Mit freundlicher Genehmigung durch Spiegel-TV
Für Demokraten stellte 1938 ein Jahr der Niederlagen dar, denn die Aggressivität der autoritären Regime nahm zu und nur mit Mühe konnten die demokratischen Staaten den Frieden in Europa mit Beschwichtigungen und weitreichenden Zugeständnissen erhalten. Das galt insbesondere hinsichtlich zweier Ereignisse: Im März wurde Österreich in das Deutschen Reich eingegliedert und im Münchener Abkommen akzeptieren Frankreich und Großbritannien Ende September den Einmarsch deutscher Truppen in die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei.
Das alles überschattende innenpolitische Ereignis des Jahres 1938 war das im Volksmund als „Reichskristallnacht“ verharmloste Pogrom vom 9./10. November, das einen ersten Höhepunkt der Judenverfolgung in Deutschland darstellte. Erstmals gab es eine reichsweite systematische Aktion gegen die jüdische Bevölkerung, in deren Rahmen es zahlreiche Tote, Verletzte und Verschleppte gab, Synagogen niedergebrannt und Geschäfte sowie Wohnhäuser verwüstet wurden.
Zugleich liefen die Vorbereitungen für einen Krieg weiterhin auf Hochtouren, was dadurch erheblich erleichtert wurde, dass Hitler im Februar 1938 seine Kritiker innerhalb der Militärs ausschaltete und den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht übernahm. Nach außen hin wurden die expansiven militärischen Planungen dadurch sichtbar, dass im Laufe des Jahres aus dem gesamten Reichsgebiet Arbeitskräfte zum Bau des Westwalls herangezogen wurden. Auch das Volkswagenwerk, für das in Fallersleben im Mai der Grundstein gelegt wurde, hatte ebenso einen militärischen Hintergrund wie der Ausbau des Netzes der Reichsautobahnen auf über 3.000 km bis zum Jahresende.
Die Arbeitskräftefrage wurde zu einem immer größeren Problem, wobei auch der „Anschluss“ Österreichs und die Annexion des Sudetenlands keine wesentliche Entlastung brachten. Am nachteiligsten machte sich ein Mangel an Facharbeitern - vor allem im Baugewerbe, im Bergbau und in der Metallindustrie - bemerkbar. Durch zahlreiche Maßnahmen wurde daher versucht, sogenannte „Arbeitsscheue“ zum Arbeitseinsatz zu verpflichten und ältere Angestellte und Arbeitsinvaliden durch Außerkraftsetzung von Ruhevorschriften zu reaktivieren. Insbesondere die Großprojekte wie der Bau des Westwalls, des Volkswagenwerks oder der Ausbau der Hermann-Göring-Werke in Salzgitter erforderten hohe Zahlen an Arbeitskräften, deren Rechte immer stärker eingeschränkt wurden. Etwaigen Widerständen wurde mit Druck, aber auch mittels erhöhter Entlohnung und Urlaubsvergünstigungen begegnet. Die rüstungsbedingten Produktionserhöhungen forderten ihren Preis in Form von verlängerten Arbeitszeiten und einer starken Zunahme von Arbeitsunfällen und Berufserkrankungen.
Während die Belastungen am Arbeitsplatz zunahmen, sollte sich die Bevölkerung zur Unterstützung der Autarkiebemühungen des NS-Regimes im privaten Konsum einschränken. Kartoffeln und Mehlspeisen sollten statt Fleischwaren und Butter den Speiseplan künftig dominieren. Während Fleisch als Folge der zurückgehenden Viehhaltung knapp und teuer war, konnte Brotgetreide rechtgünstig erworben werden. In Zeitungen, Zeitschriften und Kochbüchern fanden sich zudem immer mehr Hinweise zur als volkswirtschaftliche Pflicht erklärten Verwertung von Speiseresten.
Gänzlich unbeachtet von der Öffentlichkeit bleibt die wohl folgenschwerste wissenschaftliche Tat des Jahres: Dem deutschen Physiker Otto Hahn gelingt die erste Kernspaltung.
1938 begann Hitler, seine lange geplante Expansionspolitik in die Tat umzusetzen. Am 12. März erfolgte der „Anschluss" Österreichs und am 1. Oktober die durch das Münchner Abkommen besiegelte Besetzung der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei.
Die nationalsozialistische Jugendarbeit richtete sich nun immer stärker darauf aus, ihren Monopolanspruch durchzusetzen. In der Folge wurde auch die letzte ernsthafte Konkurrenz der HJ ausgeschaltet: Ende 1938 erfolgte das Verbot der Katholischen Jungmännerverbandes, des größten katholischen Jugendverbandes, an dessen Stelle die Arbeit als „Pfarrjugend" trat, die durch ihren Mangel an jugendbewegtem Leben für viele Jugendliche allerdings weniger attraktiv war.
Innenpolitisch erreicht die rassistische Politik des Regimes einen vorläufigen Höhepunkt mit der von der nationalsozialistischen Führungsspitze zynisch sogenannten „Reichskristallnacht". In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden- angestachelt von Goebbels - im ganzen Reich die Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert und jüdische Menschen misshandelt, ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt.
In der Folge wurden fast alle jüdischen Jugendbünde aufgelöst, nachdem es bis Ende 1936 bereits zu einem Verbot aller nicht-zionistischer Bünde gekommen war. Jüdische Kinder wurden aus dem öffentlichen Schulsystem ausgeschlossen. Viele jüdische Familien wanderten nun aus oder brachten ihre Kinder über Auswanderungsgüter oder per Kindertransport im Ausland in Sicherheit. Doch für etliche war es für ein Entrinnen auch zu spät, und sie wurden in den folgenden Jahren deportiert und ermordet.
Das gesamte deutsche Erziehungswesen stand 1938 im Zeichen totaler Erfassung und einer noch stärkeren Ausrichtung auf die Ziele des Nationalsozialismus. Als Symbol für diese Bestrebungen von NS-Seite kann die Grundsteinlegung für zehn der 1937 eingeführten „Adolf-Hitler-Schulen“ (AHS) am 15. Januar gelten, die das Streben nach einer weitgehenden Verlagerung der Erziehungsaufgaben von der Schule in die - in erster Linie von der Hitlerjugend (HJ) - betriebene Jugendarbeit signalisierte.
Das Verhältnis von Schule und HJ wurde ohnehin vielerorts von Differenzen geprägt, woran auch die Einführung von HJ-Vertrauenslehrern zunächst wenig änderte. Als besonders umstritten galt im schulischen Bereich nach wie vor die Stellung des Religionsunterrichts. Das höhere Schulwesen erhielt am 29. Januar eine reichsweit einheitliche Struktur. Künftig betrug die Schulzeit nur noch acht statt neun Jahre und als Hauptform der deutschen höheren Schule galt statt des Gymnasiums künftig die „deutsche Oberschule“ mit Betonung der deutschkundlichen Fächer. Zugleich wurden immer mehr Privatschulen aufgelöst – im Jahresverlauf reichsweit rund 70 Prozent, während in Bayern 1938 bereits alle Privatschulen von der Schließung betroffen warten.
zuletzt bearbeitet am: 04.08.2016