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Jugend! Deutschland 1918-1945
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Didaktik & Schule

Die Schule war bis 1933 neben der Familie der unumstrittene Ort kindlicher und jugendlicher Erziehung und Ausbildung. Mit der NS-Machtübernahme wurde hier allerdings nicht mehr nur unterrichtet, sondern häufig auch massiv ideologisch beeinflusst. Außerdem versuchten die Nationalsozialisten zunehmend verschiedene Formen von Lagererziehung zu etablieren, in deren Rahmen eine Indoktrination und Wehrerziehung noch effektiver möglich war. Im Krieg wurden die so beeinflussten Heranwachsenden dann zunehmend zu Kriegshilfsdiensten der unterschiedlichsten Art herangezogen.

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Fahrtenlieder

Das Wandern gehörte seit dem Entstehen der deutschen Jugendbewegung zu den zentralen Elementen einer neuen Jugendkultur - „Auf Fahrt gehen" hieß das im Jargon der damaligen Gruppen. Die Begeisterung für das Umherschweifen in der Natur entstand im Zusammenhang mit der deutschen Lebensreformbewegung. Um 1900 wurde als Reaktion auf die Industrialisierung in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen ein „Zurück zur Natur" und eine gesunde Lebensführung angemahnt: Die „Naturfreunde" sorgten für die Erholung der Arbeiter in der Natur, in der Obstbaukolonie „Eden" wurden erste Versuche mit dem naturnahen Landbau betrieben, die Designer des Reformkleids zeigten eine Alternative zu den deformierenden Korsetts auf, und die Wandervögel gingen in bohemienhafter Gewandung auf ihre Wanderungen und übernachteten zum Schrecken der bürgerlichen Gesellschaft beim Bauern im Heu.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich Wochenendfahrten als Teil der Jugendkultur allgemein durchgesetzt. Diese Form der Freizeitgestaltung unterschied sich erheblich von derjenigen der vorigen Generation. „Die alte Jugend" bemerkte die Hamburger Zeitschrift Die arbeitende Jugend 1914 mit Blick auf die Arbeiterjugend „lümmelte Zigaretten rauchend umher, lungerte auf den Straßen, hockte in den Kneipen, sang und trieb Zoten, belagerte die Kinos, wettete auf Rennen und strich nachts begierig auf schlüpfrigen Pfaden. [Die neue Jugend sehen wir] in der Frühe des Sonntagmorgens dem Dunstkreis des Häusermeeres entfliehen, in fröhlicher Kameradschaft in die Weite streben. So erhalten sie sich die Einfachheit und Natürlichkeit des Geistes und die Gewandtheit und Frische des Körpers und sichern sich die kostbare, unersetzliche Lebenskraft, um so besser der Sache dienen zu können, wenn sie Männer und Frauen geworden sind."[1] Der Hamburger Volksschullehrer Matthias Claudius setzte dieser „neuen Jugend" ein bleibendes Denkmal. 1914 erschien ebenfalls in der Arbeitenden Jugend sein Gedicht Wanderung, das mit den Worten „Wann wir schreiten Seit' an Seit'" beginnt. In der Vertonung von Michael Englert, dem Leiter eines Hamburger Arbeiterjugendchores, wurde es zu dem Lied der Arbeiterjugend und ertönt auch heute noch am Ende eines jeden SPD-Parteitags.

Auch in den Jugendgruppen anderer gesellschaftlicher Schichten wurde auf den Fahrten immer viel gesungen. In der bürgerlichen Jugend bevorzugt Soldaten-, Marsch- und Wanderlieder, aber auch alle möglichen Volkslieder, deren Rhythmus gut zum Wanderschritt passte und auf langen Strecken die Müden munter machte. In der umfangreichsten Liedsammlung für Jugendgruppen in der Weimarer Zeit, dem Liederbuch St. Georg, widmet sich einer der insgesamt drei Teile ausschließlich den „Liedern der Landstraße", ergänzt von den Soldaten- und Marschliedern im Teil „Lieder der Reiterbuben". Den Jäger aus Kurpfalz findet man hier ebenso wie Eichendorffs Wem Gott will rechte Gunst erweisen oder die Vertonung des Löns-Gedichtes Auf der Lüneburger Heide, das mittlerweile zu der Heide-Schnulze schlechthin avanciert ist (der Heimatfilm Grün ist die Heide von 1951 und das Remake von 1972 mit Roy Black haben da sehr nachhaltig gewirkt).

Dazu kamen die Fahrtenlieder, die in den einzelnen Bünden entstanden. Vor allem im Nerother Wandervogel, der durch seine mehrmonatigen Auslandsfahrten von sich reden machte, gab es Liedermacher, deren Lieder weit über den eigenen Bund hinausstrahlten, darunter Alf Zschiesche mit Wenn die bunten Fahnen wehen. Heute hat das Lied wahlweise den Status eines volkstümlichen Schlagers (in der Interpretation von Heino und den Fischer Chören) oder eines Marsches (in der Interpretation der Bundeswehr) erhalten, ein Schicksal, das es mit anderen Fahrtenliedern wie Aus grauer Städte Mauern teilt. In den 1920er und -30er Jahren gehörten diese Lieder jedoch zum Kanon der musikalischen Jugendkultur und erklangen auf den Wanderungen und abends am Lagerfeuer.

Fußnoten

[1]      Die neue Jugend, in: Die arbeitende Jugend, März 1914, S. [4].