Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Unter strenger Kuratel der Mutterpartei stand die Jugendorganisation der KPD. Im Oktober 1918 wurde die „Freie Sozialistische Jugend" (FSJ) als Jugendorganisation der USPD ins Leben gerufen. Bereits im Herbst 1919 spaltete sich - analog zur USPD - auch die FSJ, wobei einer ihrer Teile den Kern der im September 1920 ins Leben gerufenen „Kommunistischen Jugend" (KJD) bildete, die im Juni 1925 in „Kommunistischer Jugendverband Deutschlands" (KJVD) umbenannt wurde. [1] Insofern war die Spaltung der FSJ gleichzeitig die Geburtsstunde des KJVD.[2] Ihm sollte die Aufgabe zukommen, seine Mitglieder durch Bildungsarbeit zu revolutionären Klassenkämpfern zu erziehen. Dabei wurde der Alleinvertretungsanspruch für die Arbeiterklasse unmissverständlich in den Statuten fixiert: Der KJVD sei „die einzige Arbeiterjugendorganisation, die die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Forderungen der arbeitenden Jugend in Stadt und Land" vertrete. Dabei sollte die politische Indoktrination durch Wandern, Sport und Spiele jugendgemäß und jugendbewegt kompensiert werden.
Die Mitgliederstärke des KJVD betrug zur Jahreswende 1920/21 rund 22.500 Jugendliche, ein Wert, der in den Jahren bis 1929, in denen der KJVD stets zwischen 18.000 und 22.000 Mitglieder zählte, nicht mehr erreicht wurde. In der Zeit der Wirtschaftskrise gab es dann einen steilen Anstieg von 25.500 (April 1930) über 38.500 (Dezember 1930) und 50.000 (Mai 1931) auf 58.500 im April 1932. Danach liegen nur noch für Mai 1932 (57.700) Zahlen vor. Bei allen Angaben gilt es zu berücksichtigen, dass der KJVD-Mitgliederbestand einer extrem hohen Fluktuation unterworfen war. In den Jahren 1928/29 war jeweils etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder unter 18 Jahre alt. Dabei überwogen die Jungen mit 71 bzw. 73 Prozent den Anteil der Mädchen deutlich. Die weitaus meisten Mitglieder, nämlich mehr als 40 Prozent, konzentrierten sich in den drei hochindustrialisierten Bezirken Ruhrgebiet, Sachsen und Berlin-Brandenburg [3]
Ohne hinreichende Belege - so bemängeln neuere Untersuchungen - gehe die Forschung bis heute zumeist davon aus, dass es sich bei den KJVD-Mitgliedern - im Gegensatz zur Situation bei der SAJ - überwiegend um ungelernte und/oder arbeitslose Jugendliche gehandelt habe. Aber selbst neuere Arbeiten ermitteln in diesem Punkt hohe Werte und kommen für 1930 zu dem Ergebnis, dass rund 75 Prozent der Mitglieder ungelernt, und bereits 1931, also vor dem Höhepunkt der Krise, etwa ebenso viele arbeitslos waren. Im September 1931 betrug der Anteil der erwerbslosen Jugendlichen bei den Neuaufnahmen fast 63 Prozent.[4]
Anders als die Sozialdemokratie, die mit der SAJ eine Vorfeldorganisation der bis 18-, später bis 20-Jährigen besaß und mit den Jungsozialisten zusätzlich eine reine Parteijugendorganisation unterhielt, unternahm der KJVD den problematischen Versuch, gleich zehn Geburtsjahrgänge unter seinem Dach zu vereinen.[5] Insofern handelte es sich bei ihm formal nicht um eine reine Vorfeldorganisation der KPD. Allerdings deutet das Eintrittsalter von 14 Jahren ebenso auf den Typus des Jugendpflegeverbandes hin wie das überaus restriktive Verhalten der Parteileitung gegen jegliches Autonomiebestreben, weshalb man den KJVD durchaus auch als „Miniaturausgabe der KPD" bezeichnen kann.[6] Die Tätigkeit des Verbandes, so hieß es unmissverständlich in dessen Statuten, sei „in politischer Hinsicht im nationalen Rahmen der Kommunistischen Partei Deutschlands unterstellt". Angesichts einer Altershöchstgrenze von 24 Jahren wurden auch junge Erwachsene integriert, wodurch sich der KJVD zur Kaderschmiede entwickelte, der zahlreiche KPD-Spitzenfunktionäre entsprangen. Eine weitgehend selbstständige Organisation mit kritischer Distanz zur Mutterpartei war der KJVD nie.
Die lokalen Gliederungen des KJVD verhielten sich nicht selten anders, als es die Direktiven und Doktrinen der Parteizentrale forderten. Gerade in Zeiten von (Jugend-) Massenarbeitslosigkeit trafen sich auch kommunistische Jugendliche - zumeist ungelernte Jungarbeiter, Lehrlinge und Arbeitslose - in Sport- und Wandergruppen oder passten sich in Großstädten den „wilden Cliquen" „verwahrloster" Jugendlicher an, um unabhängig von Parteiinteressen und selbstbestimmt ihr Leben zumindest partiell zu „genießen". In den frühen 1930er Jahren kam es gleichzeitig fast täglich zu Schlägereien mit HJ und SA, wobei der KJVD in der Rotfrontjugend den treuesten Verbündeten fand.
