Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Zum HJ-Dienst gehörten zweimal im Monat am Wochenende Fahrten, davon eine Tagesfahrt und eine anderthalbtägige Wochenendfahrt mit Übernachtung.
Die Fahrten lehnten sich an das Auf-Fahrt-Gehen der Jugendbünde vor 1933 an, wobei die HJ allerdings großen Wert darauf legte, sich weltanschaulich von ihnen abzusetzen. Den Bünden wurde ein „ichbetontes Fahrtenerlebnis" zum Vorwurf gemacht, dem nun die „Arbeit für unser Volkstum und unser Land" entgegengesetzt wurde.[1] Fahrten sollten keinen Selbstzweck mehr haben, sondern dazu dienen, die „Sitten und Gebräuche" in einem Fahrtengebiet kennenzulernen und „die Not der Grenze" zu erfahren, d.h. die Situation der Menschen zu erleben, die durch die Grenzziehung des Versailler Vertrags nun entweder in einer Grenzregion oder in einem anderen Staat lebten.
Solche „Grenzlandfahrten" hatte es allerdings auch schon in den Bünden gegeben, insofern traf der Vorwurf vom „ichbetonten Fahrtenerlebnis" in keiner Weise zu. Doch er diente dazu, die Bünde in ein - nach damaligem Maßstab - schlechtes Licht zu rücken und sich selbst als innovative Kraft darzustellen. Diese Methode, Formen zu übernehmen, den eigentlichen Urheber entweder zu verschweigen oder anzugreifen und die Formen dann als selbst erdacht auszugeben, wurde von der HJ vielfach angewandt. Neu war dabei nur, und das traf auch auf die Fahrten zu, dass die Formen politisiert und zunehmend nach festen Regeln strukturiert wurden.
In den Anfangsjahren waren die Einheiten bei der Gestaltung ihrer Fahrten allerdings noch relativ frei. Sie konnten einfach loswandern und an frei gewählten Orten übernachten, sei es in der Jugendherberge, beim Bauern im Stroh oder im Zelt. Später wurde dies mehr und mehr reglementiert. Die Marschleistung wurde nun ebenso festgelegt wie die Abfolge der Pausen, auch wie durch Ortschaften zu gehen war - nämlich in Marschordnung und am besten mit einem Lied - , was zur Vorbereitung der Fahrt gehörte, welches Gepäck mitzunehmen war und wo und wie übernachtet werden durfte. Für alle Fahrten, die länger als drei Tage dauerten, mussten sich die Einheiten nun einen Fahrtenerlaubnisschein besorgen, der unterwegs vom Streifendienst der HJ kontrolliert werden konnte. Die Ziele der Großfahrten, d.h. der mehrwöchigen Fahrten im Sommer, wurden zentral von der Reichsjugendführung für die einzelnen Gebiete und Obergaue festgelegt, und die Grenz- und Auslandsfahrten bedurften einer extra Genehmigung durch die Auslandsabteilung der Reichsjugendführung. Über die Fahrten mussten Berichte in den Heimbüchern geschrieben und bei größeren Fahrten Berichte an die zuständige übergeordnete Stelle gesandt werden.
Bei den Fahrten wurde zudem unterschieden zwischen dem eigentlichen Auf-Fahrt-Gehen, d.h. dem Wandern, und dem Marsch, also dem Marschieren in Dreierreihe in einer festen Marschordnung „ohne Tritt" oder im Gleichschritt. Während beim Wandern der Blick in die Natur, auf die Bauten und die Lebensweise der Menschen einer Landschaft gerichtet sein sollte, diente das Marschieren der Erziehung „zu einer unbedingten Einordnung und zu einem ganz bewussten, stolzen Gefühl: Wir hier alle sind eine geschlossene Front, wir marschieren für einen bestimmten hohen Zweck."[2]
Sowohl die Mädchen als auch die Jungen marschierten, wobei das bei den Mädchen allerdings eher zu besonderen Gelegenheiten geschah, und auf Fahrt auch nur, wenn sie eine Ortschaft durchquerten oder zügig vorankommen wollten. Dagegen stand der Marsch und auch das Üben des Marschierens bei den Jungen weit oben: „Uns dient der Marsch zur Schulung von Geist und Körper. Unterordnung und Kameradschaft, Zähigkeit und Ausdauer, Leistung und Ertragung von Strapazen, Freude am eigenen Können und Selbstvertrauen zur eigenen Kraft - das ist Sinn und Ziel unseres Marschierens."[3]
So waren insbesondere die Tagesfahrten am Wochenende häufig als Marschübung ausgelegt. Auch zu den Bedingungen des HJ-Leistungsabzeichens gehörte in der HJ die Teilnahme an einem „Leistungsmarsch", was bedeutete, dass die 15-jährigen 10 km nicht unter 2 Stunden, aber auch nicht über 2 ½ Stunden mit 5 kg Gepäck marschieren mussten, die 16-jährigen 15 km nicht unter 3 und über 3 ½ Stunden mit 5 kg Gepäck und die 17-jährigen 20 km nicht unter 4 und nicht über 5 Stunden mit 7 ½ kg Gepäck. Damit war aus dem ursprünglichen Auf-Fahrt-Gehen der Jugendbünde vor 1933 eine vormilitärische Ausbildung geworden.