Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Die jüdische Jugendbewegung in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich" war ebenso wie das Alltagsleben der jüdischen Kinder und Jugendlichen sehr vielfältig. [1] Die weltanschauliche Ausrichtung der zahlreichen Jugendorganisationen reichte von der rein religiös orientierten Jugendverbandsarbeit der einzelnen Gemeinden über zionistische Verbände, die ihr Ziel in der Auswanderung der jüdischen Bevölkerung nach Palästina sahen, und sozialistische Vereine bis hin zur deutsch-jüdischen Jugendarbeit. Die Mitglieder der zuletzt genannten Richtung entstammten in der Regel assimilierten Familien, die sich stolz auf ihre deutschen Wurzeln beriefen. Ihre Jugendarbeit stand in den Traditionen von „Wandervögeln", Pfadfindern und bündischer Jugend.
Das Bedürfnis jüdischer Jugendlicher nach einer eigenständigen Form des Jugenderlebens war vergleichbar mit dem der christlichen Altersgenossen. Aufgrund des verbreiteten Antisemitismus in der deutschen Wandervogelbewegung sahen sie sich jedoch gezwungen, eigenständige Verbände zu schaffen. Vor diesem Hintergrund entstand 1912/13 der zionistisch geprägte „Jüdische Wanderbund Blau-Weiß". Bereits drei Jahre später gründete sich mit den „Kameraden - Deutsch-jüdischer Wanderbund" ein Pendant aus assimilierten, deutsch-jüdischen Bevölkerungskreisen. Beide Bünde bedienten das Bedürfnis der Jugendlichen nach Gemeinschaftserleben, nach Fahrten und Heimabenden. Ein Beispiel für einen religiös geprägten Bund der jüdischen Jugend stellt „Esra" dar. Hier standen weniger bündische Traditionen, sondern das Lernen der Thora und der jüdischen Traditionen im Mittelpunkt.
Nach der NS-Machtübernahme bestanden die jüdischen Jugendbünde zunächst weiter. Die Jugendlichen nahmen deren Angebote gerne an - handelte es sich doch um eine der wenigen Freizeitmöglichkeiten, in denen sie nicht dem zunehmend schärferen Antisemitismus und der damit verbundenen Ausgrenzung ausgesetzt waren. Die Jugendbünde erfuhren breiten Zulauf, vor allem die zionistischen Bünde genossen das Vertrauen der jüdischen Jungen und Mädchen. Die meisten sahen die Emigration aus Deutschland als einzige Lösung. Doch gab es in den 1930er Jahren auch weiterhin Verbände, die ihre deutsch-jüdische Identität betonten und nach wie vor bündische Traditionen pflegten.
Nachdem der Handlungsspielraum der jüdischen Jugend immer weiter eingeschränkt worden war, wurde die organisierte Jüdische Jugend schließlich Ende 1938 gänzlich verboten. Nur der „Hechaluz" bestand zur Organisation der jüdischen Auswanderung zunächst noch fort.
Die jüdischen Schülerinnen und Schüler bekamen bereits 1933 die Auswirkungen der NS-Machtübernahme zu spüren. In den meisten Schulen schlug ihnen die feindliche Stimmung der Schüler- und Lehrerschaft entgegen. Der Besuch mittlerer und höherer Schulen wurde an Quoten gebunden, sodass viele Jugendliche den Schulbesuch bereits vorzeitig nach der Volksschule abbrechen mussten. Im Jahr 1938 wurde allen jüdischen Jungen und Mädchen der Besuch öffentlicher Schulen gänzlich verboten. Nur die rein jüdischen Schulen standen den Kindern noch offen.
Eine Zukunft in Deutschland erschien für viele Kinder sinnlos - die Auswanderung ihrer Familien war jedoch entweder zu teuer oder scheiterte an bürokratischen Hürden. Etwa 10.000 Mädchen und Jungen konnten bis zum Kriegsausbruch im September 1939 aber mit sogenannten „Kindertransporten" - auf sich allein gestellt und ohne Eltern und Geschwister - nach England entkommen. Im Sommer 1942 schließlich erfolgte das endgültige Verbot jeglicher Beschulung jüdischer Kinder in Deutschland.
Immer weniger nichtjüdische Arbeitgeber waren nach 1933 bereit, jüdischen Lehrlingen einen Ausbildungsplatz zu geben. Der geringen Zahl an Arbeitsplätzen stand eine zunehmende Zahl an jüdischen Jugendlichen gegenüber, die keine höhere Schule mehr besuchen konnten und zusätzlich auf den Arbeitsmarkt strömten. Die jüdischen Organisationen in Deutschland versuchten, durch eigene Ausbildungsprogramme der durch die deutschen Erlasse und Verordnungen erzwungenen Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Mit der „Jugend-Alija", der „Mittleren-Hachscharah" und verschiedenen handwerklichen oder landwirtschaftlichen Ausbildungslehrgütern zur Vorbereitung der Auswanderung wurden weitere Perspektiven geschaffen. Doch die Plätze waren begrenzt und boten nur für einen Bruchteil der Jugendlichen eine Chance auf Arbeit. Mitte 1941 wurden auch den jüdischen Organisationen die weitere Berufsausbildung von jüdischen Jugendlichen verboten.
Im Herbst 1941 begann schließlich die systematische Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Gettos, Konzentrations- und Vernichtungslager. Bereits zuvor waren sie in „Judenhäusern" und Sammellagern interniert und vielfach zu Zwangsarbeit verpflichtet worden. Nur ein verschwindend geringer Anteil der Deportierten überlebte dies.
[1] Zitat in Überschrift: Arie Goral-Sternheim: Jeckepotz. Eine jüdisch-deutsche Jugend (1996), zitiert aus: Neuser, Identitätssuche, S. 114. Arie Goral-Sternheim, geb. 1909, war Mitglied im 1919/ ´20 gegründeten zionistisch-sozialistisch orientierten „Jung-Jüdischen Wanderbund".
zuletzt bearbeitet am: 18.04.2016