„Wir wussten ja gar nicht, dass der Krieg zu Ende war.“ - Ankunft in Dänemark

Bei der Ankunft in Kopenhagen ist Dänemark noch durch die Wehrmacht besetzt. Die Ankömmlinge werden in einem schönen Hotel in Frederiksberg einquartiert. Während mehrere Hundert Menschen in großen Säle untergebracht werden, haben die Riedigers das Glück, dass ihnen ein eigenes Zimmer in der ersten Etage zugewiesen wird. Die Versorgung lässt hingegen sehr zu wünschen übrig.

In den ersten zwei Wochen können sie sich noch frei im Ort bewegen. Als sie bemerken, dass die Dänen großes Interesse an Goldschmuck haben, bedrängen die immer hungrigen Schwestern ihre Mutter, doch den Ehering gegen Lebensmittel einzutauschen. „Wir haben Hunger.“ Nach langem Zögern willigt Katharina Riediger ein. „Da konnten wir uns mal ein Brot kaufen und ein Stückchen Wurst, das war alles.“

Ein solch sprichwörtlicher Tropfen auf den heißen Stein hält natürlich nicht lange vor. Ein Soldat, so erinnert sich Gertrud Zillikens, habe den Mädchen deshalb geraten, in ein naheliegendes Wäldchen zu gehen. „Da liegt so viel Essenszeug von uns Soldaten.“ Tatsächlich findet Gertrud dort mit ihrer Mutter – beide mittlerweile durch Krankheit und Entbehrungen stark entkräftet – erhebliche Mengen an Konserven und Brot, die sie unter großen körperlichen Anstrengungen ins Hotel tragen. Nun können sie sich eine gewisse Zeit durchschlagen, geben aber auch viel an andere Flüchtlinge ab. Daher sind die Lebensmittel „ruck zuck“ aufgebraucht.

 

„Und dann war Schluss!“ Anfang Mai wundern sich die Flüchtlinge über eine ungewohnte Geräuschkulisse. „Wir haben gedacht: ‚Was schießen die denn alle hier so?‘, erinnert sich Gertrud Zillikens an den 4./5. Mai 1945, den Tag der Kapitulation der deutschen Truppen in Dänemark. Ein Blick aus dem Fenster zeigt, dass dänische Polizisten und Soldaten in die Luft schießen. „Wir haben uns erschrocken, denn wir wussten ja gar nicht, dass der Krieg zu Ende war.“

Nun ändert sich für die Flüchtlinge alles. Mit Ekel erinnert sich Gertrud Zillikens noch heute an die erste Friedensmahlzeit in Dänemark. Man habe von den Dänen oder dem Roten Kreuz eine Art Graupensuppe erhalten, „da schwammen so dicke Maden drauf“. „Das sollten wir dann essen. ‚Ne‘, sagt meine Mutter. ‚Ich fall zwar vor Hunger um, aber das esse ich nicht.‘“ Die Schuld für derart ungenießbares Essen liegt in diesem Fall aber nicht etwa auf Seiten der Dänen. Zuvor im Hotel angelieferte Lebensmittel – Brot, Butter, Wurst – sind von zwei Flüchtlingen, beide „als schwere Nazis bekannt“, unter der Hand zum persönlichen Vorteil verkauft worden. Dafür müssen alle anderen nun hungern. Beide werden daraufhin an Ort und Stelle verhaftet. „Und dann kriegten wir eine anständige Kost.“

 

Immer dann, wenn der Hunger doch wieder überhandnimmt, ist es Gertrud, die Eigeninitiative entwickelt, um der Familie zu helfen. Sie erinnert sich rückblickend, sie habe im Hotel Kartoffelschalen aus dem Mülleimer geholt und verspeist. Nicht nur das. „Was der Bäcker in der Nähe den Hühnern an Krümeln und Resten ins Gehege geworfen hat, habe ich mir im Morgengrauen, wenn ich über den Zaun geklettert war, geholt und gegessen.“ Es habe aber auch angenehmere Ereignisse gegeben. „Am Meeresufer haben wir Kinder Fallschirme gefunden. Aus der Fallschirmseide wurden Kostüme gefertigt und dann kleine Theaterstücke aufgeführt. Da staunten die Dänen und haben Beifall geklatscht.“