Anfänge
Die hier im Mittelpunkt des Interesses stehende „Zentralstelle für Deutsche Kulturfunksendungen im Ausland“ erlebte ihre „Geburtsstunde“ offenbar im Herbst 1933 in eben jenem Reichspropagandaministerium. Hier erschien am 13. Oktober der Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation (NSDAP-AO) in Chile, Willi Köhn[1], und trug dem Sachbearbeiter der Abteilung VII[2], Legions-Rat Dr. Unverfehrt, folgende Bitte vor: „Mit Rücksicht darauf, dass der chilenische Rundfunk für deutsche Übertragungen seit kurzer Zeit zur Verfügung stände, sei die Beschaffung geeigneten Schallplattenmaterials dringend erforderlich.“ Unverfehrt sagte dem NSDAP-Landesgruppenleiter daraufhin zu, dass ihm das gewünschte Material durch die „Auslands-Abteilung des Deutschen Lichtspiel-Dienstes“ bis zur Höhe von 300 RM nach Santiago de Chile zugeschickt würde. Im Propagandaministerium fand man die Idee Köhns offenbar derart reizvoll, dass zugleich auch ein direkter Kontakt zur Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) hergestellt wurde, „um Herrn Köhn die Möglichkeit zu geben, die Bestände des dortigen Schallplattenarchivs zu prüfen“.[3] Nachdem die Reichssendeleitung umgehend ihre Zustimmung zu einem solchen Vorhaben gegeben hatte, übermittelte ihr der Sachbearbeiter des Propagandaministeriums am 16. Oktober nicht nur seinen Dank, sondern auch seine Absicht, „mit einer großzügig angelegten Aktion unser Auslandsdeutschtum zunächst mit Schallplattenmaterial zu versehen, das die national-kulturelle Gestaltung unseres neuen Deutschland wiedergibt“. Die Übermittlungsfunktion für die Tonträger sollte nach wie vor die „Auslands-Abteilung des Deutschen Lichtspiel-Dienstes“ übernehmen.[4]
Die Reichssendeleitung der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft öffnete Willi Köhn also bereitwillig ihr Archiv, aus dem der für die NSDAP-AO des gesamten südamerikanischen Raums zuständig zeichnende Landesgruppenchef und Auslandskommissar bei einem unmittelbar darauf anberaumten Besuch 1.600 Schallplatten auswählte. Aus dieser Auswahl, so wurde dem Propagandaministerium seitens der RRG am 23. Oktober mitgeteilt, könne man jedoch nur 400 ohne jegliche inhaltliche Bedenken kostenlos abgeben. Dabei handelte es sich um Musikaufnahmen – vorwiegend Bachkantaten, einige Volkslieder, Märsche und Kirchenlieder. Hinsichtlich der weiteren Bitten des Landesgruppenleiters erbat die Reichssendeleitung hingegen das Votum des Propagandaministeriums. „Es sind dies Reichstagssitzungen und einige kleinere Kundgebungen sowie Aufnahmen aus dem Hörspiel ‚Kampf um Berlin‘ von Plücker.“ Mehrfach wurde betont, bei den „politischen Platten“ komme es „ausschließlich auf die Entscheidung des Ministeriums an“. Das trug aber nicht nur die inhaltliche Verantwortung, sondern zeichnete von Beginn an auch für die finanzielle Seite des Vorhabens zuständig.[5]
Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft hatte ihr Schreiben nicht an die Abteilung VII des RMVP gerichtet, von der sie angeschrieben worden war, sondern an Abteilung III, der das gesamte deutsche Rundfunkwesen unterstand. Das führte im Ministerium offenbar zu kleineren Kompetenzstreitigkeiten, denn die Abteilung VII forderte die Kollegen von III am 27. November 1933 dazu auf, die gesamte Angelegenheit an sie abzugeben, weil „die Versorgung der Auslandsdeutschen mit Film- und Schallplattenmaterial zum ausschließlichen Arbeitsgebiet der Abt. VII“ zähle.[6]
Am 14. Dezember wurden für das Köhn’sche Anliegen 300 RM zur Verfügung gestellt und der Reichssendeleitung mitgeteilt, dass man dem NS-Landesgruppenführer die Auswahl der Schallplatten überlasse. Der Versand nach Chile solle über die „Auslandsabteilung des Lichtspiel-Dienstes“ abgewickelt werden.[7] Dieses Vorhaben konnte aus unbekannten Gründen – wohl nicht zuletzt aus Kostenerwägungen - aber nicht in der geplanten Form in die Tat umgesetzt werden. Vielmehr erfolgte der Versand schließlich über das Auswärtige Amt, das den von ihm beauftragten Spediteur aufforderte, die beim Lichtspiel-Dienst lagernden Schallplatten dort abzuholen und nach Chile zu verschiffen. Der dortigen Deutschen Gesandtschaft in Santiago teilte die Abteilung VII des RMVP am 26. März 1934 mit, das zwei Kisten mit insgesamt 315 Platten eintreffen würden, die anschließend an Landesgruppenleiter Köhn auszuhändigen seien.[8]
Damit schien man zunächst ein Procedere für vergleichbare künftige Transaktionen gefunden zu haben: Die Anträge auf Zusendung von Plattenmaterial waren an die Abteilung VII des RMVP zu richten, das dann seinerseits die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft aufforderte, die gewünschten Platten an die Auslands-Abteilung des Lichtspiel-Dienstes zu liefern, die sie bezahlte und anschließend dem Auswärtigen Amt übergab, das dann seinerseits für den Versand als Diplomatenpost verantwortlich zeichnete. So geschah es beispielsweise im Mai 1934 mit dem Versand von 30 Schallplatten nach Südafrika, auf denen die Rede Adolf Hitlers zum 30. Januar 1934 aufgezeichnet worden war.[9]
[1] Zu Köhn vgl. ausführlich das hier ebenfalls einzusehende Kapitel über die NSDAP-AO, Abschnitt „Organisation“.
[2] Die für den Bereich „Abwehr“ zuständige Abteilung VII des RMVP unterhielt einen Fonds für „Auslandspropaganda auf kulturellem Gebiet“. Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 5
[3] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 6, Aktennotiz Unverfehrt, 13.10.1933
[4] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 8, Propagandaministerium an Reichssendeleitung, 16.10.1933
[5] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 9f., Reichs-Rundfunk-Gesellschaft an Propagandaministerium, 23.10.1933
[6] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 15. Seit dem 1. Oktober 1934 firmierte die Abteilung offenbar unter der neuen Ziffer IX. Während ein Schreiben vom 28.9.1934 noch an Abt. VII adressiert war, wurden Schriftstücke seit dem 2.10.1934 an die Abt. IX gerichtet. Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 62 und 65
[7] Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 16f.
[8] Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 34
[9] Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 36f.