, die Hauptsache, Du bist gesund & zufrieden, wenn auch Dein Geburtstag sehr still verlaufen ist. Warum hast Du Dir an dem Abend denn kein Kino oder sonstwas geleistet, das hätte doch die Welt nicht gekostet. Aber, wie es Dir erging, so geht es fast jedes Jahr Deinem Vater. Er ist selten dann zu Hause & kuttert einsam & alleine irgendwo auf der Landstrasse herum. Aber das soll nicht das Schlimmste im Leben sein, die Hauptsache, wir sind alle gesund & das Rädchen läuft seinen normalen Gang. Dass Du im Geschäft vorwärts kommst, macht mir besondere Freude, scheinbar hast Du für Dich den richtigen Beruf erreicht. Hoffentlich ist auch Dein Chef zufrieden mit Dir & zeigt das demnächst mal durch eine kleine Zulage, was Dir sicher auch Spass machen würde. Edith scheint ja Glück zu haben, sonst hört man aus U.S.A. auch nicht viel Gutes. Es ist dort furchtbar schwer anzukommen & muss unzählige Arbeitslose geben. Den Gruss an Eugen Frank werde ich ausrichten, gestern habe ich mindestens ½ Stunde auf der Strasse mit ihm geschmust. Hellmut geht es sehr gut, er geht dort weiter zur Schule. Mir fällt eben ein, Du erwähntest mal Sprachkurse, lernst Du eigentlich jetzt englisch, was ich sehr richtig fände. Ich mache ganz nette Fortschritte, ich bin selbst erstaunt, wie leicht ich mit meinen 46 Jahren noch überkomme.
Vater war Montag wegen des Transfers bei der Devisenstelle in Düsseldorf. Dort musste wieder ein Antrag gestellt werden, der jetzt läuft & hoffentlich bald erledigt wird. Ich bin erstaunt, dass Du nie mehr 10,- bestätigst, Du musst doch im April längst was bekommen haben. Wenn wir transferieren, dürfen wir auf Pass nichts mehr für Dich aufgeben, kommen also dann Deinem Wunsch nach & senden 60,- Mk ein. Du hast leider dann nicht mehr davon als auch 3 L.P., uns kostet die Geschichte aber statt 50,- Mk 60,- also 10,- Mk mehr. Es ist viel ungünstiger, aber nichts dran zu ändern. Die Hauptsache, dass Du damit zurecht kommst. Du fragst, ob nicht bald Krefelder nach dort kommen. Unlängst schrieb ich Dir schon, dass Bertold Bruckmanns Schwester, die mit Herrn Hübschmann verheiratet ist, nach Tel-Aviv übersiedelt. Man könnte ihnen etwas mitgeben, was wären Deine Wünsche? Ein Buch können wir Dir hin & wieder mit der Post senden, aber auch da willst zu schreiben, was Du haben möchtest. Hat Pinchas Dich persönlich besucht, oder war er zufällig im Geschäft? Ersteres will mir nämlich nicht einleuchten bei Eurer guten Freundschaft. Dass tut mir sehr leid, ein furchtbares Schicksal. Was hörst Du von den andern, bleibt Werner in K.A. & was machen die neuen Siedler, Ilse u.s.w.? Frau Lilienfelds Urlaub muss doch auch bald herum sein, uns hat sie nicht einmal geschrieben. Ich bin neugierig, was sie erzählen wird. Kaufmanns, Löwenthals Eltern, die heute eine Woche hier sind, habe ich noch nicht gesprochen, vielleicht
II
kommen sie morgen am Schabbath. Diesmal freue ich mich, wenn er kommt, sonst kriege ich immer einen Schrecken. Er ist ein Klebpflaster & bleibt immer stundenlang. Das wäre Dein Brief & von hier gibt es wenig zu berichten. Gleich kommt der Pips heim, worauf ich mich freue & so vergeht bei uns eine Woche wie die andere. Gestern war Frau Rosberg hier, Fritz hockt immer noch stellenlos zu Hause. Ein fürchterlicher Zustand. Lore spreche ich ab & zu mal, sie ist sehr gewachsen, aber immer noch ein grosses Baby. Inge, die jetzt nach U.S.A. sollte, hat sich ganz plötzlich verlobt mit einem Ungarn, der in Paris tätig ist & auch dort wohnt. Die Verlobung ist Anfang Juni in Paris, Liebe auf den ersten Blick & es ist alles ganz schön bis auf einen Punkt. Was ich nicht begreifen kann, ist, dass sie heute noch einen Goi nimmt. Pips wird gleich auch den Kopf schütteln, aber das soll unsere Sorge nicht sein, jeder liegt, wie er sich bettet.
Hier scheint endlich die Sonne, aber es ist immer noch so kalt, dass wir die Öfen anhaben & Wintersachen tragen. Ihr habt sicher schon Hochsommer; wir warten auch geschäftlich sehr auf Wärme, es gut zu wenig Seide. Nun habe ich Dir mal wieder genug erzählt. Ernst Lamm fragt, wie es Dir geht & ob man mehr für den Aufbau im Lande in einem Kibbutz oder in einer Buchhandlung lernen könnte. Er möchte gerne mal mit Pips darüber diskutieren. Der junge Mann fühlt sich, er soll nur nicht so grosse Töne reden.
Nun, mein Kind, weiter alles Gute & tausend Küsse
Deiner Mutter.
Ist Rich. in Jerusalem?
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