"Flucht und Vertreibung“ war ein dominierendes Thema der Nachkriegszeit. Zwischen 1944 und 1948 waren in Deutschland und in Europa rund hundert Millionen Menschen „unterwegs“, die ihre Heimat für immer oder für längere Zeit verlassen mussten. Die Welt erlebte damals die zahlenmäßig größte Wanderung der Geschichte überhaupt. In Deutschland hielten sich 1945 zwei Drittel der Bevölkerung nicht an ihren angestammten Wohnplätzen auf. Und ob die Menschen, die das Schicksal zusammenführte, das nun wollten oder nicht, sie waren dauerhaft zum Zusammenleben gezwungen.
Für die Verantwortlichen galt es, die ungeheuren Menschenströme, die sich in der Nachkriegszeit auf die vier Besatzungszonen zubewegten und durchzogen, möglichst gut zu koordinieren. Das galt insbesondere für die dauerhaft bleibenden Wellen an Flüchtlingen und Vertriebenen, was umso schwieriger war, als es für die Steuerung solch wahrer Völkerwanderungen keinerlei Vorbilder gab. Es zeigte sich schnell, dass die Alliierten bei ihrer Beschlussfassung in Potsdam die Dimension der Vertreibung völlig unterschätzt hatten, denn das vom Kontrollrat am 20. November 1945 für die einzelnen Besatzungszonen festgelegte Aufnahmesoll wurde umgehend in bedenklicher Höhe überschritten.[1]
Das führte nahezu zwangsläufig dazu, dass der permanente Zustrom insbesondere die mit der Durchführung von Unterbringung und Versorgung betrauten Stellen völlig überforderte und die dort Beschäftigten schier in die Verzweiflung trieb, zumal sie sich ja außerdem noch mit der Bewältigung aller übrigen Kriegsfolgen konfrontiert sahen. Daher wurde - offen oder verdeckt - allerorten umgehend versucht, weitere Zuzüge zu verhindern.[2]
Im Umgang mit den zu bewältigenden Problemen gab es zwischen den westlichen Besatzungszonen und der SBZ erhebliche Unterschiede. Erschwerend kam dann bald das bereits kurz erwähnte Phänomen hinzu, dass immer mehr der in der sowjetisch besetzten Zone untergekommenen Flüchtlinge und Vertriebenen als sogenannte „SBZ-Flüchtlinge“ weiter nach Westen strebten. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollen hier die verschiedenen Ausgangssituationen – mit deutlichem Schwerpunkt auf der Lage in der britischen Zone und hier insbesondere auf das Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen – skizziert werden.
[1] Vgl. Kossert, Heimat, S. 59f. und Beer, Flucht, S. 105f.
[2] Vgl. Plato/Leh, Frühling, S. 25
zuletzt bearbeitet am: 05.12.2017