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Jugendgruppen

Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.

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„Lagerdienst ist Dienst am ‚Wir’, an der Gemeinschaft, ist Sozialismus der Tat“ – Lager und Lagererziehung in der HJ

Die Lager der HJ reichten von kleinen Zeltlagern einer einzigen Einheit bis hin zu riesigen Zeltstädten mit mehreren Tausend Teilnehmern. Die dreiwöchigen HJ-Sommerlager zählten ebenso dazu wie Musikschulungslager, Reichsführerlager, die Lager des 1934 eingeführten Landjahrs und im Krieg die Wehrertüchtigungslager und die Lager der Kinderlandverschickung. Praktisch jeder längere Aufenthalt der HJ an einem Ort, sei es in einem Zelt, einer Baracke, einem Heim oder einer Jugendherberge war als Lager mit einem genau durchgeplanten Lageralltag konzipiert.

Oberstes Ziel der Lager war es, „durch die Lagergemeinschaft die Volksgemeinschaft"[1] kennenzulernen: „Lagerdienst ist Dienst am ‚Wir', an der Gemeinschaft, ist Sozialismus der Tat."[2] Dementsprechend gehörte zum Lager nicht nur die gemeinsame Uniform als äußeres Kennzeichen dieser „Volksgemeinschaft", sondern auch die Aktivitäten, die stets in der Gruppe, nie individuell ausgeführt wurden: Nach dem Wecken (oft schon um 6 Uhr) gab es gemeinsamen Frühsport, es folgte das Waschen, Anziehen und Aufräumen des Zeltes bzw. des Schlafraums, das Flaggenhissen, die gemeinsamen Mahlzeiten, das abendliche Flaggeneinholen und der Lagerabend, der im Zeltlager oft am Lagerfeuer verbracht wurde. Der übrige Tag war, je nach Ausrichtung des Lagers, angefüllt mit Sport, praktischen Lagerarbeiten, Fahrten in die Umgebung, Geländedienst, Schießen, weltanschaulicher Schulung, Singen und anderen kulturellen Aktivitäten. Bei den Landdienstlagern kamen noch die gesamten land- und hauswirtschaftlichen Aufgaben hinzu, in den Lagern der KLV der Schulunterricht.

Rückzugsmöglichkeiten sahen die Lager nicht vor, die Jugendlichen waren den ganzen Tag beschäftigt und wurden intensiv geschult. So boten die Lager, die fern von Elternhaus, Schule oder Kirche stattfanden, ein besonders effektives Forum für die Ideologisierung der Jugendlichen. Die Lagererziehung galt denn auch als „idealste Form des Jugendlebens"[3]

Jugendlager waren keine Erfindung der Nationalsozialisten, in der Jugendbewegung gehörten sie zu den konstituierenden Elementen der Freizeitgestaltung und die sozialistischen „Kinderfreunde" hatten mit ihren „Kinderrepubliken" seit 1927 inhaltlichen den totalen Gegenentwurf zur späteren HJ-Praxis realisiert. Schon die ersten Wandervögel hatten sich aus Militärzeltbahnen die ersten Zelte gebaut, in den 1920er Jahren gab es dann auch die ersten großen Zeltlager, die unter anderem von den Pfadfinderbünden durchgeführt wurden. Hier stand die Vermittlung praktischer Kenntnisse im Vordergrund wie das Zeltaufbauen, das Abkochen, der Geländedienst und die Naturbeobachtung. Eine Modifizierung erfuhren die Lager dann bei den Jungenschaften der 1930er Jahre, wo Gedanken einer völkischen Gemeinschaftsideologie bereits Eingang in die Lagererziehung fanden und quasi-militärische Formen wie Fahnenappelle Einzug ins Lagerleben hielten.[4]

Diese Formen wurden in der HJ aufgegriffen und hin zu einem militärisch straffen, durchorganisierten Lageralltag erweitert. Bereits im äußeren Erscheinungsbild zeigten die HJ-Zeltlager, dass es hier um eine einheitliche Ausrichtung ging: Die Zelte, alle vom gleichen Typ, standen sorgfältig ausgerichtet in einem Kreis, einem Karree oder in einer langen Gasse. In der Mitte stand ein Fahnenmast, um den genügend Platz für die morgendlichen und abendlichen Fahnenappelle bzw. für Ansprachen und Feiern war. Der Lagerleiter hatte sein eigenes Zelt in der Nähe dieses Fahnenmastes, daneben gab es Zelte für die Schreibstube, für Geräte, ein Wachzelt am Eingang (im Lager gab es Tag und Nacht eine Lagerwache), ein Sanitäts- und/oder Krankenzelt und ein Küchenzelt.

Neben dieser räumlichen Ordnung gab es auch eine strenge hierarchische Gliederung, die sich vom Lagerleiter bis in die kleinste organisatorische Einheit - dem Zeltältesten, der für den inneren und äußeren Zustand eines einzelnen Zeltes verantwortlich war - durchzog. Auch die Zeiteinteilung im Lager und alle Aktivitäten unterlagen einer festen Ordnung, die im Lagerplan festgehalten war.

Für die längeren Lager, vor allem die dreiwöchigen Sommerlager, gab die Reichsjugendführung regelmäßig Lagerpläne heraus. Hier wurden die Lieder, die während der Lager zu lernen waren, ebenso festgelegt wie die Themen für die weltanschauliche Schulung. Im Allgemeinen waren das „Rasse, Vorgeschichte und Geschichte, Sozialismus, Führertum, Blut und Boden, Pflicht und Ehre usw."[5]

In der Praxis wurden die Lager, zumindest vor dem Krieg, von vielen Jugendlichen als willkommene Freizeitgestaltung begrüßt. Sie boten in einer Zeit, in der die finanzielle Situation vieler Familien keinerlei Reisen erlaubte, die Möglichkeit, einmal aus der gewohnten Umgebung herauszukommen. Die Attraktivität wurde noch dadurch erhöht, dass den Teilnehmern an HJ-Lagern, die bereits arbeiteten, eine Urlaubsverlängerung gewährt wurde. Jugendliche unter 18 Jahren konnten 18 statt zwölf Tage Urlaub nehmen, wenn sie in ihren Ferien mindestens zehn Tage an einem HJ-Lager teilnahmen.[6]

Zudem wurde die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen fern von der Autorität des Elternhauses häufig als positiv empfunden. Gemeinsam etwas zu erreichen, sich für die „Kameraden" einzusetzen, von ihnen anerkannt zu werden, sich zu bewähren, war vielen Jugendlichen wichtig und wurde dazu genutzt, die Ideologie der „Volksgemeinschaft" erlebbar zu machen.

Fußnoten

[1] HJ im Dienst, 1940, S. 344
[2] Ebd.
[3] Vgl. Steinacker, S. 477
[4] Vgl. Pahmeyer/van Spankeren, Die Hitlerjugend in Lippe, S. 175
[5] Ebd., S. 346
[6] Vgl. Steinacker, S. 455