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Jugend! Deutschland 1918-1945
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Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.

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"Die Rote Kinderrepublik" - Ein Buch von Arbeiterkindern für Arbeiterkinder
Die "Kinderrepublik" Seekamp (1927)

Die „Kinderrepublik“ Seekamp

Die erste offizielle Kinderrepublik, das 1927 durchgeführte große Zeltlager in Seekamp, war laut Kurt Löwenstein „der erste große Massenversuch, soziale und demokratische Gesellschaftsformen praktisch-pädagogisch sich auswirken zu lassen". „Die Staatsgewalt geht vom Kinde aus", hieß es nicht ohne Grund in dem Seekamp-Buch von Andreas Gayk. Indem die Kinderfreunde diesen Grundsatz vieler demokratischer Verfassungen auf ein Zeltlager von Kindern übertrugen, leiteten sie eine neue Entwicklung in der Pädagogik ein, in deren Rahmen den Kindern das Recht zugestanden wurde, ihre Angelegenheiten und die ihrer Gemeinschaft eigenständig und selbstverantwortlich zu regeln. Mit den Kinderrepubliken schufen die Kinderfreunde eine völlig neue Erlebniswelt, die in zumeist krassem Gegensatz zur proletarischen Lebenswelt der Kinder stand. In dieser neuen Umwelt konnten sie das Erlebnis der Gemeinschaft und der sie alle verbindenden Solidarität erleben. Nur auf diese Weise, so glaubten die Kinderfreunde, würden die Kinder befähigt, später als Erwachsene an der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse aktiv und verantwortlich mitzuwirken.

Ihre politischen Gegner hatten es für unmöglich gehalten, was die Kinderfreunde durchsetzten: ein Zeltlager dieses Ausmaßes, mitgetragen durch die Verantwortung der Kinder. Am 17. Juli 1927 marschierten 2.000 „Rote Falken" in Seekamp ein, erbauten in wenigen Stunden auf den Wiesen ihre Zeltdörfer und hissten die rote Fahne. Am gleichen Tage erklärte Kurt Löwenstein im Rundfunk, dass mit der Kinderrepublik „der romantische Gedanke" der Pfadfinderbewegung auch in der „Kinderfreunde"-Bewegung seinen Ausdruck gefunden habe, jedoch „mit dem Unterschied, dass die Indianerromantik sich in eine gesteigerte soziale Aktivität und in Formen gegliederter Selbstverwaltung umsetzte".

Jungen und Mädchen wohnten in Zelten zusammen, denn die Kinder hatten das ganze Jahr über zusammen als Gruppe gelebt und aus ihrer Mitte heraus die Kinderrepublik vorbereitet. Sie hatten ihren Zeltobmann gewählt, der ihre Interessen im Dorfparlament vertreten musste. Zwar wurde das Dorf von einem erwachsenen Dorfbürgermeister geleitet, aber die Kinder hatten im Dorfparlament, dem die Zeltobleute, der Bürgermeister und drei Helfer angehörten, die Mehrheit. An der Spitze des Lagers standen Lagerpräsident und Lagerparlament und die erwachsenen Sachwalter für bestimmte Aufgaben wie Ordnung, Veranstaltung, Ernährung, Transport, Material oder Post.

Das Lagerparlament bestand aus vier Abgeordneten aus jedem Dorfe, dem Lagerpräsidenten, den Sachverwaltern und den Bürgermeistern. Auch im Lagerparlament hatten die Abgeordneten der Kinder die Mehrheit. Diese nahmen ihre Aufgaben verantwortungsvoll wahr. Beispiel dafür ist der Bericht eines Kindes über die Kinderrepublik: „Ein Zeltobmann hat eine große Verantwortung. Er muss achtgeben, dass im Zelt und in der Gemeinschaft alles in Ordnung ist. Wir haben nämlich Selbstverwaltung, wir brauchen uns nicht von den Helfern kommandieren zu lassen. Wir beschließen, wer Wasser holt, Geschirr spült, Essen holt, das Stroh zur Nacht richtet, Schuhe putzt und was es sonst noch zu tun gibt. Ich schreibe das alles in mein Notizbuch und erinnere jeden, der seine Arbeit vergisst. Am Ende der Woche zausen sie mich, das heißt, sie sagen mir alles, was ich schlecht gemacht habe. Sie können mich absetzen."

„Unsere Kinderrepubliken" - so heißt es im Bericht über Seekamp - „sind sozial, einer hat es so gut wie der andere; und sie sind demokratisch: jeder kann bestimmen und dafür sorgen, dass es noch besser wird. Warum ist das in der Republik der großen Leute nicht so? Sie wollen doch sonst alles besser wissen! Lasst uns erst groß sein, wir werden es schon ändern. Ihr werdet schon sehen, dass es geht. Wir geben nicht nur schöne Plätze für Kinderrepubliken, wir machen aus ganz Deutschland eine große, rote, sozialistische Republik, und jeder, der in ihr wohnt, soll froh und glücklich leben können."