Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 16. September 1938

Freitag, den 16.9.38.

Mein lb. Ernst! Gestern erhielten wir Deinen lb. Brief vom 9. ds. & danken Dir sehr dafür. Ich bin sehr froh, dass Richard wieder bei Dir ist, es ist besser so. Hoffentlich lässt er bald von sich hören. Von uns einige Neuigkeiten. Wir haben Anfang der Woche die Wohnung gekündigt & mit dem Verkauf unserer Sachen angefangen. Kleinigkeiten haben wir schon eine Menge verkauft, wie Lampen, Sessel, Porzellan & Kristall, aber von den Möbeln will noch nichts rutschen. Ein Händler bot mir für Ess- Herrn- & Wohnzimmer zusammen 350.- Mk, da musst auch Du sicher lachen. Es ist nicht sehr schön, eine Wohnung aufzulösen & sich von all den Dingen zu trennen, die man vielleicht in 25 Jahren zusammengetragen hat, aber man muss ein bisschen hart sein, denn diese Dinge sind schliesslich alles tote Gegenstände, an die man schliesslich einmal wieder kommen kann. Ich wollte nur, der Laden klappte etwas besser, denn je eher wir das Zeug los sind, um so schneller können wir hier die Bude schliessen. Vater & Mutter sind sehr vernünftig. Es fällt ihnen natürlich sehr schwer, aber sie freuen sich, dass unsere Familie nicht ganz zerrissen wird & wir 4 wieder zusammen kommen. Möglicherweise können sie auch wohnen bleiben & bleibt bei ihnen soweit alles im alten Geleise. Ich wollte, ich hätte erst alles hinter mir & sässe glücklich auf dem Dampfer & kotzte mich. Ihr wisst ja, wie leicht ich seekrank werde, die kleinste Schwankung vertrage ich ja nicht,

& habe ich mir die Zäpfchen, die Richard hatte, schon verschreiben lassen. Sonst ist alles beim Alten. Vater ist diese Woche garnicht dazu gekommen, auf Tour zu fahren, wir hatten soviel Lauferei, dass wir beide kaum zur Besinnung kamen. Morgen fahren wir zu Maurers nach Barmen. Zum neuen Jahr wünsche ich Euch beiden alles, alles Gute. Hoffentlich sehen wir uns recht bald wieder & kann ich Euch garnicht sagen, was das für mich für ein Gedanke ist. Ich darf daran garnicht denken, dass wir demnächst wieder einen Sohn haben, die Freude ist zu mächtig. Jetzt habe ich mich 2 ½ Jahre mit einem Bild begnügen müssen & mit Briefen. Das wird wenigstens wieder anders & dann möchte ich uns allen noch ein bisschen Glück wünschen.

Tausend Küsse
Deine Mutter.

Mein lieber Junge! Ich habe kaum viel beizufügen. Wir hatten all diese Tage einen Trubel & viel Lauferei; auch ich bin froh, wenn ich alles hinter mir habe & auf See bin; zwar auf die Seekrankheit bin ich nicht so wild wie Mutter; im Geiste sehe ich sie schon an der Reeling stehen; es geht ihr ja immer so. Daß auch ich mich auf Euch freue, kannst Du denken. Außerdem wünsche ich Dir, mein lieber, lieber Bub, alles Gute für Rosch Haschanah, ebenso Richard - immer auch uns an Eurer Seite. Schana towa! - Es wird doch schön sein, wenn wir zusammen sind.

Nachstehend ein Verzeichnis der Bücher, die ich Dir mitbringen möchte. Hoffentlich haben

wir nur soviel Platz:

Schillers Werke,
Goethes Werke,
Shakespeare Werke,
Ibsen Werke,
Heine Werke,
Tolstoi Krieg & Frieden III Bände
Pierrot Gleichen - Russwurm
Schlemiehl
Sittengeschichte des Orients, Paul Englisch
Der Mensch schreit. Albert Ehrenstein (Onkel Willis Nachl.)
Religion der Freude (selten) Drugulin Druck (Onkel Willis Nachl.) 1000 Exemplare vorhanden.
Gobineau, Apatische Novellen.
Gobineau, Renaissance
Keßler Walther Rathenau
Heptameron
Hermann Stanz, Kunstmappe
Flaischlen, Von Alltag & Sonne
Flaischlen, Jost Seyfried
Flaischlen, Im Schloß der Zeit
Das Liebermann Buch
Carl Meißner, Der schwere Weg (v. Onkel Willis Nachlass)
Meine Ehe mit Tolstoi
Laurids Brun Van Zantens glückliche Zeiten
Lili Kempin Die heilige Insel
Heines Briefe
Schumann vom Sinn des Eros
Buber Der grosse Maggid.
Genin Die ferne Insel
Jehuda Halevy Gedichte
Fabius Josefus (alte Bände)
Rembrandt als Erzieher

Webster engl. Lexikon
franz. Lexikon & einige kleinere Sachen
Biedermeier Malerei.

Also, mein Lieber, das wäre für heute alles.

Viel herzl. Grüße & Küsse
Euer Vater & Richard.

Deine Anfragen wegen der Formalitäten kann ich Dir dafür beantworten, daß wir genau unterrichtet sind & daß alles im Fluß ist & in Ordnung gehen wird.