Zu diesem Zeitpunkt ist Familie Tomaschewski längst auseinandergerissen. Der älteste Bruder Erich wird mit 18 Jahren zur Wehrmacht einberufen und zunächst als Meldegänger in Italien eingesetzt. Im Januar 1945 wird er mit seiner Einheit an die Ostfront verlegt. Der Brief, in dem er der Familie diesen Stellungswechsel ankündigt, bleibt für lange Zeit sein letztes Lebenszeichen. Erst 1947 erhalten die Tomaschewskis Kenntnis von einem Brief, den Erich an seine in Berlin wohnende Tante geschrieben hat und aus dem sich sein Überleben ableiten lässt.
Auch der fast 60-jährige Stiefvater wird Anfang 1945 noch zum „Volkssturm“ eingezogen. Die Mutter bleibt mit ihrem 15-jährigen Sohn und den beiden Töchtern allein in Praust zurück. Als einziger Anhaltspunkt, wie man sich je wiederfinden könnte, dient die Losung, die der Stiefvater vor seinem Weggang zum „Volkssturm“ ausgibt: „Wenn wir mal auseinander kommen, treffen wir uns in Berlin-Britz wieder.“ Hier, im Bezirk Neukölln, lebt seine Schwester.
Vom Vater wird die Familie allerdings nie mehr etwas hören! Er sei zwar, so hört die Familie später von Bekannten, noch einmal in Praust gewesen und habe die zwischenzeitlich geflohene Familie gesucht, doch dann verliert sich seine Spur. Immerhin klärt sich 1947 aber das Schicksal von Bruder Erich, der nichts von der Flucht und dem weiteren Schicksal seiner Eltern und Geschwister weiß. Daher schreibt er als letzte ihm verbleibende Anlaufstelle wie verabredet an seine Tante in Berlin. Auch Charlotte hat lange vorher einen Brief aus Dänemark an die Tante gerichtet. Erst zwei Jahre später, so erinnert sie sich später, habe sie darauf eine Antwort erhalten. „Ich mach den auf und lese dann nur den Schluss: ‚Es grüßt und küsst Dich Dein Neffe Erich.‘ Dann sag ich zu meiner Mutter: ‚Hat Tante Amalia einen Neffen, der Erich heißt?‘“ Während Charlotte noch gar nicht realisiert, dass es sich um ihren Bruder handelt, weiß die aufgeregte Mutter sofort Bescheid: Ihr Sohn lebt!