Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 13. Oktober 1938

Krefeld, 13/10.38
Donnerstag.

Mein lieber Junge!

Herzlichen Dank für Deinen l. Br. v. 7.10. (letzten Freitag). Wir freuen uns, daß Du wohl bist.

Nach diesen 2 Zeilen bin ich zum Mittagessen gerufen worden & nun ists ¾ 8 Uhr Abends geworden!! Inzwischen habe ich schon tausenderlei andre Dinge getan, aber trotzdem es so spät ist, will ich weiterschreiben.

Du meinst, wir sollten in Haifa das Schiff verlassen; das ist ganz schön, aber das Gepäck müssen wir doch wohl nach Tel Aviv weitergehen lassen; ich weiß noch nicht, wie wir das machen werden & hier weiß anscheinend auch kein Mensch so richtig Bescheid. Es ist eigentlich unverständlich, daß keine Stelle hierzulande über Landung, Ausschiffung, Zoll etc. etwas Genaues weiß. Wenn wir mit all unsrem Gepäck schon in Haifa aussteigen, wer besorgt uns dann das nach Tel Aviv? Es sind ja 2 große Koffer, wahrscheinlich noch 2 Kisten & mindestens 3-4 Handkoffer!! Schreib uns bitte darüber postwendend, aber Flugpost, denn sonst könnte es zu spät sein. Nachdem nun unsre finanziellen Verhältnisse einigermaßen klar sind, werde ich morgen die Schiffskarten bestellen, damit nun endlich Schwung in die Sache kommt. Ich hoffe dann, daß wir in den ersten Novembertagen fahren können; ich muß mal morgen hören, was Herr Waldbaum vom Reisebüro meint. Er war heute verreist & will ich mal sehen, ob er etwas Genaueres weiß, was besser: Haifa oder Tel Aviv. Es kommt auch darauf an, ob die französischen Dampfer auch in Tel Aviv landen. Ich fahre doch lieber wieder mit der Messageries Maritimes trotz des damaligen Ärgers. Es ist viel einfacher von hier als über Triest.

Du schreibst, Du möchtest die alten Foto-Alben, die Hefte Deiner Schule & die Karl May-Sachen. Diese letzteren beiden geht gerade noch; die Hefte Deiner Schule hatte ich heute früh in den

Papierkorb geworfen - außer dem einen mit Deinem Aufsatz; ich konnte sie aber wieder rausholen. Die Karten von Karl May wollte ich mitbringen, aber nicht den „Führer durchs Karl May-Museum” & den Brief von Frau May nach seinem Tode. Nun auch das also. Die Foto-Alben bringe nicht mit, aber einen Teil der Fotos, soweit sie die nächsten Verwandten betreffen. Viel, sehr vieles haben wir vernichtet, darunter alle Briefe, - auch die aus meiner Kindheit, die ja noch alle da waren, auch Briefe aus dem Kriege von Mutter & mir; ich habe Tage damit verbracht, alles zu vernichten. Das Markenalbum möchte ich gern mitnehmen. Den Wiga-Block aber habe ich für 130 M an Kurt Seligm. verkauft; er will ihn aufbewahren & ich kann das Geld gut gebrauchen. Die schönen Ansichtskarten der italienischen Maler bringe ich wohl auch mit, wenn ich darf. Bücher nicht sehr viel; aber was soll ich mit dem Rest? Ich habe schon annonciert, kein Mensch meldet sich; man hat anscheinend kein Interesse für geistige Dinge. - Die Möbel sind alle weg, bis aufs Schlafzimmer; das scheint auch nicht an den Mann zu bringen zu sein. Das Auto habe ich am Sonntag verkauft; ich bin froh, daß ich diesen Schmerz los bin. Es ist alles sehr schwierig & widerwärtig, daß ich froh bin, wenn mal alles erledigt ist. Mitbringen werden wir also nur die Federbetten, etwas Geschirr, Eß- & Kaffeeservice, Bestecke, Wäsche, Kleider, einige Bücher - das ist alles. - Daß Du Deine Wohnung noch behältst, ist wohl richtig, Du kannst aber schon mal Umschau halten, wo demnächst eine kleine Wohnung frei wird, denn auf die Dauer können wir doch nicht bei Dir dort bleiben & müssen wir sehen, 2 Zimmer & Küche zu bekommen. Besprich das bitte mit Richard, er soll Dir behilflich sein. Natürlich kannst noch nicht mieten, da der Termin, wann wir kommen, nicht feststeht.

Die Großeltern haben sich mit Deinem Briefe sehr gefreut; es hat natürlich Tränen gegeben, wie Du Dir denken kannst. Es ist ja auch hart für die beiden Alten, allein zurückbleiben zu müssen.

