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Dieter Wellershoff

geb. in Neuss 1925

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Dieter Wellershoff (1925)

Dieter Wellershoff, geboren am 3.11.1925 in Neuss, wächst am Niederrhein auf. In seinem fünften Lebensjahr kommt noch ein Bruder zur Welt und zieht die Familie nach Grevenbroich. Denn dorthin ist der Vater zum Kreisbaumeister berufen worden und errichtet ein stattliches Wohnhaus mit großem Garten. Hier ist der Mittelpunkt von Dieters Kinderleben, später spielt er in den Auenwäldern am nahen Flüsschen am liebsten mit Freunden Indianer. Eine andere Welt, nämlich die der Bücher, öffnet sich ihm mit der Einschulung und macht ihn zu einem begeisterten Vielleser.

Der Umzug nach Grevenbroich ist dennoch ein herber Einschnitt, da Dieter Wellershoff, protestantisch getauft, aber areligiös erzogen, in der stark katholisch geprägten Kleinstadt zu einem der wenigen Außenseitern wird. Er betrachtet die Rituale der Katholiken mit höchster Verwunderung und Ablehnung, - zumal er ab 1935, nach dem Übergang aufs Gymnasium, mit katholischen Lehrern und ihrem restriktiven, einschüchternden Erziehungsstil mit viel Prügel schlechte Erfahrungen macht.

Bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird der damals Siebenjährige zur Spielschar geschickt. Doch die Eltern sprechen nie mit ihm über Politik, so dass Dieter Wellershoff ihre Einstellung bis heute nicht recht einschätzen kann. Der von ihm von klein an als großes Vorbild bewunderte Vater, Marineoffizier im ersten Weltkrieg, tritt 1933 vorübergehend in die SA ein, nach dem Röhm-Putsch wieder aus und geht lieber als Reserveoffizier zur Flak, weshalb er zunächst wochenlang, ab Kriegsbeginn ganz abwesend ist.

Automatisch wird Dieter 1935 ins Jungvolk übernommen, das für ihn nur eine lästige Pflicht zusätzlich zur Schule bedeutet. Trotzdem lässt er sich mit 14 Jahren als Jungvolkführer anwerben, um nicht zur HJ überführt zu werden. Denn er verachtet Zivilisten und bürgerliche Berufe und meidet alles, was enger mit „der Partei“ und den unsoldatischen, aufgeplusterten „braunen Bonzen“ zu tun hat. Nur Soldat sein ist für den Halbwüchsigen „das wahre Leben“. In seltsamem Gegensatz dazu, wie abgespalten davon entwickelt sich gleichzeitig sein waches intellektuelles Interesse, vor allem an Literatur.

Im Jungvolk des kleinen Grevenbroich steigt Dieter Wellershoff ab 1939 zum Fähnleinführer auf. Ohne jede Schulung oder andere Vorbereitung leitet er 120 Jungen in vier Zügen nach seinem Gutdünken zu Sport und Geländespielen an und marschiert mit ihnen samstags mit Trommeln und Fanfaren die Hauptstraße entlang. Allerdings hat er in dem bäuerlichen, tief katholischen Städtchen mit einer sehr laschen „Dienstauffassung“ seiner Pimpfe zu kämpfen.

Mit der Zunahme der alliierten Bombenabwürfe muss der Gymnasiast die Nächte immer öfter mit seiner gallekranken, hochnervösen Mutter, dem kleinem Bruder und Nachbarn im Luftschutzkeller unter seinem Elternhaus verbringen. Dass er mit siebzehn Jahren an Ostern 1943 nur mit einem „Reifevermerk“ aus dem Gymnasium entlassen wird, um möglichst schnell an die Front geschickt zu werden, erscheint ihm als der unausweichliche Gang der Welt, glaubt er doch, der Krieg sei die Grundform menschlicher Existenz.

