„Ich konnte das einfach nicht begreifen, dass es so etwas gibt.“ - Kindheit und Krieg

Gertrud Riediger wird am 19. Mai 1933 in Braunsberg (heute: Braniewo) in Ostpreußen geboren. Der sechs Kilometer vom Frischen Haff – also der Ostsee – und etwa 60 Kilometer von Königsberg entfernt liegende Ort zählt zu diesem Zeitpunkt rund 15.300 Einwohner.

Hier wächst sie als mittlere von drei Schwestern auf. „Wir haben eigentlich ruhig gewohnt bis 1945“, umreißt Gertrud Zillikens die ersten zwölf Jahre ihres bis dahin weitgehend beschaulichen Lebens: „Wir wohnten in einem neuen Siedlungsgelände und hatten dort eine eigene schöne Wohnung. Wir sind da glücklich aufgewachsen.“ Vom Krieg habe sie praktisch nichts mitbekommen, betont sie rückblickend und bringt ihr damaliges Grundgefühl auf den Punkt: „Unsere Kindheit war schön. Wir haben eigentlich ganz gut und ruhig gelebt.“

 

Allerdings bleibt das Familienleben von den Kriegsgeschehen alles andere als unberührt: „Mein Vater war ja im Krieg. Der war nur selten mal zuhause.“ Der 1905 geborene Otto Riediger wird direkt zum Kriegsbeginn eingezogen. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir ihn weggebracht haben in einen kleinen Ort. Da mussten sie sich alle sammeln.“ Die Sechsjährige kann natürlich die damit verbundene Gefahr nicht einschätzen. „Ich habe immer gesagt: ‚Papa, Du kommst immer wieder nach Hause.‘“ Der Abschied ist auch so schon schwer genug, denn die kleine Gertrud hängt sehr an ihrem Vater. „Der hat für mich alles bedeutet.“

Vom eigentlichen, direkt erfahrbaren Kriegsgeschehen bleibt Braunsberg und damit Gertrud lange verschont. Man sieht die Flugzeuge auf ihrem Weg nach Königsberg, hört auch die Explosionen der dortigen Bombenabwürfe, ohne selbst betroffen zu sein. Das ändert sich, als die 1910 geborene Mutter Katharina mit ihren drei Töchtern Hedwig (*1930), Gertrud und Angelika (*1935) eines Tages Vater Otto in dessen Kaserne in Königsberg besuchen und dort unmittelbare Zeugen eines Bombenangriffs werden. Gertrud ist schockiert und kann die schrecklichen Ereignisse nicht verstehen: „Das war so schlimm. Da sind die Menschen, die hatten Phosphor an der Kleidung, die sind in die Pregel gesprungen. Die kamen dann hoch, und die brannten immer wieder. Verbrannte Leute liefen durch die Stadt. Das war grausig, einfach grausig. Ich konnte das einfach nicht begreifen, dass es so etwas gibt.“

 

Nach diesen schrecklichen Erlebnissen und mit bangen Gefühlen – auch die Kaserne des Vaters ist getroffen worden - fahren Mutter und Töchter nach Braunsberg zurück. Sie sind erleichtert, als sie kurz darauf einen Brief des Vaters erhalten, dass alles in Ordnung sei. Das in dieser Hinsicht größte Unglück steht jedoch noch bevor: Otto Riediger wird gegen Kriegsende schwer verwundet und stirbt kurze Zeit darauf in einem Lazarett im thüringischen Greiz, ohne, dass die Familie davon zunächst erfährt. „Mein Vater starb mit 39 Jahren im Krieg“, blickt Gertrud Zillikens heute noch tieftraurig zurück, denn es war ihr nie vergönnt, ihren so geliebten Vater richtig kennenzulernen.

Pflege und Versorgung der drei Töchter liegen seit Kriegsbeginn allein auf den Schultern der 1910 geborenen Mutter Katharina. Es habe aber – zumindest in der ersten Zeit des Krieges - nie an etwas gemangelt, erinnert sich Gertrud Zillikens.