Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 17. Juli 1938

Sonntag, den 17.7.38.

Mein lieber Junge!

Ich war mit der lieben Mutter seit Freitag Nachm. in Gerresheim bei Kaufmanns um zu helfen und wir kamen gestern Abend um 10 Uhr heim, wo wir Deinen lieben Brief zu Opas Geburtstag vorfanden. Er hatte natürlich aus Neugier, weil er dachte, dass ein Teil für ihn dabei sei, aufgemacht und dabei auch den Teil gelesen, den er gar nicht lesen sollte. Nun war es nicht so sehr schlimm, dass er von Deinen-unsren Sorgen gelesen hat. Es ist ein Jammer, dass uns so gar kein Weg bleibt, nach dort zu kommen, wenn wir die 1600 Mk hätten, dann wäre es mir ganz gleich, wir würden eben kommen, wir würden schon irgendeine Arbeit finden, was, wäre ja ganz gleich. Das wird in aller Kürze hier ja auch so sein, dass wir beide uns irgendeine Arbeit suchen müssen, bloss um leben zu können. Denn Ende September wird wohl mit der ganzen Reiserei Schluss sein. Wir stehen dann von heute auf morgen vor dem nichts - was da wird, darüber bin ich mir heute noch nicht im Klaren. Arbeit in irgendeinem Betrieb gibts nicht, da ja keine jüdischen Betriebe mehr da sind, die jemand brauchen können, die paar, die überhaupt noch da sind haben Leute satt und können keine neuen einstellen.

Nun habe ich noch die grosse Sorge um Dich. Wer soll für Dich nun sorgen wenn ich nicht mehr in der Lage bin zu zahlen? Du hast noch fast 2 Jahre zu lernen und verdienst nichts, was soll da denn werden??? Du musst über diesen Punkt nun mal mit Deinem Chef reden, Dich eventuell auch mal an Hans Beith wenden, ob da die Jugendalijah noch einmal einspringen kann oder ob es sonst irgendwelche Mittel drüben gibt. Von hier aus gibt es kaum irgendwelche Hilfe für Deinen Fall, denn die Sorgen, die die Organisationen hier ohnehin haben, sind gross genug und übersteigen schon die Kräfte. Ich will selbstverständlich alles aufbieten, was ich kann um Dich solange mit durchzuhalten wie es geht, ob es aber noch lange dauert, das möchte ich stark bezweifeln. Es sieht alles so grau aus, dass man nicht durchsehen kann. Du schreibst, ich sollte mal Verbindung mit den Auswanderungsorganisationen halten. Ich habe mich an den Hilfsverein gewandt, der geantwortet hat, ich sollte Verbindung mit dem Pal. Amt halten, damit ich später Dir nachgehen könnte, sie könnten nicht helfen. Aus!! Dabei wissen sie ganz genau, dass eine Möglichkeit für mich nicht da ist, nach Erez zu gehen ohne Transfer.

Auch dass Du mich die ersten Jahre nicht anfordern kannst. Hätte ich all das im vergangenen Jahre geahnt, dann hätte ich in Kirj. Anavim schon die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Aber das ist nun vorbei. Ihr meint, leichter sei es nach Amerika; auch hier ist ohne Geld alles umsonst. Leider fehlen uns ja die reichen Verwandten im Ausland, die die Bürgschaft und das Reisegeld schicken. So ist alles vergeblich. Ich habe nun an den Hilfsverein geschrieben, sie möchten mir doch die Adresse meiner Kusine in Amerika besorgen, vielleicht bringen sie das wenigstens fertig. Ich habe vor langer Zeit an die alte Adresse, die aber fast [.]0 Jahre alte ist, geschrieben und keine Antwort erhalten. Ob diese Kusine überhaupt noch lebt und wo, das weiss ich ja gar nicht, ich kenne auch ihre Verhältnisse gar nicht, aber reich war sie bestimmt auch nicht und so ist doch auch kaum was zu erwarten.

So ist man wehrlos und sieht alles über einem zusammenbrechen und kann sich nicht helfen und muss abwarten, was weiter kommen wird.

Ich habe noch nie den guten Mut und die Hoffnung verloren, aber aus diesem Elend sehe ich mir keinen Ausweg mehr.

