Unter diesem Punkt findet sich in gebotener Kürze und mit Fokussierung auf die Jahre von 1933 bis 1945 ein Definitionsversuch von „Propaganda“. Außerdem wird hier der Frage nachgegangen, ob und wie diese Beeinflussungsbemühungen des NS-Regimes von der Bevölkerung aufgenommen wurden.
Mit Bezug auf die Beobachtungen, die der amerikanische Historiker und Journalist William L. Shirer am 3. September 1939 in seinem Tagebuch festhielt („keine Begeisterung, kein Hurrageschrei, keine Hochrufe, kein Blumenstreuen, kein Kriegsfieber, keine Kriegshysterie"), bilanziert der britische Historiker Richard J. Evans in seiner umfangreiche Geschichte des Dritten Reichs kurzerhand, es habe im September 1939 in Deutschland „kein Wiederaufleben des legendären Geistes von 1914" gegeben, um daraus den Schluss zu ziehen: „Der Propagandafeldzug mit dem Ziel, die Deutschen mit Hass gegen ihre Feinde zu erfüllen, war gescheitert."[1] War das tatsächlich so? Ist es zulässig, aus einigen wenigen zeitgenössischen Einschätzungen solch weitreichende Schlüsse zu ziehen? Ein anderer Beobachter, der sozialdemokratisch orientierte Justizinspektor Friedrich Kellner, schätzte die Wirkung der NS-Propaganda bei Kriegsbeginn beispielsweise völlig anders ein. „Der Glaube an Wunderdinge", so notierte er am 13. September 1939 in sein Tagebuch, sei „äußerst stark", und zog daraus den Schluss: „Die sechsjährige nationalsozialistische Propaganda hat in der Tat die Hirne des deutschen Volkes vollkommen vernebelt. Unglaublich - aber leider wahr." Mit Blick auf die Reaktionen der Bevölkerung auf die Sudetenkrise hatte er bereits ein Jahr zuvor geäußert: „Das ist dein Werk, Propagandaminister! Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne!"[2]
Angesichts solch widersprechender Beobachtungen und daran anschließender Analysen gilt den vielfältigen Wirkungsweisen von Propaganda bzw. der NS-Medien- und Kommunikationspolitik näher auf den Grund zu gehen. Als entscheidend für eine tatsächliche Aneignung von Propagandainhalten definieren neuere Forschungsansätze die durch Vorwissen und Einstellungen bestimmte Interpretation von Propagandainhalten, deren Erfolg und Misserfolg damit aus einer reinen Ideologiebezogenheit gelöst und stärker in historische Erfahrungskontexte gestellt werden.[3] Die als Folge des Ersten Weltkriegs „verlorenen" Gebiete etwa sind ja kein ideologisches Konstrukt der NS-Propaganda, sondern ein während der gesamten Zeit der Weimarer Republik vielstimmig beklagtes Faktum. Zugleich setzte und setzt sich zunehmend die Tendenz durch, hinsichtlich der Wirkung von Propaganda zudem nach sozialen, konfessionellen, geschlechtsspezifischen und auch regionalen Kriterien zu unterschieden.[4] So veränderten sich laut neueren Forschungsergebnisse beispielsweise in ländlichen Milieus die Verhaltensweisen nachweislich nicht so rasch wie man das etwa für indoktrinierte und emotional mobilisierte Jugendliche annehmen muss, die wohl nicht zuletzt deshalb ein so beliebtes wie dankbares Ziel der NS-Propaganda waren.
