Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Die Gründung der Bibelkreise 1883 ging auf die Initiative von Friedrich Mockert und Wilhelm Weigle zurück.[1] Bereits der Name „Bibelkreise für Schüler höherer Lehranstalten" machte deutlich, dass sich - als Pendant zum katholischen „Bund Neudeutschland" - deren Arbeit ausschließlich auf die Schüler weiterführender Schulen konzentrierte und so eine vergleichsweise homogene Mitgliedschaft garantierte. Die meisten Schüler entstammten dem Bildungsbürgertum, da in der Weimarer Zeit nur 4-5 Prozent der höheren Schüler aus dem Arbeitermilieu kamen.
Die Geschichte der Bibelkreise bis 1933 lässt sich in drei verschiedene Phasen und Strömungen unterteilen:
1.) Die erste Generation der Bibelkreise, die sich aus den Geburtsjahrgängen vor 1890 rekrutierte, sah sich eng mit dem Pietismus verbunden. So fanden sich Heilsgewissheit und das Thema der „Wiedergeburt" als zentrale Aspekte der pietistischen Glaubenslehre in den Schülerbibelkreisen wieder. Danach konnte die so genannte Heilsgewissheit nur über die religiöse „Wiedergeburt", das heißt durch eine radikale Wende im Leben jedes Einzelnen erreicht werden. Die Erkenntnis der Sündhaftigkeit des Menschen war eine zentrale Grundvoraussetzung für diese pietistische Form der „Wiedergeburt"; der Mensch galt sozusagen als prinzipiell „schlecht". Dieser Aspekt unterschied die Bibelkreise von anderen Verbänden der Jugendbewegung, die den Glauben an das Gute im Menschen betonten. Alle weltlichen Probleme, die ja in den zahlreichen Krisen der Weimarer Republik besonders hautnah greifbar waren, ließen sich aus der Logik des Pietismus heraus nur durch die mittels einer Lebenswende ermöglichten „Wiedergeburt" der Menschen lösen, was vielen sehr irrational und weltfremd erschien. Dies wiederum führte dazu, dass sich viele der älteren Mitglieder von den Bibelkreisen abwandten.
Die Bibel selbst spielte die zentrale Rolle bei den Zusammenkünften der pietistischen Bibelkreise. Vor allem das neue Testament mit Christus im Zentrum stand im Fokus der Arbeit. Man sollte nach den Taten Jesu in Selbstlosigkeit und mit großer Opferbereitschaft handeln, was auch dem Leitmotiv der Inneren Mission entsprach. So kam auch in der Arbeit der Bibelkreise der Schülermission eine besondere Bedeutung zu. Neben der Bibelarbeit versuchte man die Jugendlichen aber zunehmend auch durch andere Freizeitangebote wie Geländespiele, Turnabende, Vorlesestunden, Wanderungen sowie Ferienfreizeiten für sich zu gewinnen. Durch die starke Position der Leiter waren die aktiven Mitwirkungsmöglichkeiten der Schüler in den Bibelkreisen nur sehr eingeschränkt möglich.
2.) Aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges entstand eine neue Glaubensrichtung innerhalb der Bibelkreise, auf die hier nur kurz eingegangen werden soll. Die von der „Freideutschen Jugend" angestoßene Rebellion gegen die traditionelle Jugendarbeit wurde von den BKlern der Frontgeneration der Jahrgänge 1890 bis 1900 in die Schülerbibelkreise weitergetragen. Die Freideutschen erweiterten die enge pietistische Dogmatik und der dort zentrale Bekehrungsgedanke trat in den Hintergrund. Auch der inneren Mission wurde eine weniger zentrale Rolle beigemessen, vielmehr beabsichtigten die Freideutschen, die Gesellschaft nach ihren ethischen und ganzheitlich harmonischen Ansprüchen umzugestalten. Zentral war dabei das Leben nach der Meißnerformel aus dem Jahre 1913: „Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei."[2]
Diese Formel brachte in Kurzform die Geisteshaltung der Freideutschen Jugend zum Ausdruck, die auch jener der freideutsch orientierten Bibelkreise entsprach.