Dass Du gesund bist und zufrieden höre ich natürlich gerne. Esi ist auch nett, dass Du gerade mit Werner zusammen bist, den auch ich sehr gerne habe, denn Werner ist ein rechter Kerl. Grüsse ihn bitte recht herzlich. Ich freue mich auch darüber, dass Du wieder eine nette Wohnung bei netten Leuten hast. Sag mal, die Leute heissen Hirschberg aus Riga? Sind sie denn dann nicht mit meinem alten Freund Berry verwandt? Hast Du darnach noch nicht gefragt? So tu es bitte mal. Berry H. (Bernhard), Du weisst doch Dr. med. und Sänger, in Frankft. Berry ist geboren als Sohn von Samuel Hirschberg in Talsen bei Goldingen in Kurland, er hatte zwei

zwei Brüder, der eine Moritz wohnte lange vor dem Kriege Jahre lang in Moskau, Berry hatte aber schon seit etwa 1910 nichts mehr von ihm gehört und weiss auch nicht, wohin dieser älteste Bruder hingekommen ist. Sie hatten persönliche Differenzen und kamen deshalb auseinander. Dann hatte er noch einen Bruder, Simon, den ich auch kannte, da er 1912 in Frft mit seiner Frau zu Besuch war. Dieser Simon war Ingenieur und soll heute in Buenos Aires sein. Aber Berry hatte in Libau und auch in Riga viele Verwandte, in Libau einen Apotheker H. einen Vetter, auch andre in Riga. Einen Lehrer namens Schiffmann, habe ich während des Krieges zufällig in Riga kennen gelernt, das war auch sowas wie ein Vetter von Berry. Deine Hirschbergs sind bestimmt auch irgendwie mit den Talsener Hirschbergs verwandt. Es würde mich wirklich interessieren. Kannst sie auch mal fragen, ob sie Krons, Dr. Kron, grosse Sünderstr. 25 in Riga kennen. Dort habe ich mal Gastfreundschaft genossen.

Die nächste Woche bin ich mit Mutter die ganzen Tage in Gerresheim, wo am Samstag Schluss ist. Für Kfms ists auch nicht so leicht, sie wissen für Günther den Transfer nicht zusammenzubekommen und mit ihnen selbst geht es auch gar nicht vorwärts, sie haben die Papiere auch noch nicht so weit. Am schnellsten werden wohl Lielienfeldts kommen. Ich wollte wir hättens auch so einfach.

Tante Röschen aus Arnheim schrieb, sie hätte von Dir seit Du fort bist noch nichts gehört. Schreib denen mal eine Karte, Du warst ja damals auch dort und sie waren sehr nett zu Dir. - - Von Kr. schreibt Tante Hilda auch nur Miessigkeiten, überall Sorgen. Mit Ernst Lamm wirds wohl auch noch sehr lang dauern, bis er fortkommt. Hätte er sich damals nicht zu den Misrachi gemeldet, wäre er doch schon lang dort.

Tante Tini schrieb, dass Du ihr geschrieben, sie hatte viel Freude damit. Wenn Du mal nach Jerusalem kommst, gehst Du dann auch wieder zu Grünfelders? Daran denken bitte. - -

Heute wird wohl sich die ganze Familie hier einfinden. Onkel Alex und Hermann, ebenso Max sind eben bei Opa - - 12 Uhr Vorm. Heute Nachmittag werden die anderen wohl auch alle angetanzt kommen. Mir ist schon mies davor.

So, nun genug für heute. Ich habe noch meinen ganzen Geschäftskram zu erledigen. - - Grüsse bitte Richard und Du selber lass Dich küssen von
Deinem Vater.

Hast Du den Antrag? [..] gestellt? Es wird Zeit!!

Mein lb. Ernst! Vater hat Dir alles geschrieben & kannst Du Dir denken, wie uns zu Mute ist. Hoffentlich wird nicht alles so grau, wie es aussieht, aber ich wüsste nicht, wie es anders noch werden könnte.

Bleib gesund, mein Guter & nimm nochmals viel Küsse & gute Wünsche Deiner
Mutter.

Herrn
Ernst Loewy
The Bookstore Liberty
Tel-Aviv
P.O.B. 4020.
Post Allenby Rd.