Natürlich gilt es die jeweilige Vermittlung - salopp gesagt die „Verpackung" - von Propaganda genauer zu analysieren. Propagandaminister Goebbels brachte sein in dieser Hinsicht verfolgtes medienpolitisches Grundkonzept am 5. März 1937 auf den Punkt: „In dem Augenblick, in dem eine Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam. Mit dem Augenblick aber, in dem sie als Propaganda, als Charakter, als Haltung im Hintergrund bleibt und nur durch Handlung, durch Ablauf, durch Vorgänge, durch Kontrastierung von Menschen in Erscheinung tritt, wird sie in jeder Hinsicht wirksam."[5] Nicht zuletzt durch eine stärkere Berücksichtigung solcher Erklärungen wurde der historischen Forschung zunehmend deutlich, dass es nicht vorrangig darum gehen kann, offenkundige Lügen oder Verfälschungen der NS-Propaganda zu entlarven, sondern dass vielmehr die weit anspruchsvollere Aufgabe im Mittelpunkt stehen muss, etwaige unterschwellige Botschaften in den NS-Medienprodukten zu analysieren. Im Zuge der entsprechenden Umorientierung wurde zudem klar, dass es bei einer Untersuchung von Propaganda nicht nur um den Inhalt expliziter Botschaften - wie etwa Rassenhass als Grundideologie oder Kriegsbegeisterung als Ziel von Propaganda - gehen kann und darf, sondern insbesondere auch um deren grundsätzliche Funktion im gesellschaftlichen Kommunikationsprozess. Erst durch die Berücksichtigung dieser und weiterer Untersuchungsparameter kann man sich einer Antwort auf die Frage annähern, ob Propaganda über kurzfristige Verhaltensmodellierung hinaus tatsächlich längerfristig und gegen tradierte Voreinstellungen wirksam werden konnte.[6]
Aktuelle Untersuchungen zu Medienwirkungen gehen in dieser Hinsicht davon aus, dass Medieninhalte weder eine hinreichende noch eine notwendige Ursache von direkten Effekten sind. Außerdem ist deren Einfluss im kognitiven Bereich als größer einzuschätzen als bei der Wirkung auf oder gar der nachhaltigen Veränderung von Einstellungen. Das heißt, dass Propaganda - wie an anderer Stelle bereits erwähnt - vor allem zwar Voreinstellungen verstärkt, zugleich aber auch in der Lage ist, latent angelegte Positionen zu aktivieren, während eindeutige Gegenpositionen nur in sehr beschränktem Maß veränderbar erscheinen. In diesen Prozessen angestrebter Meinungsmanipulation werden Medieninhalte seitens der Empfänger laufend dekodiert, wobei kulturellen und sozialen Bezugssystemen, Vorbildung, Geschlecht, Alter oder Vorerfahrungen eine große Rolle zukommt. Zum Erfolg der beabsichtigten Beeinflussung trägt naturgemäß zudem die Glaubwürdigkeit einen erheblichen Anteil bei, wobei sich die nicht nur - und zumindest bei Jugendlichen wohl auch nicht in erster Linie - aus den Medien selbst ableitet, sondern aus der interpersonalen Kommunikation, die nach neuen Erkenntnissen weitaus eher Veränderungen von Einstellungen bewirken kann als das einer reinen Massenkommunikation möglich wäre.[7] Auf diesen Aspekt wird mit Blick auf die jugendliche Zielgruppe von NS-Propaganda ausführlich zurückzukommen sein.
Für die historische Medienwirkungsforschung folgt aus dem bislang Dargelegten die Erkenntnis, dass selbst ungefähre Aussagen darüber, wie während des Dritten Reiches propagandistische Botschaften auf- und angenommen wurden, erst dann möglich sind, wenn es gelingt, die Bedingungen, unter denen deren Aneignung stattfand, so konkret wie eben möglich zu rekonstruieren. Um die „echte" Wirkung von Propaganda aufzudecken, gilt es somit zwingend zuvor die Vorprägungen der Rezipienten zu analysieren, um dann erklären zu können, wieso dieselbe Botschaft bei zwei Empfängern unterschiedliche Aneignungs- und Verarbeitungsprozesse zur Folge kann.[8]
Ein vielsagendes Beispiel bietet in diesem Kontext der Film „Jud Süß“. Entgegen der früheren „argumentativen Generallinie von der medialen Verführungsmacht des NS-Regimes“, so Daniel Mühlenfeld, sei es eben nicht der Film gewesen, der antisemitischen Stimmungen innerhalb der deutschen Gesellschaft zur weiteren Verbreitung verhalf, sondern sei vielmehr die bereits zuvor existierende antisemitische Grundhaltung einer Mehrheit der deutschen Gesellschaft, die solche Filme überhaupt erst möglich gemacht habe. Dadurch sei nämlich der „rezeptive Resonanzboden“ vorhanden gewesen, der einen solchen Film in den Augen seiner Produzenten - seien es staatliche Stellen oder private Finanziers - überhaupt erst zu einem kalkulierbaren unternehmerischen Risiko hätte werden lassen. „Jud Süß“ konnte demnach seine intendierte Wirkung nur deshalb entfalten, „weil der ausgewählte Zuschauerkreis bereits über eine hinreichende ideologische Vorprägung“ verfügte, um ihn sich dann auf deren Grundlage auf die gewünschte Weise anzueignen.