3.) Eine dritte Strömung innerhalb der Bibelkreise bildete sich Mitte der 1920er Jahre heraus. Diese Richtung prägten jene BKler, die sich eindeutig als Teil der deutschen Jugendbewegung verstanden. Es gründete sich die Bündische Reichsgemeinschaft, was maßgeblich auf die Initiative von Joachim Fricke zurückzuführen war. Er war einer der zentralen Verfechter der bündischen Bestrebungen innerhalb der Bibelkreise und forcierte 1929 deren Umbenennung in „Bund deutscher Bibelkreise", der zugleich eine neue Satzung erhielt. Diese Satzung sah im Unterschied zur alten vor, dass den Schülern nunmehr Mitverantwortung zugebilligt wurde. In den bündisch orientierten Bibelkreisen waren im Unterschied zu den anderen BK-Strömungen Symbole durchaus erwünscht, so dass viele Gruppen eigene Abzeichen, Wimpel und Fahnen entwickelten. Der bündischen Richtung neigten zumeist jene zu, die während des Ersten Weltkrieges ihre Kindheit erlebt hatten. Von den freideutschen Vorgängern grenzten sie sich vor allem durch ihren theoriefeindlichen Realismus ab. Stattdessen standen Gemeinschaftserlebnisse in Form von Uniformierung und Gleichschritt im Vordergrund. Wie ihre freideutschen Vorgänger lehnten diese BKler den Missionsgedanken ab und folgten einem demokratischen Selbstverständnis, das den Jungen Mitbestimmung zugestand, aber zugleich auch eine Führergefolgschaft vorsah. Viele der bündischen Bibelkreise gaben sich in dieser Zeit andere Namen und nannten sich beispielsweise „Kreuzfahrer", da der Begriff „Bibelkreis" vielen unzeitgemäß und altmodisch klang.
Anfang der 1930er Jahre wurde der „Unterhaltungsteil" der BK-Stunden zunehmend ausgeweitet, während die Bedeutung der christlichen Verse bei den Heimabenden eher in den Hintergrund traten. Auf „Fahrt" gehen, Speer- und Geländespiele nahmen einen immer zentraleren Platz in der Arbeit ein. Eine weitere Neuerung, die seit Mitte der 1920er Jahre Einzug in die Bibelkreise hielt, waren die Laienspiele, die ursprünglich aus der Jugendbewegung stammten. In den BKs sollten sie in erster Linie der Verkündigung dienen. Die Speer- und Geländespiele gaben ihnen eine - zumindest äußerlich - zunehmend militärische Form, die besonders in Ferienlagern und auf Wanderungen zum Ausdruck kam. Der anonyme Verfasser eines in evangelischen Kreisen der 1920er Jahre beliebten Buches, schildert die damalige Situation wie folgt: „Die gesamte christliche Jugend, die sich hier reichlich versammelt, spielt täglich Soldaten. Du kannst Sturmangriffe (...) sehen. Die Jungens kommandieren - natürlich im Leutnantston. (...) Und du siehst täglich Kriegsspiele. Offenbar weiß man die Jugend körperlich nicht anders zu beschäftigen als dadurch, dass man sie Krieg spielen lässt." Im Jahr vor der Machtübernahme bekam die „Wehrerziehung" innerhalb der BK-Arbeit schließlich eine noch größere Bedeutung, da man darin eine Art Indikator für die politisch nationale Gesinnung sah.
Insgesamt befand die BK-Arbeit aber bereits seit Ende der 1920er Jahre in einer schweren Krise: Sinkende Mitgliederzahlen, Finanzierungslücken, rückläufiger Absatz der Zeitungen sowie die Konkurrenz zu anderen Jugendorganisationen verschärften sich erheblich. Die „Außenwelt" bot den Jugendlichen immer mehr und verlockendere Freizeitangebote und stellte damit die Arbeit der Bibelkreise nicht selten in den Schatten. Der Missionsgedanke wurde jedoch erst nach der Machtübernahme wieder aufgenommen. Erst die Einschränkungen der konfessionellen Jugendarbeit, die „von oben" erzwungene Eingliederung in die Hitlerjugend und die daraus erwachsenden Konflikte ließen das Anliegen zur Bekehrung wieder anwachsen.