II

Gestern war Dein alter Freund Günther Bruckmann hier; sein Vater ist gestorben & wird morgen beerdigt. Günther selbst ist groß geworden; ein sehr netter Kerl; er hat zu Jontef als Chasan fungiert, - da staunst Du? - Er ist in Magdeburg bei den Misrachisten (Bachad) auf Hachscharah & hofft 1941 auch nach Erez zu kommen. - Hörst Du eigentlich mal was von Richard Bruckmann? Speiers? Hat Dich noch niemand in Tel Aviv besucht?

Tante Tini schrieb eine Karte, & zwar von ihrer alten Adresse; ich kann nicht verstehen, wieso mein Brief zurückgekommen war, mit dem Vermerk: „ausgezogen, unbekannt wohin!” Sie war in Sorge, weil sie von uns nichts hörte - & wir in noch größerer um sie. - Hörst Du was von Grünfelders?

Gestern war Morscheles Mutter hier. Er hat sich zur Polizei gemeldet, was den Eltern gar nicht recht ist. Er ist (mit Fritz Schloß) in Gedera bei einem Dr. Eichengrün; M. geht auch nicht mit seinen Eltern nach USA; er schreibt, es wäre eine Feigheit jetzt das Land zu verlassen, er bliebe dort.

Heute sprach ich Jumbo. Er denkt Ende des Jahres nach USA zu gehen; sein Affidavit habe er schon länger.

Lore sprach ich zu Jontef. Sie wartet auf Deine Nachricht. Sie kann Dich nicht vergessen. Ihre Eltern wollen nach USA, - aber der No. nach dauert's noch 2 Jahre! Sie möchte lieber nach Erez!! Meine Kusine aus USA (St. Louis) hat auch nach 20 Jahren geschrieben; es sei sehr schwer drüben seinen Lebensunterhalt zu verdienen; obwohl sie gebürtige Amerikanerin ist!! Auch dort fliegen niemand gebratene Tauben in den Mund! - Herr Weyl (Herbertchens Vater) hat noch immer keinen Verdienst gefunden; Frau W. arbeitet & verdient den Unterhalt, er versorgt den Haushalt, Herbert geht zur Schule - & in seiner freien Zeit steht er auf der Straße & putzt Schuhe!! Hattet Ihr es da nicht viel besser in K.A. - trotz aller schweren Arbeit?! Und wie unzufrieden seid Ihr alle oft gewesen!!

Daß Ilse nicht in Bamaaleh geblieben ist, erstaunt mich doch. Sie hatte doch immer solchen großen Mund, daß man meinte, alles drehe sich um sie. Ihr Freund Nothmann ist ja auch dort weg, wie Frau Stern sagte. Mit Ilses Mutter kommen wir fast nie zusammen. Sie wohnt ja jetzt bei Onkel Michel im Haus. - Gestern Abend waren wir bei Onkel Alex auf ein paar Stunden; war ganz nett. Else hat - staune nur! - Transfer nach Erez angemeldet, - was natürlich noch Jahre dauert; aber sie hat mal angemeldet & wenn ihre Nr. dran ist, kommt sie rüber. - Hoffentlich wird nur endlich mal Frieden bei Euch im Lande. Hier erzählt man sich in den Zeitungen die schlimmsten Dinge. Es ist ja nun auch alles andre als rosig; besonders wenn solche Dinge passieren wie in Tiberias. Aber man darf den Mut nicht verlieren.

Nun genug für heute. Schreib sofort wegen der Landung & sei vielmals geküßt von Deinem Vater. Grüße Richard, L'feldts & alle Bekannten.

Mein lb. Ernst! Vater hat Dir diesmal so ausführlich geschrieben, dass mir nicht viel zu berichten übrig bleibt. Es geht uns soweit gut, nur macht uns unser Kram viel zu schaffen. Ich bin froh, wenn mal alles erledigt ist. Eben ist Pips zu allen möglichen Ämtern & hoffen wir, dass wir nun bald reisefertig sind. Für unsere Nerven wird es auch Zeit. Nur die Freude des baldigen Wiedersehens rafft uns immer wieder zusammen. Grüsse Richard & Lilienfeldts & sei Du selbst herzlichst geküsst
von Deiner Mutter.

14./10. Mein l. Junge!

Ich habe heute die Fahrkarten bestellt, weiß aber noch nicht, ob wir über Marseille einen Platz bekommen; wir müßten dann eben über Triest fahren. - Immerhin rechnen wir jetzt mit aller Bestimmtheit auf Anfang Novbr. Nochmals viel Küsse Dein Vater.