Richard Loewy an Sohn Ernst, 10. August 1938
Gütersloh, 10/8.38.
Mittwoch. (¾ 2 h)
Mein lieber Junge!
Deine liebe Mutter läuft in diesen Minuten bei Richard ein & teilen sich meine Gedanken zwischen ihr und Dir, mein lieber Bub. Ich hoffe, daß sie ihre Reise gut überstanden hat & daß bei der Unterredung mit Richard ein praktisches Ergebnis erzielt wird. Vor ihrer Abreise erhielt Mutter gerade noch Deinen Brief v. 4. ds., den sie mir zugeschickt hat. Der Brief enthält den Vorschlag, daß Mutter zuerst allein fahren soll. Dein Plan ist so absurd, daß wir auf diesen Gedanken bis heute nicht gekommen sind - und trotzdem steckt auch darin ein Fünkchen von Möglichkeit, sodaß wir auch dies erwägen können. Mutter wird auf alle Fälle auch das mit Richard besprechen. Andrerseits aber werde ich, nach Abwicklung all meiner Geschäfte, auch hier so frei und erledigt sein, daß für mich kein Grund vorliegt, weshalb ich nicht gleich mit Mutter fahren soll. Denn an irgendwelche Arbeitsmöglichkeit, was auch immer es sei, ist nicht mehr zu denken. Du scheinst Dir hier total falsche Begriffe zu machen. Hier verbrauche ich nur das bißchen Geld, das ich von meinen Firmen noch zu bekommen habe & ich werde ein Stück unsrer Einrichtung nach dem andern verkaufen müssen, um leben zu können, wenn ich länger hierbleiben müßte & dazu Euch noch was schicken müßte. Es kann vielleicht bis Februar dauern, dann habe ich keinerlei Forderungen mehr an Meister zu stellen; dann bin ich noch schlechter gestellt als wenn ich etwa schon im November/Dezember mit Mutter fahre - und unterdessen könnten soviele unvorhergesehenen Dinge eintreten, daß ich eventuell überhaupt nicht mehr fahren könnte - und eine dauernde Trennung könnte Mutter ebensowenig wie ich selbst überstehen! Was dann! Ob es mir überhaupt leichter fiele allein nachzukommen, ist ja auch noch eine Frage. Und trotz aller Schwere dieses Deines Planes muß sich Richard nach seiner Rückkunft um Möglichkeiten einer Arbeit für Mutter (& auch mich), bemühen, denn es ist für uns kaum ein andrer Weg offen. Du scheinst vor allem überhaupt nicht zu wissen, daß ich ab 1./10. keinerlei Arbeit & Verdienst mehr habe & also spazieren gehen kann. Dazu bin ich doch wohl noch zu jung - und auch
nicht vermögend genug. Könnte ich es abwarten, bis mal Möglichkeiten anderswohin wären, dann ginge es ja. Das Schicksal ist grausam mit uns - und wir sehen keinen Weg aus dem Elend. - Ich besuche meine Kunden jetzt zum letzten Mal; es tut ihnen allen sehr leid, aber es ist nichts dagegen zu machen. - Wir haben an den Hilfsverein geschrieben, ob sie nicht die Adresse meiner Kusine in Amerika (St. Louis) erfahren könnten, aber noch keine Antwort. Bekämen wir auf diese Weise ein Affidavit, gingen wir nach USA, ich habe aber keine Hoffnung. Dann schrieb ich an Bruno Sailer nach Buenos Aires, aber auch hier ist die Hoffnung schwach = 0. - Immer bleibt mir: illegal Erez, es fragt sich nur ob wir bleiben dürfen. - Nun wollen wir abwarten, was mir Richard besprochen wird.
Daß Dir Tante Tini wieder schrieb, ist nett; gib ja bald Antwort. - Es freut mich auch, daß Erich gut schreibt; aber daß sie hofft nach 1 Jahr ihre Eltern anfordern kann, ist keine Hoffnung; ich glaube nicht, daß ihre Eltern noch so lange bleiben können. Denn wovon sollen sie leben? Auch sie scheint - ebensowenig wie Du - im Bilde zu sein!
Gesundheitlich geht es uns soweit gut; auch den alten Herrschaften, die allerdings sehr alt geworden sind, besonders Opa ist mächtig zusammengefallen; er geht fast gar nicht auf die Straße; hie & da zum Friseur & zu Max Meyer, der ja jetzt auf der Hubertusstr. wohnt, bei Deinem Freunde Goldstein, wo Tante Mathilde wohnt, im [..] parterre. - Heute gegen Abd bin ich in Bielefeld bei Hilde Meyer; sie gehen - wenn ihr Mann bis dahin zurück ist - am 27/8 nach Cuba, Erich Ley, der auch nicht zu Hause ist, will mit dem gleichen Schiff nach Mexico, ob es aber geht, weiß noch kein Mensch. Dr. Ernst & Paul gehts gut; denk Dir, Paul ist [..] & Kantor geworden! Aber sie sind zufrieden. Rudi Meyer ist wohl diese Woche von Holland aus nach Argentinien - als Klempner. Herbert ist in Rhodesien & gehts ihm gut; er ist mit Deiner Freundin Hanna a./Arnheim verlobt. - Rosbergs, bei denen auch die Arbeit am 30/9 aufhört, hoffen auf die Brüder von Frau R.; Fritz ist noch zu Hause; ein Riese, größer als Jupp. Gerg Kaufmann ist auch noch zu Hause!! Herbert Wey & Ualchen Kadden sind mit den Eltern in USA. Alles auseinandergerissen! - Nun genug & viel Küsse Dein
Vater.
Bleib mir gesund & [..]!
Schick mir die Marke bitte zurück!