Richard Loewy an Sohn Ernst, 3. Juli 1938
Sonntag, den 3. Juli 38.
Mein lieber Junge!
Heute früh kam endlich Dein lieber Brief vom Samstag, den 25. Juni, den wir seit Freitag sehnsüchtig erwartet hatten. Nun freut es uns, zu hören, dass es Dir gut geht. Das ist wirklich in der heutigen Zeit die Hauptsache, alles andere schwindet dagegen. Man hat so viele Gedanken und Sorgen, dass wirklich sich alles darum dreht, ob man gesund ist und ob man noch sein Brot hat. Du siehst nun heute vielleicht schon, wie begründet meine Sorge um Dich war, wenn ich Dir immer gesagt habe, bleibe in K.A. im Kibbuz, Du hast wenigstens keine Sorgen und die kleinen Dinge des alltäglichen Lebens braucht man dort auch nicht allein zu verantworten, sondern man trägt alles gemeinschaftlich mit den anderen und hat es dadurch viel leichter als wenn man in der Stadt allein auf sich selber gestellt ist. Nun ist das ja alles für Dich vorbei und anders gekommen; wir wollen nur hoffen, dass alles auch weiterhin für Dich gut verläuft und Du Dein Auskommen finden wirst. Dass jetzt im Sommer die Geschäfte im Buchhandel nicht gut gehen, das kann ich mir leicht denken, Herr Neumann liess uns sagen, es hätte einen Aufbesserung um ein halbes Pfund gegeben, nach Deinem Brief scheint es also leider nicht zu stimmen. Wie kommt N. denn dazu sowas zu sagen? Es tut mir leid, dass ich ihn nicht getroffen haben, er war hier im Gemeindehaus und hat dort gefrühstückt, er hätte doch wirklich mal zu uns kommen können, oder hätte wenigstens mal eine Karte schreiben können, dann hätte ich ihn irgendwo -, meinetwegen in Gelsenkirchen - besucht. Wenn er zu uns gekommen wäre, hätte ich ihn zwar auch nicht getroffen, da ich ja auf Reisen war, aber auch Mutter hätte sich doch sehr gefreut, was von Dir zu hören. Das kannst Du Herrn N. sagen, wenn Du ihn wieder sprichst, dass das nicht nett von ihm war. Na, vielleicht lässt er noch was von sich hören, aber ich glaube schon nicht mehr dran.
Soll ich Dir nun die Bücher über den Buchhandel per Post senden oder soll ich warten, ob sich nicht mal wieder Gelegenheit bietet, denn ich möchte doch nicht, dass eins verloren ginge. Schreibe bitte darüber.
Die Unruhen machen auch uns allen Sorge und hoffen wir nur das Beste, dass endlich mal Ruhe eintreten möchte. Hoffentlich zeitigt auch die Kommission mal was Richtiges, dass politische Ordnung und Ruhe ins Land kommt. - - In Europa ist ja auch bald eine Konferenz in Evian, die wir mit vielen Hoffnungen erwarten. Vielleicht ist auch damit mal Leuten geholfen, die nicht als Kapitalisten weggehen können, sondern leider auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind. Vielleicht wird dann auch die Einwanderung erleichtert, dass wir auch daran denken hinüberzukommen. - - Ende des Monats werden wir beide Mutter & ich zu meinem Hemdenfabrikanten fahren um dort etwas zu lernen, wenigstens das Notdürftigste, wie man ein Oberhemd und Sporthemd zuschneidet und näht, man muss ja an alles Mögliche denken, damit man dort vielleicht doch mal ein bisschen kann und was beginnen kann, wenn auch nur im allerkleinsten Rahmen. Mutter möchte auch noch Kindersachen anfertigen lernen, aber ob sich eine Möglichkeit dafür findet, wissen wir noch nicht genau. Man versucht ja vieles, so schreibt Onkel Sali, dass er schon seit 4 Wochen jeden Abend von 7-11 Uhr einen Kursus als Conditorlehrling mitmacht!!!! Er trägt sich ja auch schon seit langem mit dem Gedanken der Auswanderung. Was man später mal im Ausland macht ist ja gleichgültig, wenn man nur sein Brot verdient. Gestern wurde uns erzählt, dass Fernich in Amerika als Nachtwächter in einem Lokal tätig sei, mir erzählte neulich sein Vetter er wäre in einem Nachtlokal als Geschirr-Abräumer tätig. Sie Frau F. hatte erst als Tellerwäscherin gearbeitet, die Arbeit aber nicht aushalten können. Dann noch viel lieber im Kibbuz und den Kühen die Schwänze ausgewaschen!! Ja? - Von uns sonst nicht viel. - Heute Mittag kommen Lie-
lienfeldts mit ihrem Freund Dr. Orzegowski zu uns, da wird wieder allerlei über Euch gesprochen und wir werden viel über Frau L. zu lachen haben, wenn sie erzählt ist es wirklich manchmal zum Totlachen! Es werden ein paar ganz nette Stunden werden. Sie werden uns erzählen, dass sie wohl bald hinübergehen, entweder so oder so.
Von Richard schreibst Du kein Wort, kommst Du nicht mehr so oft mit ihm zusammen? Hoffentlich bekommt auch er bald sein Zertifikat. Nun genug für heute, ich weiss sonst nichts Besondres, was Dich noch interessiert. Alles Gute und recht viele Küsse
Dein Vater.