Barbara Köster möchte die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in dieser Hinsicht in einigen Punkten korrigieren bzw. modifizieren. Der KJVD, so führt sie aus, sei nicht nur eine Hochburg „revolutionärer Tätigkeit" gewesen, sondern gleichzeitig auch „ein Sammelbecken für Jugendliche, die gemeinsam ihre Freizeit verbrachten und nicht nur Streikversammlungen einberiefen oder Wahlplakate klebten". Dem KJVD seien also durchaus Aspekte einer Jugendbewegung zu Eigen gewesen und dessen Mitglieder hätten „allen politischen Differenzen um Trotz, nicht zwangsläufig ein Nischendasein im gesellschaftspolitischen Leben der Weimarer Republik" geführt. Auch sie hätten an Wochenenden Ausflüge und Wanderungen unternommen, seien auf Fahrt gegangen und hätten die Sonnenwende gefeiert, was eindeutig auf Einflüsse der bürgerlichen Jugendbewegung verweise. Insofern seien die KJVD-Mitglieder nicht zwangsläufig Außenseiter, sondern durchaus ein „integraler Bestandteil der Weimarer Jugendkultur" gewesen. Angesichts dieser Interessenlage der Jugendlichen wären die gebetsmühlenartig erhobenen Forderungen der Verbandsleitung, gerade die Ausflüge und Fahrten zur politischen Agitation unter der Landbevölkerung zu nutzen, vollkommen wirkungslos verpufft.[7]
In organisatorischer Hinsicht sah sich der KJVD mit einem - für den kommunistischen Sektor typischen - strukturellen Hindernis konfrontiert, nämlich dem Organisationsprinzip auf Grundlage von Betriebszellen, das im Laufe der Weimarer Jahre zumindest teilweise zugunsten einer Arbeit in Ortsverbänden aufgegeben wurde. Aufgrund der Nähe zur KPD konzentrierte sich auch der KJVD ab Mitte 1929 schließlich darauf, sozialdemokratische und sozialistische Jugendverbände als „sozialfaschistisch" zu bekämpfen und beschränkte sich künftig auf die von der Parteispitze definierte Form des Klassenkampfes. Die bis dahin durchaus gepflegten Verbandsaktivitäten geselliger, kultureller und sportlicher Art mussten zurücktreten und verschwanden schließlich völlig aus dem Alltag des KJVD. Stattdessen strebte die Verbandsleitung an, Kinder und Jugendliche gezielt zu „Kämpfern" zu erziehen, womit der KJVD eher Berührungspunkte mit dem rechtsradikalen Spektrum aufwies.[8]
Die Geschichte des KJVD war keinesfalls eine Erfolgsgeschichte, sondern mit Blick auf Arbeitsfelder und Ansprüche dominierte eindeutig das Scheitern. Insbesondere gelang es dem Verband nie, ein Nachwuchsreservoir der KPD zu sein. Nur eine verschwindend kleine Zahl von KJVD-Mitgliedern wechselte später in die Mutterpartei. Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sich der KJVD und dessen Funktionäre nach außen hin und vor den Mitgliedern wild und rebellisch gebärdeten, gegenüber der KPD-Führung aber zahm und angepasst auftraten. Insgesamt friste der KJVD ein unspektakuläres und wenig erfolgreiches Dasein im Schatten der KPD und blieb deren reines - und dabei noch wenig erfolgreiches - „Rekrutendepots".[9]
Mit der NS-Machtübernahme und der unmittelbar danach einsetzenden Verfolgung der Kommunisten hatte auch der KJVD keine Überlebenschance mehr. Mit viel Mut, aber kaum einer Perspektive gingen viele KJVD-Mitglieder in den Widerstand, den einige mit KZ und Tod, viele mit Gefängnisstrafen bezahlten. Im Laufe des Jahres 1936 wurden die letzten illegalen Gruppen von der Gestapo aufgerollt. Offiziell aufgelöst wurde der KJVD durch die KPD dann 1937 im Rahmen der „Berner Konferenz".
[1] Dies und - sofern nicht anders angemerkt - das Folgende nach Wolfgang R. Krabbe: Kritische Anhänger - Unbequeme Störer. Studien zur Politisierung deutscher Jugendlicher im 20. Jahrhundert, Berlin 2010, S. 33ff. Zur Geschichte des KJVD vgl. ausführlich Barbara Köster: „Die Junge Garde des Proletariats". Untersuchungen zum Kommunistischen Jugendverband Deutschlands in der Weimarer Republik, (Diss. Bielefeld) 2005
[2] So Köster, Garde, S. 36
[3] Angaben nach den Tabellen im Anhang bei Köster, Garde
[4] Vgl. Köster, Garde, S. 158ff.
[5] Vgl. ausführlicher Köster, Garde, S. 186f.
[6] So Köster, Garde, S. 122
[7] Köster, Garde, S. 2f. und 288
[8] Jürgen Reulecke: Jugend und „junge Generation" in der Gesellschaft der Zwischenkriegszeit; in: Dieter Langewiesche/Heinz-Elmar Tenroth (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. V (1918-1945), München 1989, S. 86-110, hier S. 103
[9] Vgl. Köster, Garde, S. 124 und 287.