Nach drei Monaten Reichsarbeitsdienst im Westerwald und Noteinsatz an der bombardierten Möhne-Talsperre wird er im Juni 1943 zur militärischen Grundausbildung nach Alkmaar, dann nach Bergen in den besetzten Niederlanden geschickt. Er hatte sich noch als Schüler freiwillig zur Division Hermann Göring, einer motorisierten Panzergrenadierdivision der Luftwaffe gemeldet, um die Waffengattung wählen zu können und sich den Werbern der SS zu entziehen. Nun wird er ausgewählt für das in Berlin-Reinickendorf stationierte „Begleitregiment Hermann Göring“, wo er nicht nur das Kasernen-, sondern zum ersten Mal auch Großstadtleben kennenlernt.

Als er Mitte Juli 1944 zu seinem ersten, ungeduldig erwarteten Fronteinsatz nach Litauen transportiert wird, ist Dieter Wellershoff allerdings längst klar, dass der Krieg verloren ist. Die Erlebnisse der folgenden Monate werden ihn bis ins hohe Alter prägen: Momente höchster Gefahr, Intensität oder Absurdität und die Erfahrung, nur durch Zufall noch am Leben zu sein. Bei einem sinnlosen Angriff wird er im Oktober am Oberschenkel verwundet, kommt nur mit viel Glück aus der Kampfzone und nach strapaziösen Transporten erst etwa eine Woche später auf den OP-Tisch eines Lazaretts in Oberschlesien.

Von dort geht es gleich weiter in die Lazarettstadt Bad Reichenhall, wo sich seine Genesung aber wegen der weiter eiternden Wunde ungewöhnlich lange hinzieht. So wird er erst im März 1945 wieder an die Oderfront geschickt, nur um deren Rückzug mit zu vollziehen. In der riesigen allgemeinen Fluchtbewegung vor der Roten Armee erlebt er sehr bewusst den Zusammenbruch des bisherigen Systems. Es gelingt ihm, bei Schwerin bis in amerikanische Gefangenschaft durchzukommen, von da durchläuft er verschiedene Lager, bis er im Juni 1945 entlassen wird.

Heimkehrend findet er in seinem beschädigten Elternhaus eine fremde Familie, die ihn freundlich aufnimmt, und schnell auch Arbeit bei einem Dachdecker. Nach einem Sonderlehrgang für Kriegsteilnehmer, der auf ihn wie eine geistige Befreiung wirkt und ihn zum Abitur führt, und obligatorischen Aufräumarbeiten in einem Bautrupp nimmt er an der Universität Bonn ein Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Psychologie auf. Dabei lernt er seine spätere Frau Maria von Thadden kennen, mit der er drei Kinder großziehen wird.

Dieter Wellershoff wird 1952 mit einer Arbeit über Gottfried Benn promoviert, arbeitet dann zunächst als Redakteur und freier Autor. 1959 tritt er in den Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln ein, den er als Lektor entscheidend prägen wird, ebenso wie über Jahrzehnte hinweg die neueste deutsche Literatur, insbesondere durch sein Konzept des „neuen Realismus“. 1966 veröffentlicht er sein erstes von über vierzig eigenen Werken, Romanen, Hörspielen, Drehbüchern, Essays und literaturtheoretischen Schriften.

Als Dieter Wellershoff ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende zu einem Kuraufenthalt wieder nach Bad Reichenhall kommt, gibt das den Anstoß zu „Der Ernstfall. Innenansichten des Krieges“. Aus diesem außerordentlich anschaulichen, nüchtern und genau beobachtenden Buch über seine Erfahrungen in den letzten Kriegsmonaten mit reflektierenden Einblicken in die Mentalität jugendlicher Soldaten wird stellenweise auch ergänzend zum Interview für diese Lebensgeschichte geschöpft.1

Fußnoten

1Dieter Wellershoff, Der Ernstfall. Innenansichten des Krieges, Köln 1995. Im Folgenden zitiert „Ernstfall“. Daneben wird auch vereinzelt hinzugezogen Dieter Wellershoff, Das Kainsmal des Krieges, Weilerswist 1998, im Folgenden zitiert „Kainsmal“.

zuletzt bearbeitet am: 10.09.2016