Nachdem Familie Bandemer im August 1946 aus dem Osten „herausgekommen“ und nach Garzweiler gelangt ist, erfährt sie nach und nach vom Schicksal der ebenfalls vertriebenen und zunächst vielfach in der Sowjetischen Besatzungszone untergekommenen Verwandtschaft. „Da haben meine Eltern gesagt: ‚Es wäre schön, wenn sie auch hier wären.‘“ Daraufhin, so Hannelore Beulen, habe ihr Vater sich 1947 bemüht, drei Schwestern ihrer Mutter dort „herauszuholen“. Als er erfährt, dass hierfür eine feste Wohnadresse unabdingbar ist, zögert er nicht. „Da hat mein Vater gesagt: ‚Gut, wir haben hier eine Wohnung. Wir haben mit so viel Menschen zusammengelebt, dann hole ich sie rüber, in diese Wohnung.‘ Und das hat er gemacht.“ So kommen insgesamt zehn weitere Personen des Familienclans nach Garzweiler – unter ihnen auch Familie Kusch, deren Schicksal im nächsten Kapitel ausführlich geschildert wird.
„Das waren meine Eltern. Die haben das auf sich genommen. Das hätte auch nicht jeder gemacht“, beurteilt Hannelore Beulen die damalige Hilfestellung. Erleichtert wurde die daraus resultierende vorübergehende große Enge im „Stall“ in der Mausgasse“ durch die Perspektive der bevorstehenden Versetzung des Vaters nach Jüchen, die mit dem Bezug einer Dienstwohnung verknüpft gewesen sei. Zunächst allerdings müssen die Bandemers und die Kuschs noch für einige Zeit in der nun drangvollen Enge der drei Räume zusammenwohnen.
Erich Bandemer möchte auch im Westen Bahnbeamter bleiben. Hierzu muss er in Großkönigsdorf bei Köln nochmals die erforderlichen Prüfungen ablegen, um dann als Bahnbeamter auf Lebenszeit angestellt werden zu können. Als Arbeitsstelle wird ihm der Bahnhof in Jüchen zugewiesen, wo der Familie auch eine Dienstwohnung in einem Dreifamilienhaus in Bahnhofsnähe zusteht. Auch hier findet man zwar keinen Luxus vor – so steht für die drei Mietparteien nur eine Toilette zur Verfügung -, aber dennoch stellt der Umzug aus dem „Stall“ in Garzweiler im August 1948 eine deutliche Verbesserung dar.
Die Bindung nach Garzweiler allerdings bleibt – sicherlich auch wegen der weiterhin dort wohnenden Verwandtschaft – weiterhin eng. „Wir sind jeden Sonntag zu Fuß nach Garzweiler gegangen. Wir haben uns aus Garzweiler nicht ganz trennen können.“
Aber auch die Zeit in Jüchen behält Hannelore Beulen als „wunderschön“ in Erinnerung. Außerdem erweist sich die Wohnlage direkt am Bahnhof für sie, als sie ab 1950 die Handelsschule in Rheydt besucht, als äußerst praktisch. „Wir haben uns in Jüchen gut eingelebt.“ Hier lernt sie dann auch ihren späteren Mann kennen.
Ihre erste Arbeitsstelle findet die zwischenzeitlich achtzehnjährige Hannelore unmittelbar nach Abschluss der Handelsschule durch Vermittlung ihres früheren Jüchener Volksschullehrers. Arbeitgeber ist ein dem Elternhaus direkt benachbarter Landmaschinenbetrieb. Zunächst sträubt sich Hannelore. „Ich wollte nach Rheydt. Ich wollte Zug fahren, ich wollte raus.“ Dem Lehrer zuliebe habe sie sich aber im Betrieb vorgestellt. „Ich wurde direkt angenommen mit einem guten Gehalt.“ Hier arbeitet Hannelore zehn Jahre lang und erlebt im Laufe dieser Zeit, dass kaum noch jemand Anstoß daran nimmt, dass sie keine gebürtige Jüchenerin ist. Ihre Herkunft spielt in ihrer Wahrnehmung praktisch keine Rolle mehr.