Emigration der Eltern
Im Laufe der ersten beiden Jahre, die Ernst Loewy in Palästina verbrachte, spitzte sich die Lage seiner Eltern in Krefeld dramatisch zu.[16] Sie verkauften schließlich bis auf das Schlafzimmer schrittweise ihre Wohnungseinrichtung und hielten sich kurz vor ihrer Ausreise in fast leergeräumten Räumen auf. Zugleich warteten sie sehnlichst auf die zur Emigration notwendigen Unterlagen und Devisen, schließlich auf die Tickets, so dass bis kurz vor der Abreise nicht klar war, ob die Reise über Marseille oder Triest gehen würde und immer auch deren Scheitern möglich war. Mitte Oktober begannen Richard und Erna Loewy damit alte Briefe und Fotos zu vernichten und berichteten von Freunden, Bekannten und Verwandten, die ebenfalls dabei waren, Deutschland zu verlassen.
Die Auswanderung entwickelte sich immer mehr zum Nervenspiel. So forderten die Loewys am 22. Oktober ein gefälschtes Attest aus Palästina an, dass Sohn Ernst erkrankt sei und dringend der elterlichen Hilfe bedürfe, um so den amerikanischen Konsul zur schnelleren Erteilung des Visums zu bewegen. Dann hoffe man, spätestens Mitte November nach Palästina aufbrechen zu können. Im letzten Brief aus Krefeld beklagte Vater Richard noch „Geld-Transfer-Probleme“. „Bis zum letzten Augenblick Probleme über Probleme.“ Als letztes Lebenszeichen seiner Eltern aus Krefeld gilt eine Postkarte vom 30. Oktober 1938, auf der von einem Abschiedstreffen mit drei Cousins von Mutter Erna berichtet wurde. Mit dieser Karte brach die Korrespondenz ab.
Warum seine Eltern danach nicht mehr schrieben, erfuhr Ernst Loewy nie. Er ging seinerseits davon aus, dass sie sich danach auf den Weg gemacht hatten und seine Briefe sie daher nicht mehr erreichten. Jedenfalls liegen bis zu ihrem Eintreffen in Tel Aviv am 21. November praktisch keine schriftlichen Zeugnisse vor. Aus den knappen Nachrichten, die er später hierüber erhielt, vermischten sich ihr persönliches Schicksal mit den sich überstürzenden politischen Ereignissen, die in der Pogromnacht mündeten. Richard Loewy hatte Glück: Die laufende Ausreise war den Behörden bekannt, weil die Pässe bereits abholbereit auf dem Polizeipräsidium lagen und das Einreisevisum nach Palästina darin bereits eingestempelt war. Noch unter dem Schock des Erlebten ging Erna Loewy am Tag nach dem Pogrom auf das Polizeipräsidium, wo ihr problemlos die Pässe ausgehändigt wurden. Daraufhin verließen die Loewys Krefeld am 12. November 1938 und überschritten am 13. November am Brenner die Reichsgrenze, um nach Triest zu fahren, wo sie nahezu mittellos mit lediglich 20 RM in der Tasche eintrafen. Sie wurden dort wahrscheinlich in einem jüdischen Flüchtlingsheim aufgenommen, wo sie die Zeit bis zum Ablegen ihres Schiffes, der „Galilea“, am 16. November verbrachten. Fünf Tage später erreichten sie am 21. November 1938 Tel Aviv.
An weitere Einzelheiten konnte sich Ernst Loewy nicht erinnern. Er wisse nur, dass er in den ersten Tagen sein Zimmer mit den Eltern habe teilen müssen und man direkt begonnen habe, sich um eine neue Unterkunft zu kümmern. „Aber damit beginnt ein neues Kapitel in meiner, in unserer Lebensgeschichte. Wir waren voller Glück, daß wir dieses Kapitel beschließen konnten, und ahnten nicht, vor wieviel Schlimmerem uns sein Ende bewahrte.“
[16] Vgl. Loewy, Jugend, S. 173ff. Hierbei handelt es sich um Erinnerungen zur Emigration seiner Eltern, die Ernst Loewy im Juli 1996 zu Papier brachte. Dort auch das Folgende.