Die von ihm zu jener Zeit stark und negativ empfundene Einsamkeit kann Wolfgang erst durchbrechen, als er das Gymnasium nach einigen Jahren verlässt und 1958 eine Lehrstelle als Schlosser bei Buckau R. Wolf in Grevenbroich antritt, wo auch Vater Raimund arbeitet. „Das lief sehr gut. Mein Vater wollte was aus mir machen.“ Während der Lehre und auf der Berufsschule lernt er nun endlich neue Freunde kennen, unter ihnen auch viele Jüchener. „In der Berufsschule habe ich mich auch wieder angepasst, da wurde ich Klassensprecher.“ Andererseits betont Wolfgang Kuhn rückblickend, sein Status als Flüchtling habe während der Lehrzeit keine für ihn spürbare Rolle mehr gespielt.
Mit zunehmendem Alter rücken auch bei Wolfgang zunehmend andere Dinge in den Fokus des jugendlichen Interesses. „Das war in dieser Phase der Rock’n’Roll-Zeit.“ Seine Berufsschulklasse setzt sich aus 25 Schülern mit recht unterschiedlichen Interessen zusammen. „Da waren welche bei, die frönten dem Rock’n’Roll mit „Schwalbenschwanz“ hinten und Nietenhosen. Eine andere Gruppe, die waren vom Dorf, die hatten mit so etwas nichts zu tun, die rauchten nicht. Und andere waren dazwischen.“ Er selbst, so Wolfgang Kuhn, habe zu jeder dieser Gruppen Kontakt unterhalten. Einer der Rock’n’Roller habe ihm das Moped-Fahren, aber auch das Rauchen beigebracht. „Da habe ich mich angepasst.“ Zu den anderen, den „Harmlosen aus dem Dorf“, unterhalte er noch heute Kontakte, beispielsweise im Kegelklub.
Ein wichtiger Motor seiner Integration wird der Schützenverein. Sein Vater, so Wolfgang Kuhn, sei in Jüchen zeitlebens fremd geblieben, was sich auch daran besonders gut ablesen lasse, dass dessen Versuch, einem Schützenverein beizutreten, gescheitert sei, ohne dass er sich an konkrete Gründe dafür erinnern kann. Bei ihm hingegen verhält es sich damit gänzlich anders. Am Ende seiner Lehrzeit wird in Jüchen um 1960 ein neuer Schützenzug gegründet. Aus diesem Anlass sprechen ihn Gleichaltrige an: „Willst Du da mitmachen?“ Wolfgang lässt er sich nicht zweimal bitten und stimmt sofort zu, „denn endlich hatte ich eine Gelegenheit gefunden, in Jüchen Fuß zu fassen“. Auf der darauf folgenden Gründungsversammlung habe er sich dann tatsächlich erstmals in einem Kreis gleichaltriger Jüchener wiedergefunden. „Ich bin da gut aufgenommen worden. Mit ‚Flüchtling‘ war da nichts mehr.“
Wie wichtig die während der Lehrzeit gesammelten Erfahrungen für die weitere Orientierung des mittlerweile jungen Mannes sind, geht aus einem 2016 von Wolfgang Kuhn verfassten Papier hervor: „Da ich Klassensprecher meines Lehrjahres als Stahlbauschlosser in der Berufsschule war, fühle ich mich weiter verpflichtet, den Kontakt aufrechtzuerhalten. In zwei Jahren ist der 60. Jahrestag der Beginn unserer Lehre. Das gibt es doch selten, dass Lehrlinge sich nach so langer Zeit noch treffen. Warum mache ich das? Kann ich einfach nicht loslassen, wenn ich einmal Freunde gefunden habe?“