Die Geschichte von „Jugend“ folgt sicherlich allgemeinen Entwicklungen und „großen“ Linien. „Erfahrbar“ und nachvollziehbar wird sie aber zumeist erst am konkreten Beispiel eines Dorfes, einer Stadt oder einer Region, das quasi mikroskopische Einblicke in Prozesse gewährt, die dem Betrachter beim Blick auf das reichsweite „große Ganze“ verborgen bleiben müssten. In den hier versammelten Beiträgen werden daher die jeweiligen Bedingungen vor Ort in den Mittelpunkt gerückt, um so die „Potenziale lokal- und regionalgeschichtlicher Perspektiven“ für die jeweiligen Themenaspekte auszuloten.
Die Geschichte der Hitlerjugend in Essen muss - wie jene für andere Städte und Regionen - noch geschrieben werden. Zu schlecht ist die Quellenüberlieferung und zu gering die Menge an bislang gesammelten Selbstzeugnissen damaliger Protagonisten, zu wenig ausgeprägt bislang aber auch das bisherige Interesse historischer Forschung, um zu tragbaren Studien geführt zu haben. Es ist erstaunlich, wie wenig über die Geschichte einer Organisation überliefert ist, der nach ihrem eigenen Anspruch in den Jahren zwischen 1936 und 1945 jedes deutsche Mädchen und jeder deutsche Junge zwischen zehn und 18 Jahren angehören sollte.
Daher muss sich das Folgende auf „Schlaglichter" beschränken, deren Inhalt sich aus zumeist zufällig überlieferten „Splittern" von Dokumenten speist, die zwar interessante Einblicke in das Innenleben der Essener HJ gewähren, aber keinesfalls für Verallgemeinerungen ausreichen. Das gilt im Übrigen in noch stärkerem Maße für den Bund Deutscher Mädel (BDM) und die „Jungmädel", deren lokale Geschichte bislang nahezu vollständig im Dunkeln liegt.
Insofern sind die folgenden Texte als erste Annäherungen an das Gesamtthema zu verstehen, die neben ersten Hinweisen Anregungen zu eigenen Forschungen geben möchten.
Vorab einige kurze Angaben zur organisatorischen Struktur der Essener HJ. Sie war dem Obergebiet West und hier wiederum dem Gebiet Ruhr-Niederrhein (10) zugeordnet. Das Essener Stadtgebiet selbst war in die Banne 173 (Essen-Süd) und 239 (Essen-Nord) unterteilt, die beide zunächst im Oberbann I (Essen) zusammengefasst waren, dem zugleich noch der Bann 159 (Mülheim/Ruhr) angehörte. Mit dem 30. November 1934 wurden die Oberbanne aufgelöst und in Städten mit mehreren Bannen ein Standortführer eingesetzt. Im Mai 1941 schließlich wurden unter den Bedingungen des Krieges auch die beiden Essener Banne 173 und 229 zum Bann 173 mit vier Unterbannen zusammengelegt; die bis dahin bestehenden insgesamt acht Unterbanne existierten nun als Stämme fort, weshalb die „Stämme" des Jungvolks zeitgleich in „Jungstämme" umbenannt wurden.[1]
[1] Angaben nach Georg Meesters: Die Aufbauphase der Hitler-Jugend in Essen, (unveröffentlichte Diplomarbeit) Essen 1998, S. 10ff.