Schule

Ernst Loewy besuchte seit 1926 zunächst die jüdische Volksschule in Krefeld, die er nach eigenen Worten als „warmes Nest“ empfand, wo „jeder jeden kannte“.[12] Diese behütete Atmosphäre musste er 1930 gegen die Anonymität am örtlichen, konservativ bis deutschnational geprägten Realgymnasium eintauschen, was der Zehnjährige „als eine Art Schock“ erlebte. Das rührte nicht zuletzt daher, dass an dieser Anstalt, die von den meisten Söhnen des Krefelder jüdischen Mittelstandes besucht wurde, über eine Lehrerschaft verfügte, „in welcher der Typ des strammen Reserveoffiziers dominierte“. Die von Ernst Loewy zunächst nur diffus empfundene Bedrohung schlug 1933 schnell in offenen Antisemitismus um, wobei er, wie er später betonte, sowohl unter den Lehrern als auch unter den Mitschülern immer wieder auch solche kennenlernte, die ihn unterstützten und zur Seite standen. „Doch in meinen Erinnerungen an die Schule überwiegt das Schlimme; ja, diese Erinnerungen sind weitgehend von diesem bestimmt.“

Ernst Loewy hatte „das zweifelhafte Glück“, unmittelbar nach der NS-Machtübernahme sehr deutlich mit den neuen Gegebenheiten konfrontiert zu werden, die ihm gleich doppelt in der Person von zwei Lehrern entgegentraten, die sich als „alte Kämpfer“ der NSDAP zu erkennen oder sich zumindest als solche ausgaben, und die schon bald für ihr politisches Engagement mit Direktorenposten in Neuss und Duisburg belohnt wurden. „Ich hatte als Jude unter beiden - einer war noch dazu mein Klassenlehrer - nichts zu lachen, wurde angefeindet und ausgegrenzt.“ Dass man ihn für „unwürdig“ hielt, „die Hand zum Hitlergruß zu erheben oder das Horst-Wessel-Lied mitzusingen“, habe er, so Ernst Loewy, noch akzeptieren können, denn er habe es als „Vorzug“ empfunden, „hier nicht mitmachen zu müssen“. Aber die „Saat“, die die Lehrer ausgesät hatten, wäre eben auch „in den Pausen und auf dem Schulhof“ aufgegangen. „Nicht zuletzt auch deshalb, weil in meiner Klasse der Sohn eines hohen Naziführers war, der nach dem Schneeballsystem begierig das daheim und von den Lehrern Gehörte aufgriff und für seine Umsetzung unter den Mitschülern sorgte.“

Das nahm am Realgymnasium bereits 1935 derartige Formen an, die dem Fünfzehnjährigen einen Verbleib in der Schule unmöglich machten. Zu den zahlreichen antisemitischen Ausschreitungen im Sommer kamen dann im September des Jahres die „Nürnberger Gesetze“ hinzu, die die deutschen Jüdinnen und Juden zu Staatsangehörigen „zweiter Klasse“ degradierten und ihnen eine Eheschließung mit Partner*innen „deutschen oder artverwandten Blutes“ verboten. Vor diesem Hintergrund verließ Ernst Loewy die Schule zum Jahresende mitten im laufenden Schuljahr, ohne die „Mittlere Reife“ abzuwarten. Ein Verbleib sei ihm, so betonte er genau 50 Jahre später am gleichen Ort, „wegen des wachsenden Antisemitismus von Monat zu Monat, von Woche zu Woche, ja von Tag zu Tag, unerträglicher“ geworden. Ein solches Gefühl habe sich insbesondere durch das Bewusstsein entwickelt, „anders“ zu sein als die anderen, obwohl man gerade das „als deutscher Jude vielfach nicht wahrhaben wollte“.

Fußnoten

[12] Das Folgende nach Loewy, Jude, S. 20 und Ernst Loewy: Nach 50 Jahren. Rede bei der Gedenkfeier im Krefelder Gymnasium am Moltkeplatz (1985); in: Loewy, Stühlen, S. 72-77.