Aber auch solche schlüssig erscheinende Thesen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst näherungsweise Aussagen darüber, wie Menschen während der NS-Zeit die medial transportierten propagandistischen Botschaften auf- und angenommen haben, erst dann möglich sind, wenn es gelingt, die konkreten Rezeptionsbedingungen zu rekonstruieren, unter denen jene Medienaneignung stattfand.[9] Hierzu mangelt es jedoch nach wie vor an genügend geeigneten Quellen, so dass die Einschätzung, dass die NS-Propaganda bis in die Kriegsendphase hinein bemüht gewesen sei, Themen zu setzen, zwar unstreitig richtig ist, zugleich aber bislang weitgehend offen bleiben muss, was bei den Menschen davon tatsächlich Wirkung zeigte. Das lässt sich – wenn überhaupt – nur im jeweiligen konkreten Kontext untersuchen. Um dabei einer „echten“ manipulativen Wirkung von „Propaganda“ die Suche zu kommen, muss zudem immer die Frage nach der Vorprägung der Rezipienten gestellt werden, um Erklärungen dafür zu finden, wieso dieselbe Botschaft bei zwei Empfängern unterschiedliche Aneignungs- und Verarbeitungsprozesse zur Folge haben konnte.
Im Mittelpunkt der Forschungsbemühungen betreffend Kommunikation, Kultur und Medien im Nationalsozialismus, da ist sich Daniel Mühlenfeld sicher, dürften künftig vor allem Untersuchungen stehen, „die sich des zirkulären Charakters von Propaganda im Sinne eines Kommunikationsprozesses bewusst sind und sich jenseits der nur bedingt tauglichen Berichtsquellen neue Wege zur Rekonstruktion von Medienwirkung erschließen“
[1] Evans, Reich, S. 852
[2] Kellner, Hirne, Bd. 1, S. 16 und 21
[3] Vgl. Heidenreich/Neitzel, Medien, S. 7 und Zimmermann, Medien, S. 21. Vgl. dort auch zum Folgenden.
[4] So kommen beispielsweise Paul Mallmann und Gerhard Paul für das Saarland zu dem Ergebnis, dass die NS-Propaganda trotz aller gleichgeschalteten Medien und medialer Vernetzung „die deutsche Gesellschaft keineswegs gleichmäßig und total" beherrscht habe. Vgl. zusammenfassend Zimmermann, Medien, S. 20
[5] So formuliert Goebbels bei der ersten Jahrestagung der Reichsfilmkammer am 5. März 1937. Zitiert nach Zimmermann, Medien, S. 19.
[6] Vgl. Zimmermann, Medien, S. 22f.
[7] So Zimmermann, Medien, S. 27f. und 31
[8] Vgl. Mühlenfeld, Ende, S. 537ff. Dort auch das Folgende.
[9] So kommt etwa Thymian Bussemer zu dem Schluss, dass „die Rezipienten nationalsozialistischer Propaganda bei oberflächlicher Betrachtung zwar manipuliert wirkten, in Wahrheit aber aktiv selektiert hatten, welchen Teil des Propagandaangebots sie aufgreifen und populär machen wollten“ – und welchen eben nicht. Vgl. hierzu Barbian, Literaturpolitik, S. 16f.
zuletzt bearbeitet am: 20.04.2016