Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 19. August 1938
Freitag, den 19.8.38
Mein lb. Junge! Unsere gemeinsame Karte aus Prag wirst Du inzwischen erhalten haben & nun bin ich schon wieder 3 Tage zu Hause. Es war eine wunderschöne Reise, ich habe unendlich viel gesehen, vor allem Richard nach 5 langen Jahren. Ich kann nicht sagen, dass er sich gross verändert hat, er bleibt sich immer gleich. Von uns wirst Du alles von ihm hören, das eine will ich nur vorausschicken, dass wir so schnell als möglich kommen. Sobald wir das Geld aufgetrieben haben; es lässt sich noch nicht sagen, wann das sein kann. Lilienfeldts reisen schon in 3-4 Wochen ab, bis dahin können wir leider nicht alles abgewickelt haben, wir wären gern miteinander gefahren. Natürlich habe ich Richard nach allen Dingen, die Dich betreffen, ausgefragt & viel Nettes & Gutes von Dir gehört. Leider konnte er mir aber nicht erzählen, dass Du Dich besser hältst, sondern immer noch so eine schlechte Haltung hast. Ich kann garnicht verstehen, dass ein junger Mann so wenig Wert darauf legt. Du würdest bestimmt ein Stück grösser sein, würdest Du mehr darauf achten. Turnen & schwimmen findest Du auch noch immer überflüssig, ich weiss nicht, was ich dazu sagen soll. Dass Du viel Interesse für Deinen Beruf hast, freut mich sehr, aber es gibt doch auch noch andere Dinge im Leben als nur Bücher. Man darf auch durch seinen Beruf nicht einseitig werden, sondern als junger Mann sich auch was Freude gönnen. Ziehe dich also nicht von allen Dingen zurück & hocke
über Deinen Büchern, sondern sei auch einmal lustig mit jungen Menschen. Und nun noch eines. Ich habe mich erkundigt, ob Du immer pünktlich ins Geschäft kommst & musste hören, dass Du Dich schonmal verspätest. Lieber Ernst, ich war 15 Jahre berufstätig & bin in diesen 15 Jahren nicht einmal zu spät gekommen. Und ich verlange von meinem Sohn, dass er pünktlich wie eine Uhr ist, ich hasse nichts mehr als Unpünktlichkeit. Selbst wenn Du einmal über Deine Zeit arbeiten musstest & wenn das jeden Tag geschähe, Du hast als Lehrling der Erste zu sein, wie auch der Letzte. Ich möchte Dich bitten, dass so etwas nie wieder vorkommt. Deinen letzten Brief mit Deinem Vorschlag, ich möchte schon alleine kommen, habe ich Dir nicht beantworten können, weil ich Richard erst sprechen musste. Es ist lieb von Dir, uns auf alle Fälle helfen zu wollen, die Idee war auch sehr gut, aber es ist besser, wenn der Pips erst kommt & dann komme ich gleich mit. Ich brächte ja auch jedes Opfer; aber es ist schon besser, wir trennen uns nicht & fangen wieder gemeinsam ein neues Leben an. 20 Jahre hatten wir Sonntag schon hinter uns, was werden die nächsten 20 bringen? Nun warte ich erst wieder Deinen Brief ab, der heute leider nicht gekommen ist & schreibe morgen weiter. Sage Richard noch einmal meinen Dank für die wunderschönen Tage, & viele Grüsse & Küsse Euch beiden.
Deine Dichl. Mutter.
Samstag, den 20.8.38. Eben kam Dein Brief vom 13.8. mein lb. Junge! Schönsten Dank. Es tut mir sehr leid, dass Werner so wenig Glück dort hatte & siehst Du daran erstmal, wie gut Du es getroffen hast. Aus diesem Grunde alleine schon sei auf Deinem Posten & lass nicht wieder Klagen hören. Was nun Deine Wohnung betrifft, so habe ich auch darüber mit Richard gesprochen. Hättest Du ihn gefragt, so würde er Dir von Deinem voreiligen Umzug abgeraten haben. Nicht, dass Du nicht mir Werner zusammenziehen solltest, dagegen hatte kein Mensch was, aber Du hättest erst einmal abwarten sollen, & dann hättet Ihr das immer noch machen können. Warum hast Du das nicht erst mit Richard besprochen, von dem Du doch weisst, dass er es nur gut mit Dir meint. Du besprichst doch sonst alles mit ihm. Ich hatte damals gleich Zweifel ob der Richtigkeit Deines Handelns, nachdem ich Dich bei Frau Hake so gut aufgehoben wusste & bitte Dich, wenn Du wieder zu ihr kannst, es auf jeden Fall zu tun. Vielleicht hat Frau Hake dann auch noch einen kleinen, billigen Unterschlupf für uns, denn es dauert hoffentlich nicht mehr so lange, bis wir dort sind. Je eher, je besser! Dass es Dan verhältnismässig gut geht, freut uns ganz besonders. Er hat ja fürchterlich mitgemacht, der arme Kerl. Der Bericht von Ilse ist wirklich interessant. Die gute Alma schwelgt in Dingen, die Ilse von der Neusiedlung erzählt & liest sie allen Leuten vor, indessen ihr Töchterlein längst andere Pläne hegt. Unsere Bücher werden wir wohl zum grössten Teil verkaufen müssen. Erstens kostet
der Transport zuviel, zweitens können wir als Touristen doch nur das Nötigste mitnehmen & drittens werden wir uns dort mit einem Zimmer begnügen müssen & dann wohin mit allem Kram. Übrigens bitte ich Dich, Deine Gummischuhe nicht zu verkaufen, sie passen Pips & der könnte sie dann gebrauchen. Schreibe einmal, ob Du sie noch hast, damit wir keine neuen kaufen. Im allgemeinen hat Richard mir schon gesagt, was Vater sich kaufen soll. Halt uns den Daumen, dass wir bald dort sind. In diesem Sinne schliesse ich für heute & bin nochmals mit vielen Grüssen & Küssen Deine Mutter.
Mein lieber Junge! Ich habe den Worten der l. Mutter nicht viel beizufügen, da sie alles Nötige geschrieben hat. Nur Richard sagte, daß Du Dir bald den pal. Paß besorgen könntest; tu das bitte & vergiß nicht. Mit uns gehts nun zu Ende hier. Ich habe mir für heute Herrn Maurer (entsinnst Dich noch an Drei-Stiefenbach?) bestellt, er soll m. Vertretung von Mstr haben; hoffentlich geht er auf meine Wünsche ein; ihm gönne ich wenigstens die Früchte meiner Arbeit & er wird mir auch dankbar sein dafür. - Dann muß ich allmählich mit Mstr wegen der Restzahlungen vereinbaren & im Novbr. sind wir wohl soweit. Ich möchte noch erst zu Tante Hilda & [..] Grab meiner Eltern & von allem Abschied nehmen. - Hier wird alles verkauft, weil wir das Geld für die Reise brauchen; Möbel, Bücher - auch m. Markensammlung, alles wird verschwinden müssen - es ist schade, abe rman muß sich eben von allem trennen. Ob ich Dir die gewünschten Bücher besorgen kann, bezweifle ich sehr. - Daß Du wohl bist, freut mich herzlich. Auch ich wünschte, daß Du wieder zu Frau Hake ziehst. - Mutter erzählte eben, daß Herbert Weyl als Stiefelputzer & Zeitungsverkäufer tätig ist in Amerika!! - Tante Hilda schrieb sehr betrübt, daß wir weggehen wollen; Ernst Kann kommt wohl auch im Frühjahr rüber. Nun genug für heute, ich weiß sonst nichts. Viel Küsse Dein
Vater.