Leben in Palästina
Als Erna und Richard Loewy nach Palästina kamen, hatte ihr Sohn den Kibbuz längst verlassen. „Der Knabe, den sie zwei Jahre vorher in die Fremde geschickt hatten“, so formulierte er es später, „war inzwischen ein junger Mann geworden, zwar noch ohne Verdienst, jedoch mit einer Menge Bildungssplittern sowie sozialistischen Vorstellungen im Kopf.“ Ernst Loewy hatte im März 1938 eine Buchhandelslehre in einer deutschsprachigen Buchhandlung in Tel Aviv angetreten und sich damit in jene Welt der Bücher und Literatur begeben, die die seine war. Er habe diesen Schritt in dem Bewusstsein getan, um „auf diese Weise meinen Interessen noch am ehesten nachkommen zu können“. Das machte auch einen Umzug in die Stadt notwendig, wo er seitdem ein kleines Zimmer bewohnte. Außerdem hatte er sich zwischenzeitlich auch völlig vom „angestammten Glauben abgewandt“, der ihm nun rein gar nichts mehr bedeutet. All das, so fasste er diese Entwicklungen später zusammen, sei „Ausdruck eines eigenen emanzipatorischen Selbstverständnisses“ gewesen. Umso enttäuschter zeigte er sich, als seine Eltern all diese Wandlungen ihres Sohnes „nicht zur Kenntnis nehmen wollten“.[17]
Vor diesem Hintergrund gestaltete sich das gemeinsame Leben in Palästina von Beginn an alles andere als konfliktfrei. „Um ein paar Pfund zu verdienen“, sei Mutter Erna putzen gegangen und sein Vater habe einen Hausierhandel mit Eiern begonnen. Das sei durch Bekannte auf dem Lande ermöglicht worden, bei denen Richard Loewy frühmorgens die Eier abholte, die er erst am nächsten Tag bezahlen musste. Sehr bald sei er dann auf den Verkauf von Seife umgestiegen, weil das deutlich weniger beschwerlich gewesen sei. Unter solchen Voraussetzungen schien es durchaus naheliegend und nachvollziehbar, dass der Vater die Zukunft des Sohnes - in erster wohl wegen der Versorgungssicherheit - weit eher in einem anderen Kibbuz gesehen hätte. Der sah das allerdings anders und sah sich daher - mit seinem Onkel Errell als „Verbündetem“ - nach einer neuen, ihm genehmen Arbeitsstelle um, die er schließlich in der ursprünglich in Berlin, nun ebenfalls in Tel Aviv beheimateten Firma „Kedem“ fand, die neben einer Buchhandlung auch einen Verlag unterhielt.
Der eigentliche und größte Wunsch blieb für Ernst Loewy jedoch unerreichbar, denn von einem Studium konnte er unter den gegebenen Umständen „nur träumen“. „Ich hatte kein Abitur, nicht einmal die Mittlere Reife. Meine Hebräisch- Kenntnisse waren gering. Vor allem aber hätte ich dafür Geld gebraucht, viel Geld, dabei mußte ich froh sein, daß ich — bald zusammen mit meinen Eltern oder sie mit mir — überhaupt über die Runden kam.“
Bald aber kamen bereits neue Herausforderungen auf ihn zu. 1940 lernte er mit „Rega“ (Regina) Schaller, seine spätere Ehefrau kennen, die ebenfalls mit der „Jugend-Alija“ aus Deutschland gekommen war. Sie war in Schweighof der Nähe von Badenweiler geboren worden, wobei ihr Vater jedoch aus dem österreichischen Teil von Galizien stammte. Die christliche Mutter hatte die Kinder allerdings im protestantischen Glauben erzogen. Der Vater, der offenbar bereits im Oktober 1938 nach Polen abgeschoben worden war, wurde kurz nach dem Einmarsch der Deutschen im ukrainischen Lemberg Ende 1941 auf der Straße verhaftet und kurz danach ermordet, während Regas Mutter die NS-Zeit überlebte. Das junge Paar, das 1941 bereits zusammenlebte, musste im gleichen Jahr auch den Tod des Großvaters in Krefeld verkraften, der dort eines natürlichen Todes starb. Die Großmutter wurde hingegen später nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet.
Nach seiner Tätigkeit bei „Kedem“ war Ernst Loewy, nachdem er ausgemustert worden war, in den Jahren 1942 und 1943 als Zivilangestellter bei der britischen Armee beschäftigt, von 1943 bis 1948 dann als kaufmännischer Angestellter. Von Mai 1948 bis Mai 1949 diente er schließlich doch noch in der israelischen Armee, um nach einem weiteren Jahr als Buchhändler von 1950 bis 1956 als Bibliothekar und Archivar im Presseamt der israelischen Regierung zu arbeiten. 1956 kehrte Ernst Loewy dann mit seiner Familie nach Deutschland zurück. Seit 1945 waren er und Rega verheiratet, 1946 war Sohn Ronny, 1951 Peter geboren worden.
Richard Loewy hatte bis 1942 zunächst in der Werbebranche gearbeitet, bis er sich seinerseits als Buchhändler selbstständig machte. Nach Auflösung des Geschäfts kehrten auch Richard und Erna Loewy unmittelbar nach ihrem Sohn im Februar 1957 nach Deutschland zurück. Nach einigen Monaten Aufenthalt in Krefeld zogen sie bereits im Mai des Jahres nach Frankfurt, wo sich Ernst Loewy mit Familie niedergelassen hatte, in die 1961 noch Sohn Hanno hineingeboren wurde. Von 1957 bis 1964 leitete Ernst Loewy die Judaica-Abteilung der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek und war anschließend bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1983 als Referent im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt tätig. Erna Loewy starb am 19. Juli 1960, Vater Richard am 6. Mai 1969 in Frankfurt.
Im April 1984 wurde Ernst Loewy zum Vorsitzenden der neu gegründeten „Gesellschaft für Exilforschung e. V.“ gewählt, 1991 zu deren Ehrenpräsidenten ernannt. Von 1984 bis 1993 gab er zudem den umfangreichen „Nachrichtenbrief“ der Gesellschaft heraus. Ernst Loewy starb am 17. September 2002 ebenfalls in Frankfurt.
[17] Loewy, Jude, S. 26.