„Die Holzer, die waren einmalig.“ – Ablehnung und Hilfe

Zum Glück sind bei Weitem nicht alle Holzer so hartherzig wie die Bäuerin. Andere Landwirte aus der Nachbarschaft hätten ihnen abends oft etwas zukommen lassen, erzählt Gertrud Zillikens. Selbst der Mann der unfreundlichen Gastgeberin steckt den Riedigers ab und zu – und natürlich heimlich – Lebensmittel zu. Einmal habe er für sie ein paar Kartoffeln hinter ihrer Kohlenkiste in der Scheune versteckt. Auch das beobachtet die offenbar allgegenwärtige Bäuerin vom Küchenfenster aus und nimmt den Riedigers das kleine Geschenk prompt wieder ab.

Zum Glück habe es vier andere Bauern und weitere Menschen in Holz gegeben, die immer wieder geholfen hätten, denn seitens der Gemeinde kann sich Gertrud Zillikens an keine direkte Unterstützung erinnern. Im kleinen Dorf entwickelt sich im Laufe der Zeit eine Art zwar nicht offen gezeigter, aber dennoch praktizierter Solidarität. Als sich in der Dorfschule, die die jüngere Schwester Angelika besucht, herumspricht, dass es bei Riedigers am Essen mangelt, reagieren die Kinder hilfsbereit. Sie geben der hungrigen Familie ihre Schulspeisung ab, ein Verhalten, dass die mittlerweile 84-Jährige bis heute tief beeindruckt. „Die Leute waren alle sehr nett. Ganz Holz war nett zu uns!“

Die Gastgeberin wider Willen verändert ihr Verhalten hingegen erst nach der Währungsreform. Nun bietet sie ihren ungeliebten Gästen Butter und andere Produkte des Hofes zum Kauf an. Das hätte ihre Mutter allerdings „dankend“ abgelehnt, erzählt Gertrud Zillikens und ergänzt, dass sie die Kommentare, die Katharina Riediger bei dieser Gelegenheit ausgesprochen habe, nicht im Wortlaut wiedergeben möchte.

 

Auch auf eine andere Institution und deren Vertreter ist Gertrud Zillikens bis heute nicht gut zu sprechen. Angesichts des schlechten körperlichen Zustands von Mutter und älterer Schwester sucht sie eines Tages den Ortspfarrer auf und fragt ihn, ob es vielleicht möglich wäre, den beiden Geschwächten mit kirchlicher Unterstützung einen Aufenthalt in einem Erholungsheim zu ermöglichen. „Ach ne“, habe der kurz und knapp geantwortet, „für die Flüchtlinge ist da jetzt kein Platz.“ Da habe sie gesagt: „Hören Sie mal, Herr Pastor, wir sind auch katholisch, sogar streng katholisch. Gibt es keinen Platz für meine kranke Mutter?“ Und wiederum verneint der Geistliche. Man habe gerade eine Gruppe Einheimischer für einen solchen Kuraufenthalt ausgewählt. Es gäbe keine Plätze mehr – fertig!

Sie sei trotzdem noch lange in die Kirche gegangen, erzählt die von der damaligen Reaktion des Pfarrers tiefgetroffene Gertrud Zillikens. Und sie habe dort von ihren geringen Einkünften stets noch etwas für die Kollekte abgezwackt. „Eigentlich hätte ich sagen sollen: ‚Ihr könnt mich mal!‘“

 

Trotz negativer Erfahrungen mit Einzelpersonen überwiegt bei ihr insgesamt aber eindeutig ein positiver Blick auf die große Hilfsbereitschaft der Holzer Bevölkerung. Ob nun die Frau, die sie und ihre Geschwister mit selbstgenähten Kleidern versorgt, jene Mutter gleichaltriger Kinder, die ihnen dringend benötigte Unterwäsche schenkt oder andere Einwohner, die ab und zu mit Strümpfen und anderen nützlichen Dingen aushelfen: „Die Holzer, die waren einmalig. Das kann ich immer nur wieder sagen.“

 

Auch der Kontakt zu den Gleichaltrigen im Dorf ist ausgesprochen gut, da sie offenbar keinerlei Scheu an den Tag legen, die Neuankömmlinge zu akzeptieren und wie selbstverständlich zu integrieren. Die seien immer zum Hof gekommen und hätten gerufen „Hedwig, Gertrud, seid ihr fertig?“ Dann habe sie kurz durch das kleine Zimmerfenster geantwortet, und man sei gemeinsam zur Kirmes oder anderen Feierlichkeiten gegangen. Jeden Abend habe man sich zudem bei einem Nachbarn getroffen und vor dessen Haus auf einer Mauer mit langer Stange gesessen. „Da saßen wir wie die Hühner drauf, all die Jugendlichen. Das war wunderschön“, erinnert sich Gertrud Zillikens noch heute gern an diese Zeit zurück. Diese Treffen sind vor allem deshalb so wichtig, weil sie vom tristen Alltag in dem mehr als engen Zimmer ablenken. „Wenn es hieß, jetzt musst Du da wieder raufgehen, das war grausam.“